Der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess: ein Überblick

„Bis zu dieser Zeit war Auschwitz ein unbekannter Begriff. Auschwitz war tabu, man redete nicht über Auschwitz.“ (Hermann Langbein). In Frankfurt am Main fand von 1963 bis 1965 der bis dahin größte Schwurgerichtsprozess der westdeutschen Nachkriegsgeschichte statt. Erstmals wurden die Verbrechen im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz vor einem deutschen Gericht verhandelt. In der deutschen Öffentlichkeit führte der Auschwitz-Prozess zu einer intensiven Konfrontation mit den Verbrechen der Nationalsozialisten. Der Auschwitz-Prozess stellt einen Wendepunkt in der Geschichte der Bundesrepublik dar.

 

Der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess wurde am 20. Dezember 1963 eröffnet und am 20. August 1965 mit der Urteilsverkündung beendet. Er war der zum damaligen Zeitpunkt größte Schwurgerichtsprozess der deutschen Justizgeschichte. Angeklagt waren zunächst 24, später 22 Angeklagte, unter ihnen der ehemalige Adjutant des Lagerkommandanten, Robert Mulka. Nach ihm wurde der Prozess „Strafsache gegen Mulka und andere, 4 Ks 2/63“ genannt. Das Gericht tagte an 183 Verhandlungstagen, zunächst im Plenarsaal der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung im „Römer“. Seit April 1964 trat das Gericht im gerade eröffneten Bürgerhaus Gallus zusammen.

 

In den zwanzig Monaten Prozessdauer hörte das Schwurgericht 360 Zeugen, von denen 211 Überlebende von Auschwitz waren. Detaillierter und umfassender als im Auschwitz-Prozess wurde das Gesamtgeschehen der „Endlösung“ in keinem der vorausgegangenen Verfahren in Deutschland dargelegt. Er stieß daher auf großes öffentliches Interesse. Man schätzt, dass etwa 20.000 Zuschauer die Hauptverhandlung verfolgten, unter ihnen viele Schulklassen. Auch die Presse widmete dem Verfahren große Aufmerksamkeit.

 

Im August 1965 verkündeten die Richter das Urteil im Auschwitz-Prozess. Sie befanden zehn Angeklagte der gemeinschaftlichen Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord schuldig. Nach der Mindestzahl der Opfer, die der Begründung im Einzelfall zugrunde gelegt wurden, hatten sie Beihilfe zum Mord an 28.910 Menschen geleistet. Sieben der Angeklagten wurden wegen Mord beziehungsweise gemeinschaftlichem Mord an 4.243 Menschen verurteilt. In 605 Fällen konnte der Mord als selbstständige Tat nachgewiesen werden. Drei Angeklagte wurden freigesprochen.

 

Zur Stützung des Gedächtnisses des Gerichts wurden die Aussagen auf Tonband aufgenommen – einschließlich der Schlussworte der Angeklagten, der Plädoyers der Staatsanwaltschaft und Verteidiger und der elfstündigen Urteilsverkündung. Der rund 430-stündige Tonbandmitschnitt ist ein einzigartiges Dokument der Zeitgeschichte und wurde am Fritz Bauer Institut transkribiert und mit Hilfe einer Datenbank erschlossen. Dieses Ton- und Schriftdokument mit mehr als 500 Fotos und umfangreichen Materialien aus den Gerichtsakten ist 2004 vom Fritz Bauer Institut und dem Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau als DVD-ROM bei der Digitalen Bibliothek veröffentlicht worden.

 

 

Literatur und Quellen

 

Fritz Bauer Institut und Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau (Hrsg.), Der Auschwitz-Prozess. Tonbandmitschnitte, Protokolle und Dokumente. Digitale Bibliothek Bd. 101, 2. durchgesehene und verbesserte Auflage Berlin 2005, ISBN 3-89853-801-X (DVD ROM mit 48.679 Bildschirmseiten, 528 Abbildungen und ca. 100 Stunden Audio-Auswahl, z. B. Zeugenvernehmungen)

Raphael Gross/Werner Renz (Hrsg.), Der Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963-1965). Kommentierte Quellenedition, 2 Bde., Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2013

„Bis zu dieser Zeit war Auschwitz ein unbekannter Begriff. Auschwitz war tabu, man redete nicht über Auschwitz.“ (Hermann Langbein). In Frankfurt am Main fand von 1963 bis 1965 der bis dahin größte Schwurgerichtsprozess der westdeutschen Nachkriegsgeschichte statt. Erstmals wurden die Verbrechen im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz vor einem deutschen Gericht verhandelt. In der deutschen Öffentlichkeit führte der Auschwitz-Prozess zu einer intensiven Konfrontation mit den Verbrechen der Nationalsozialisten. Der Auschwitz-Prozess stellt einen Wendepunkt in der Geschichte der Bundesrepublik dar.



Autor/in: Irmtrud Wojak
erstellt am 01.01.2003
 

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