Die Opfer der Zwangssterilisationen im Dritten Reich empfanden die Operationen oftmals als Angriff auf ihre Gesundheit und als Unrecht. Sie versuchten sich – meist vergeblich – auf unterschiedliche Weise gegen den Eingriff zu wehren und appellierten auch schriftlich an das Erbgesundheitsgericht. Die Unterstützung von Angehörigen blieb oftmals aus.
Am 14. Juli 1933 wurde das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses erlassen. Mit diesem Gesetz sollte die rassehygienische Reinheit des deutschen Volkes vor „Minderwertigem“ und „Gemeinschaftsunfähigen“ geschützt werden. Danach konnte gegen seinen Willen sterilisiert werden, wer an schwerem Alkoholismus, angeborenem Schwachsinn, Schizophrenie, zirkulärem Irresein oder den erblichen Formen von Veitstanz, Blindheit, Taubheit und schwerer körperlicher Missbildung erkrankt war. Lehrer, Ärzte und Fürsorger waren nach dem Gesetz verpflichtet, betroffene Personen, so genannte „Ballastexistenzen“, dem Gesundheitsamt anzuzeigen, das ein ärztliches Gutachten erstellte oder anfordern musste. Im Deutschen Reich wurden zwischen 1933 und 1945 etwa 400.000 Menschen zwangssterilisiert.
Wie in anderen Städten auch, waren in Frankfurt Bevölkerung und Betroffene durch die Einführung des Erbgesundheitsgesetzes beunruhigt. Die Betroffenen fanden mehrere Formen des Widerstandes. Einige versuchten, sich dem ganzen Verfahren zu entziehen. Sie ignorierten die Vorladung zur amtsärztlichen Untersuchung im Gesundheitsamt bzw. die Ladung zum Verhandlungstermin beim Erbgesundheitsgericht. Schließlich verweigerten sich einige dem Operationstermin. Sie wurden mit Polizeigewalt in die Krankenhäuser eingeliefert. Viele Betroffene oder ihre Eltern reagierten mit schriftlichem Protest auf die Sterilisationsanzeigen und die gerichtlichen Urteile. Diese Briefe zeigen, dass die Sterilisation als Unrecht empfunden wurde.
Martha (alle Namen sind geändert), 19 Jahre alt, lebte im Monikaheim, einem katholischen Heim für angeblich verwahrloste junge Frauen, und wurde 1934 zur Sterilisation verurteilt. Sie entschloss sich, Beschwerde einzulegen und schrieb am 26. Juli 1934 an das Erbgesundheitsgericht in Frankfurt:
„Ich berufe mich auf das Beschwerderecht, das mir durch das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses zusteht und lege hiermit Beschwerde ein. Meine Gründe sind folgende: Als ich K. kennen lernte, war ich noch zu jung + unerfahren um zu wissen was mein Verhältnis zu ihm für Folgen haben könnte; denn es war meine erste u. nähere Bekanntschaft. Als ich nun im Monikaheim war, kam ich schon nach kurzer Zeit zur Einsicht, dass ich K. nie heiraten könnte, und habe deshalb auch schon vor Monaten mein Verhältnis mit ihm gelöst.“ Sie sei nun so gefestigt, dass sie sich nicht mehr mit einem Mann einlassen würde. Ihre Mutter sei nie geisteskrank gewesen, sondern nur aus Sorge und Not nervenkrank geworden. „Ich selbst bin nicht geisteskrank auch nicht schwachsinnig und empfinde es darum als ein Unrecht, wenn ich sterilisiert werden soll. […]“
Marthas Eingabe macht deutlich, dass sie sich bewusst war, auf welch fadenscheinigen Gründen sich die Diagnose angeborenen Schwachsinns gründete. Sie hatte ein Verhältnis mit einem älteren Mann gehabt und war Mutter eines unehelichen Kindes. Nach Ansicht der Richter des Erbgesundheitsgerichts sprach das für einen unmoralischen Lebenswandel und wurde als Anzeichen für Schwachsinn gewertet – eine Diagnose, die eine Sterilisation nach dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses rechtfertigte. Martha versuchte erfolglos den Verdacht auf eine Erkrankung zu entkräften. Ihr Fall wurde ans Erbgesundheitsobergericht weitergeleitet, das dem Frankfurter Oberlandesgericht angeschlossen war. Ihre Beschwerde wurde am 21. September 1934 zurückgewiesen. Die offensichtlich nicht bewiesene Krankheit der Mutter wurde als bedeutungslos erachtet: „Ob die Mutter der Beschwerdeführerin geistig gesund war oder nicht, ist für die Beurteilung des Krankheitsbildes der Beschwerdeführerin ohne entscheidende Bedeutung. Da bei angeborenem Schwachsinn höchste Wahrscheinlichkeit für schwere geistige Erbschäden der Nachkommenschaft zu erwarten sind, ist die Unfruchtbarmachung mit Recht ausgesprochen.“ Martha wurde gegen ihren erklärten Willen am 27. Oktober 1934 sterilisiert und zehn Tage später als „geheilt“ entlassen.
Am 12. Januar 1941 wurde die 18jährige Elisabeth von der Stadtärztin Hannappel zur Sterilisation angezeigt, weil sie verdächtig sei, an angeborenem Schwachsinn zu leiden. Sie war Hausangestellte und lebte zu diesem Zeitpunkt im Monikaheim. Elisabeths Mutter schrieb einen langen und aufgebrachten Brief an die Ärztin, in dem sie sie zu überzeugen suchte, dass es in der Familie keinen angeborenen Schwachsinn geben könne: „[…] Mein Vater war fast 40 Jahre im staatl. Dienst und hatte einen – ich möchte fast sagen den – verantwortlichsten Beruf und zwar als Lokomotivführer für Schnell- und D-Züge und ihm waren Tausende und noch mehr Menschen anvertraut. Daraus muss unbedingt hervorgehen dass ein Mensch in diesem Beruf geistig auf der Höhe sein muss. Mein Großvater war ebenfalls auf der Eisenbahn als Zugführer […], er hatte auch seine bestimmte Verantwortung. Ich glaube wohl anzunehmen liebes Fräulein Doktor, dass Sie wohl ebenfalls davon unterrichtet sind. Die Vorfahren mütterlicherseits waren auch ebenfalls schlaue Leute […] Von Seiten meines Mannes sind es alles Geschäftsleute u. geistig auch hochwertige Menschen, die man in Köln kennt.“
Gleichzeitig bemühte sich die Mutter, eine Erklärung für die relativ schlechten Schulleistungen ihrer Tochter zu finden, die nicht in angeborenen geistigen Defekten begründet seien: „Wenn sie auch nicht immer versetzt wurde, so ist es auf das viele Schulversäumen wegen ihrer Ohrenoperationen zurückzuführen und Schwerhörigkeit bei Witterungsumschlägen.“ Nachdem die Ärztin den Antrag auf Unfruchtbarmachung gestellt hatte, schrieb die Mutter am 21. Februar 1941 erneut, nun an das Erbgesundheitsgericht. Sie berief sich darauf, dass sie all ihre Bedenken der Stadtärztin vorgetragen habe und wiederholte, dass ihre Tochter „geistig vollwertig“ sei. Ihr Protest und ihr mehrmaliges Vorsprechen bei der Stadtärztin blieben erfolglos und ihre Tochter wurde Opfer der Zwangssterilisation.
Nicht immer erfuhren Betroffen die Unterstützung durch die Eltern. Ein von der nationalsozialistischen Rassepolitik überzeugter SS-Mann wandte sich am 31. Dezember 1934 mit einem „Neujahrswunsch“ an den Oberbürgermeister. Er bat darum, seine angeblich erbbelastete Tochter Margarete sterilisieren zu lassen. Weil sie sich schon in „anderen Umständen“ befand, wünschte er sich, dass durch den Oberbürgermeister die Sache beschleunigt werde. Der „Hilfe“ des Oberbürgermeisters stand allerdings das Verbot entgegen, gleichzeitig mit der Sterilisation eine Abtreibung durchzuführen. Am 26. Juni 1935 wurde das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses dahingehend geändert, dass die Föten von Frauen, die als erkrankt eingestuft wurden, innerhalb der ersten sechs Schwangerschaftsmonate abgetrieben werden durften.
Literatur und Quellen::
Monika Daum und Hans-Ulrich Deppe, Zwangssterilisation in Frankfurt am Main 1933-1945 (Frankfurt am Main 1991)
Heike Drummer, „Dienst am Volk“ - Nationalsozialistische Gesundheitspolitik in Frankfurt am Main, in: Thomas Bauer/ Heike Drummer und Leoni Krämer (Hg.), Vom „stede arzt“ zum Stadtgesundheitsamt. Die Geschichte des öffentlichen Gesundheitswesens in Frankfurt am Main, herausgegeben vom Stadtgesundheitsamt Frankfurt am Main (Frankfurt am Main 1992), S. 86-112
Zur reichsweiten Zwangssterilisation siehe Gisela Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik (Opladen 1986)
ISG, Erbgesundheitsgerichtsakten
Die Opfer der Zwangssterilisationen im Dritten Reich empfanden die Operationen oftmals als Angriff auf ihre Gesundheit und als Unrecht. Sie versuchten sich – meist vergeblich – auf unterschiedliche Weise gegen den Eingriff zu wehren und appellierten auch schriftlich an das Erbgesundheitsgericht. Die Unterstützung von Angehörigen blieb oftmals aus.