Walter Carl spielte seit den 1920er auf dem deutschen Kunst- und Antiquitätenmarkt eine wichtige Rolle. Im vertrauten Kreis äußerte Carl deutliche Kritik an der Politik des NS-Regimes. Auch half er in einzelnen Fällen Verfolgten und brachte sich dadurch selbst in Gefahr. Zugleich handelte er aber mit Objekten aus jüdischem Besitz.
Der am 23. Juli 1884 in Frankfurt geborene Sohn des Textilkaufmanns Julius Adam Carl verfügte schon in jungen Jahren über eine wertvolle Sammlung mittelalterlicher Holzfiguren. Über seine Schwester Friedel Battenberg und deren Mann, den Maler Ugi Battenberg www.lagis-hessen.de/pnd/116082224, lernte Carl 1915 den Maler Max Beckmann kennen, mit dem ihn in den folgenden Jahren eine enge Freundschaft verband. Er war der erste, der die Bilder Max Beckmanns sammelte sammlung.staedelmuseum.de/de/werk/bildnis-ehepaar-carl. Im Herbst 1919 eröffnete Walter Carl in der Bockenheimer Landstraße 9 in Frankfurt am Main ein Kunst- und Antiquitätengeschäft, das mit seinem breiten Warenangebot große Preisspannen bediente. Besonders spezialisierte sich Carl auf den Handel mit antiken Möbeln sowie gotischen und barocken Holzfiguren. Außerdem hatte er Gemälde, Graphiken und kunstgewerbliche Gegenstände verschiedenster Art im Angebot, aber auch Waffen, Musikinstrumente, Textilien und historische technische Instrumente.
Carls besonderes Kapital bildeten seine ausgesprochen großen und vielfältigen Lagerbestände. Seine Geschäftsanzeigen aus den 1930er Jahren enthalten häufig den Vermerk „Händlerbesuch erwünscht“ bzw. „Händlerbesuch erbeten“, was darauf schließen lässt, dass er auch als Großhändler fungierte, bei dem die Inhaber anderer Kunst- und Antiquitätengeschäfte Objekte zum Weiterverkauf erwarben. Zugleich gehörten bedeutende Museen, insbesondere Kunstgewerbemuseen, in ganz Deutschland zu seinem Kundenkreis. Belegt sind Verbindungen Carls u. a. zum Deutschen Museum in München, zu den Staatlichen Museen zu Berlin, zum Optischen Museum in Jena, zu den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München, zur Kunsthalle Mannheim, zum Deutschen Ledermuseum in Offenbach, zum Hessischen Landesmuseum in Kassel und zum Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg.
Das Verhalten Walter Carls in der Zeit des Nationalsozialismus scheint sehr widersprüchlich. Zunächst versuchte er sich den neuen politischen Verhältnissen anzupassen. So beantragte Carl noch im Frühjahr 1933 die Aufnahme in die NSDAP. Zusätzlich trat er mehreren NS-Massenorganisationen bei. Allmählich ging er aber wieder auf Distanz zum Regime. Anfang September 1939 ließ Walter Carl einen Band mit selbstverfassten Gedichten drucken und im privaten Kreis verbreiten. Darin wird deutlich, dass er zu diesem Zeitpunkt deutlich pazifistische Ansichten vertrat, die er religiös begründete. Zudem gibt es Hinweise, dass Carl Verfolgten half: Ein Frankfurter Schreiner namens Konrad Beutel – der Bruder von Carls Sekretärin Hilde Beutel – sagte im April 1946 aus, er sei wegen illegaler Tätigkeit für die KPD mehrfach in Schutzhaft genommen worden und habe daher Ende 1934 keine reguläre Tätigkeit mehr finden können. Um ihn dem Zugriff der Behörden zu entziehen, so Beutel, habe Walter Carl ihn für einige Jahre bei sich schwarz angestellt und kurz vor Kriegsbeginn sogar ganz offiziell als Mitarbeiter übernommen. 1935/1936 beschäftigte Walter Carl, laut Beutels Aussage, überdies zwei weitere KPD-Mitglieder, Paul Zylonka und Adolf Holzmann, die beide von der Gestapo verfolgt wurden. Berl-David Magid, ein jüdischer Schneider aus Litauen, der in einem Nebenlager des KZ Dachau inhaftiert gewesen war, gab am 15. April 1946 an, Carl habe ihn und andere Häftlinge mit Kleidung und Lebensmitteln versorgt. Magids detaillierte Angaben wurden von zwei Zeuginnen bestätigt und erscheinen durchaus glaubhaft.
Wirtschaftlich profitierte Walter Carl von den Entwicklungen unter dem NS-Regime. Seine Kunst- und Antiquitätenhandlung konnte er in jenen Jahren deutlich erweitern. Ende der 1930er Jahre war er in der Frankfurter Innenstadt unter gleich drei Adressen mit eigenen Geschäfts- und Depoträumen vertreten. Ab 1936 warb Carl damit, dass in seinem neuen Geschäft in der Braubachstraße 34, nicht weit vom Paulsplatz und vom Römerberg entfernt, gleich „3 Stockwerke Antiquitäten“ besichtigt werden konnten. Sein persönliches Einkommen vervierfachte sich von 6900 RM im Jahre 1934 auf 24719 RM im Jahre 1943. Wie es ihm gelang, diese Gewinnsteigerungen zu erzielen, konnte bislang nicht ermittelt werden. Es gibt allerdings Hinweise, dass Carl in dieser Zeit auch mit Gegenständen aus jüdischem Besitz handelte. So bot er im Januar 1939 dem Hessischen Landesmuseum in Kassel einen antiken Schrank an, den er, wie er schrieb, in der Gegend von Kassel „von Juden, die auswandern“ erworben hatte. Über die Vorbesitzer dieses Möbelstücks ist nichts bekannt. Belegt ist, dass die Lager der Frankfurter Gebrauchtwarenhändler durch die vielen jüdischen Haushalte, die ab 1933 aufgelöst werden mussten, allgemein recht gut gefüllt waren. Ganze Zimmerausstattungen konnten zu Spottpreisen erworben werden. In welchem Ausmaß Walter Carl davon profitierte, muss noch weiter erforscht werden.
Die Kriegsjahre verbrachte Walter Carl größtenteils in Utting am Ammersee, wo er im Sommer 1939 ein Haus erworben hatte. Im August 1947 musste Carl sich vor der Spruchkammer Landsberg am Lech einem Entnazifizierungsverfahren stellen. Die Klage hatte er selbst angestoßen, nachdem ihm durch die bayerischen Behörden mitgeteilt worden war, dass er ohne abgeschlossene Entnazifizierung keine neue Geschäftslizenz erhalten würde. Gegenstand des Verfahrens war allerdings nur Carls NSDAP-Mitgliedschaft. Seine Aktivitäten als Kunsthändler wurden nicht weiter untersucht. Am 18. September 1947 wurde Walter Carl schließlich als „Mitläufer“ eingestuft und zu einer Geldstrafe von 1.500 RM und zur Übernahme der Prozesskosten verurteilt. Ein halbes Jahr später erhielt er wieder eine Lizenz als Kunsthändler. Am 1. Januar 1949 erfolgte die Wiedereröffnung der Kunst- und Antiquitätenhandlung Walter Carl, die in den folgenden Jahren erneut als „Das große Antik-Lager“ beworben wurde. Mit großer Wahrscheinlichkeit griff Carl hierbei im Wesentlichen auf die Lagerbestände zurück, die er in den Kriegs- und Vorkriegsjahren angelegt hatte. Seine Geschäftsräume in der Braubachstraße 34 und die dort aufbewahrten Antiquitäten hatten die Luftangriffe auf Frankfurt überstanden. Grundsätzlich gilt es daher, die Herkunft der bei Walter Carl erworbenen Objekte ab 1933 und bis weit in die Nachkriegszeit möglichst genau zu rekonstruieren, dies schließt auch Gegenstände mit ein, die aus Carls Warendepot stammen und über andere Kunsthändler in deutsche Museen gelangten. Walter Carl verstarb am 25. Mai 1956 in Frankfurt am Main. Anschließend übernahm seine Witwe das Geschäft und betrieb es noch bis 1963.
Literatur und Quellen
Ron Hellfritzsch: „Der Mann ist für unsere Sammlung recht wichtig…“. Das Optische Museum in Jena und der Kunsthändler Walter Carl, in: Ron Hellfritzsch, Sören Groß, Timo Mappes (Hg.): Technisches Kulturgut. Zirkulation, Ansammlungen und Dokumente des Entzugs zwischen 1933 und 1945, Jena 2022, S. 80–94, online: https://doi.org/10.25366/2022.39
Sören Groß / Ron Hellfritzsch: Verantwortung – Aufarbeitung – Erinnerung. Provenienzforschung am Deutschen Optischen Museum Jena, in: Hans-Werner Hahn, Marko Kreutzmann (Hg.), Jüdische Geschichte in Thüringen. Strukturen und Entwicklungen vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe, Bd. 64), Wien/Köln 2022, S. 404–425.
Dieter Rebentisch: Max Beckmann und Frankfurt am Main, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst, Bd. 69, 2003, S. 127–157, hier: S. 135, S. 142, S. 149.
Institut für Stadtgeschichte, Kassen- und Steueramt, Gewerberegister, Karteikarten zur Firma Walter Carl (ohne Paginierung)