August Robert Lingnau war eines der fünf hauptamtlichen Magistratsmitglieder, das bereits vor 1933 berufen wurde und nach der Machtübernahme 1933 im Amt blieb. Weil Lingnau kein NSDAP-Mitglied war, stand er unter ständiger Kontrolle verschiedener Parteigruppierungen. Der außerordentlich versierte Wirtschaftfachmann konnte nur durch die Rückendeckung von Oberbürgermeister Krebs im Amt verbleiben.
August Lingnau war wie sein Stadtratskollege Friedrich Lehmann gebürtiger Ostpreuße. Der aus Allenstein stammende Sohn eines Meiereibesitzers, Jahrgang 1890, hatte nach dem Abitur die Technische Hochschule in Danzig und anschließend bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs für zwei Jahre die Universität Königsberg besucht. 1919 wurde er dort in Staatswissenschaften promoviert. Bereits 1913 war er als Beamtenanwärter im Danziger Magistrat tätig. Nachdem er hochdekoriert aus dem Krieg zurückgekehrt war, wurde er 1918 Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter beim dortigen Ernährungs- und Wirtschaftsamt. Zwei Jahre später ging er als Magistratsrat nach Stettin, wo er bis 1928, bis zu seiner Berufung nach Frankfurt, blieb. Im März desselben Jahres wählte ihn die Frankfurter Stadtverordnetenversammlung mit absoluter Mehrheit zum Wirtschaftsdezernenten.
Für diese Wahl hatte vor allem Lingnaus langjährige und umfassende Verwaltungserfahrung gesprochen. In Stettin hatte er unter anderem das städtische Nachrichten- und Verkehrswesen organisiert und in den Nachkriegsjahren das Ernährungsamt und die Preisüberwachungsstelle geleitet und war Wirtschaftsberater des Oberpräsidenten der Provinz Pommern. Daneben hielt er an der höheren Handelsschule, der Volkshochschule und der Kommunalbeamtenschule in Stettin Seminare und Vorlesungen über Finanzwirtschaft, Verkehrswesen und andere Themen.
Seine politische Haltung war eindeutig. Lingnau war seit 1912 Mitglied des Zentrums, der Partei des politischen Katholizismus in Kaiserreich und Weimarer Republik, und hatte für geraume Zeit dem katholischen Beamtenbund angehört. Einen Eintritt in die NSDAP schien er nicht er in Erwägung gezogen zu haben, er blieb bis 1945 ohne Parteibuch. Lediglich seine Mitgliedschaft im Reichsbund Deutscher Beamter und in der Nationalsozalistischen Volkswohlfahrt (NSV) ist dokumentiert.
Ähnlich wie seine beiden hauptamtlichen Kollegen Lehmann und Keller stand Lingnau unter der permanenten Kontrolle nationalsozialistischer Funktionäre, da er als politisch unzuverlässig galt. 1933 war auch bei ihm die Möglichkeit einer Entlassung nach dem sogenannten Berufsbeamtengesetz geprüft worden. Aber trotz seiner offenkundigen Distanz zum neuen Regime hatte die Stadt keine Handhabe oder aber kein wirkliches Interesse, ihn seines Amtes zu entheben. Eine „politische Beurteilung“ – ein von den Nationalsozialisten gerne eingesetztes und probates Mittel der Drangsalierung – durch den Leiter der Frankfurter Ortsgruppe Nordwest kritisierte noch 1942 Lingnaus weiterhin bestehende starke konfessionelle Bindung sowie die mangelnde Spendenbereitschaft und attestierte ihm fehlende politische Zuverlässigkeit.
Da Lingnau kein NSDAP-Mitglied gewesen war, leitete der städtische Hauptuntersuchungsausschuss im April 1945 auch kein Prüfungsverfahren gegen ihn ein. Statt dessen wurden er und sein Kollege Keller durch eine Verfügung des neuen Oberbürgermeisters Blaum anstelle der Stadträte Arntz und Müller im Juli 1945 erneut in ihr Amt eingesetzt. Dieses Vorgehen wurde im September vom deutschen Regierungskommissar bestätigt. Lingnau erhielt zudem die Erlaubnis der amerikanischen Militärverwaltung, für weitere zwölf Jahre als Stadtrat zu amtieren. In der ersten regulären, von der neuen Großhessischen Gemeindeordnung vorgeschriebenen Magistratswahl nach dem Krieg, am 25. Juli 1946, wurde er dann allerdings nicht mehr zum Stadtrat gewählt. Lingnau ging daher Ende desselben Monats in den Ruhestand.
Im Oktober 1946 wurde zwar ein Spruchkammerverfahren gegen ihn eröffnet, aber bereits im Januar des folgenden Jahres wieder eingestellt, weil nach Ansicht der Kammer keine Belastungen vorlagen. Der anfängliche, auf einer Anzeige basierende Vorwurf, Lingnau habe als Aufsichtratsvorsitzender einer städtischen GmbH einer Entlassung von mehr als 30 Arbeitern wegen staatsfeindlicher Gesinnung zugestimmt, erwies sich aus Sicht des Ministers für politische Befreiung als unzutreffend, da die Weiterbeschäftigung nach den – zwingenden – Vorschriften des Berufsbeamtengesetzes unmöglich gewesen sei. Lingnau habe die Arbeiter nicht aus eigener Initiative entlassen. Auch der Vorwurf der Bereicherung, der Lingnau von Anhängern der KPD gemacht wurde, ließ sich nicht erhärten.
Lingnau zog sich nach seiner Versetzung in den Ruhestand nicht völlig aus dem öffentlichen Leben zurück, sondern übernahm bis zum Alter von 65 Jahren Aufgaben im Verkehrsverband, in der Deutschen Zentrale für Fremdenverkehr und vertrat, als langjähriger Vorsitzender des Frankfurter Regattavereins, die Ruderer im Deutschen Olympischen Komitee. 1960 starb August Lingnau in Frankfurt.
Literatur::
Bettina Tüffers: Der Braune Magistrat. Personalstruktur und Machtverhältnisse in der Frankfurter Stadtregierung 1933-1945 (Studien zur Frankfurter Geschichte 54), Frankfurt am Main 2004
August Robert Lingnau war eines der fünf hauptamtlichen Magistratsmitglieder, das bereits vor 1933 berufen wurde und nach der Machtübernahme 1933 im Amt blieb. Weil Lingnau kein NSDAP-Mitglied war, stand er unter ständiger Kontrolle verschiedener Parteigruppierungen. Der außerordentlich versierte Wirtschaftfachmann konnte nur durch die Rückendeckung von Oberbürgermeister Krebs im Amt verbleiben.