„Undeutsche“ Musik als Protest: Swing, Harlem-Club und „deutsche“ Jugend

Schallplatte der Columbia mit der Einspielung des „Harlem Swing“ des Orchesters Scott Wood, um 1936

Label der Schallplatte der Columbia mit der Einspielung des „Harlem Swing“ des Orchesters Scott Wood, um 1936

Innenansicht des Cafés Rumpelmayer in der Adolf-Hitler-Anlage, Fotografie um 1938

Die Frankfurter Hot Club Combo, Fotografie um 1942

Hausparty, Fotografie um 1943

Seit Mitte der dreißiger Jahre bildet sich wie in anderen deutschen Großstädten auch in Frankfurt am Main eine jugendliche Subkultur heraus, die von Gestapo, Hitlerjugend und städtischen Behörden als „Swing-Jugend“ denunziert und verfolgt wird.

1937 begannen ältere Jugendliche mit regelmäßigen Treffen im Café des Hippodrom. Sie vereinte die Begeisterung für den Swing, der seit Mitte der dreißiger Jahre in den USA und den westeuropäischen Ländern die Jugendlichen faszinierte. Im Café des Hippodroms konnte man Swing hören und tanzen. Einer der Jugendlichen besaß die Schallplatteneinspielung des „Harlem Swing“ des Orchesters Scott Wood. Nach diesem Titel nannte sich die Hippodrom-Gruppe „Harlem Club“.

Im Gegensatz zu den konventionellen populären Tänzen mit partnergeführten, vorgeschriebenen Schritten und gleichförmigen Drehungen bot der Swing als Tanz weitgehend freie und individuelle Interpretationsmöglichkeiten. Die „heiße“ Musik und ihr anarchisch oder undiszipliniert wirkender Tanzstil provozierten die Erwachsenenwelt. Jazz galt im Dritten Reich „undeutsch“ und „rassenwidrig“. Die nationalsozialistische Ideologie teilte die Ablehnung weiter Bevölkerungskreise. Die Auflösung der 1928 am Hoch’schen Konservatorium eingerichteten Jazzklasse gehörte zu den ersten Maßnahmen der Machtergreifung am Konservatorium. 1935 ließ der Reichsrundfunk verlautbaren, dass auf deutschen Sendern kein Jazz mehr gespielt werde. Das ideologiekonforme Verbot richtete sich vor allem gegen den Swing, der die ursprünglich afroamerikanische Spielweise des Jazz mit europäischen Musizierformen verband und in kurzer Zeit in den USA und Westeuropa zur Popmusik der jungen Generation geworden war. Zur traditionellen rassistischen Aburteilung der „Niggermusik“ trat die antisemitische Aburteilung des „Gejüdels“. Benny Goodman, der mit seiner 1934 gegründeten Bigband den Swing populär machte, war jüdischer Herkunft.

Tondokument: „Harlem Swing“, Orchester Scott Wood, um 1936; © Privatbesitz

Wie in anderen deutschen Großstädten wurde auch im Frankfurt des Dritten Reichs in den innerstädtischen Tanzcafés und Bars die „heiße“ Musik gespielt. Die internationale Verflechtung der Schallplattenindustrie ermöglichte den Erwerb der „heißen“ Scheiben. Auf den Labels der Schallplatten stand statt Swing Foxtrott. Der Foxtrott galt als deutscher Tanz. Englische Titel wurden eingedeutscht und mit der Charakterisierung als Foxtrott unangreifbar, der „Tiger Rag“ als „Tigerjagd im Taunus“ oder der „St. Louis Blues“ als „Ludwigs Serenade“. Auf dem Label des „Harlem Swing“ steht Foxtrott und als Titel „Harlem“. Harlem bezeichnet nicht nur den (schwarzen) Stadtteil New Yorks, sondern zum Beispiel auch die Stadt in den Niederlanden. Mit der Europäisierung des Jazz spielten rassisch einwandfreie (weiße) Orchester. In Frankfurt gründeten junge Berufsmusiker die „Hot Club Combo“. Nach dem 2. Weltkrieg gehörten der Trompeter Carlo Boländer oder der Klarinettist Charly Petri zu jenen, die den Ruf der Jazzstadt Frankfurt am Main begründeten. Der junge Emil Mangelsdorff, Student am Hoch’schen Konsrvatorium, gehörte zum Kreis jener, die gelegentlich mitspielten. Der Versuch, die Musik zu zensieren, wurde mit der oberflächlichen Anpassung an die Normen des NS-Systems souverän unterlaufen.

1939 veranstaltete der NS-Studentenbund der Frankfurter Universität, der sich als Wächter deutscher Kultur verstand, vor den Tanzcafés der Innenstadt eine Aktion gegen die „Swing-Niggerei“. Die Aktion richtete sich gegen die Spitze des Eisbergs. Mit und um den Swing herum hatte sich eine jugendliche Subkultur gebildet, mit kulturell anglophilen Tendenzen, nichtkonformen Lebenseinstellungen, Verhaltensweisen, Kommunikationsformen und eigenen Symbolbildungen bis hin zu Kleidung und Haartracht oder der Art und Weise, wie sich die Mädchen schminkten. Wohl die Gestapo erfand für diese Subkultur die Bezeichnung Swing-Jugend und suggerierte zugleich einen Organisationsgrad, der tatsächlich nicht existierte. Die Szene bestand aus zahllosen Cliquen miteinander befreundeter Jungen und Mädchen.

Mit Kriegsbeginn verstärkten Gestapo, das Fürsorgeamt der Stadt und der Streifendienst der HJ die Überwachung der Szene. Die Szene reagierte darauf mit einem durch Mundpropaganda verbreiteten Treffen von etwa 100 Jugendlichen in einem innerstädtischen Café, um die Verbesserung der Möglichkeiten, „heiße Musik“ zu hören, zu diskutieren. Die Gestapo schlug zu und kam nach den etwa 150 Verhören von Mädchen und Jungen und zahlreichen Wohnungsdurchsuchungen zu dem Resultat, den "Harlem-Club" aufgedeckt und zerschlagen zu haben.
Die ersten Takte des „Harlem Swing“ bildeten den Erkennungspfiff in der Szene. Der "Harlem-Club“ wurde zum Mythos der Szene. Viele glaubten fest an seine Existenz oder seine Wiederkehr. 1942 sorgte die Gestapo dafür, daß ein Oberschüler, den sie in Verdacht hatte, den "Harlem-Club" neu zu gründen, der Schule verwiesen wurde.

Seit Mitte der dreißiger Jahre bildet sich wie in anderen deutschen Großstädten auch in Frankfurt am Main eine jugendliche Subkultur heraus, die von Gestapo, Hitlerjugend und städtischen Behörden als „Swing-Jugend“ denunziert und verfolgt wird.



Autor/in: Jürgen Steen
erstellt am 01.01.2003
 

Verwandte Begriffe

Swing


Swingjugend

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