Die Verfolgungsgeschichte der jüdischen Frankfurter Familie Goldschmidt-Rothschild

Das Palais an der Bockenheimer Landstraße 10, um 1930.

Grüneburgpark, um 1935.

Rotschildpark und Grüneburgpark, für das Leben in der Großstadt heute unverzichtbares Innenstadt-Grün, wurden im Nationalsozialismus „arisiert“. Ihre Entstehung im 19. Jahrhundert verdankte sich den Rothschilds. 


Als im April 1933 der kommende Frankfurter Oberbürgermeister ankündigte, er werde aus der Stadt Mayer Amschel Rothschilds wieder eine „deutsche“ Stadt machen, lebte in Frankfurt niemand mehr, der mit dem Stammvater der europäischen Bankendynastie patrilinear verwandt war. Der Tod des Enkels Wilhelm Carl (1828-1901) (genannt Willy) hatte zur Aufhebung des Frankfurter Stammsitzes der Londoner, Pariser und Wiener Familienbanken geführt. Amschel Mayer (1743-1812) hatte testamentarisch verfügt, dass nur Söhne eine Rothschildbank übernehmen durften. Willy und Mathilde (1832-1924), patrilineare Enkelin des Stammvaters, waren Eltern von drei Mädchen geworden. Das jüngste, Minna Caroline (1857-1903) (genannt: Minka) heiratete 1878 den Frankfurter Bankier Maximilian Benedikt (genannt: Max) Goldschmidt (1843-1940). 1901 erweiterte Max den Familiennamen um den Zusatz „Rothschild“. Vor dem Ersten Weltkrieg war er auch dank seiner Heirat der reichste Frankfurter und viertreichste Preuße. Als einziger Preuße jüdischen Glaubens war er unter Wilhelm II. nobilitiert und baronisiert worden.
 

Zum Anwesen an der Bockenheimer Landstraße 10, in dem der inzwischen knapp neunzigjährige Witwer seit der Heirat mit Minka wohnte, gehörte der heutige Rothschildpark. Seine Enkelin Minka (1909-1982), Tochter der früh verstorbenen Lili Jeanette (1883-1929), verließ Frankfurt 1933.1 Im April 1933 wohnte sonst nur der älteste Sohn Albert (1879-1941), seit 1911 Freiherr von Goldschmidt-Rothschild, in Frankfurt. Vor 1914 war seine Hoffnung auf eine Karriere als einziger Jude im diplomatischen Dienst gescheitert, weil er die Taufe verweigerte. Max, Albert und der jüngste Sohn Erich (1894-1987) hatten dann 1920 eine Berliner Privatbank gekauft und unter dem Namen Goldschmidt-Rothschild & Co. weitergeführt. Das Schloss mit dem heutigen Grüneburgpark hatte Albert 1925 von einer Tante als Sommersitz gepachtet und 1930 gekauft. Erst seit 1932 war Frankfurt der erste Wohnsitz.2 Das Bankgeschäft musste wegen der Weltwirtschaftskrise aufgegeben werden. Erich wanderte bereits 1931 in die USA aus. Der Bruder Rudolf (1881-1962) hatte 1925 das ab 1888 errichtete Rothschildsche Schloss in Königstein als Sommersitz erworben. Auch er verließ Berlin. Lucy (1891-1977), die jüngere Tochter von Minka und Max lebte seit 1917 und der Ehe mit einem adligen Diplomaten in Österreich.
 

Auf den Liegenschaften, die Amschel Mayer (1773-1855), der älteste Sohn Mayer Amschels und Bauherr von Palais und Schloss noch außerhalb der städtischen Siedlungsgrenze erworben hatte, waren bis Ende des 19. Jahrhunderts zwei Parks entstanden, dank der Ausdehnung der besiedelten Stadt über den zweiten Anlagenring hinaus, jetzt innerstädtisch. Die Stadt drängte Albert 1935 einen Umlegevertrag auf. Für die 26 Hektar des Parks erhielt er Bauland, insgesamt fünf Hektar.3 Er zog 1935 mit Familie zu Rudolf. Nach dem November-Pogrom 1938 emigrierten beide Familien in die Schweiz. Erlöse aus verkauften Grundstücken, Stichwort im Bauamt: „Entjudung des Grundbesitzes“, wurden spätestens ab jetzt auf ein Sperrkonto überwiesen.4 Vor dem November-Pogrom hatte die Stadt einige Grundstücke aus dem Umlegevertrag zurückgekauft.5 Das volleingerichtete Königsteiner Schloss mit seinen 32 Zimmern verkaufte die Reichsfinanzverwaltung für 48.000 Reichsmark an Georg von Opel (1912-1971).6


Das Palais an der Bockenheimer Landstraße 10 und das Nachbargebäude Nr. 8 wurden bereits 1936 als mögliche städtische Ausstellungshäuser diskutiert. Im Juni 1937 „verkaufte“ Max Haus Nr. 8 für etwa ein Drittel der Erwerbssumme von 1917. Im September 1939 „erwarb“ die Stadt Palais und Park. Max durfte für 25.000 Reichsmark Miete vorerst in seinem Haus bleiben. Der 96jährige besaß eine der größten deutschen Privatsammlungen mit mehr als 1.400 Werken. Am Vormittag des 10. November 1938 rief der Rechtsanwalt Alexander Berg im Auftrag des Oberbürgermeisters an, empfahl den sofortigen Verkauf der Sammlung und bot mit 2,5 Millionen Reichsmark, den Preis an, den 1938 zwei Münchener Kunsthändler nach der im April 1938 erlassenen „Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden“ geschätzt hatten. Max willigte ein. Wo die 2,5 Millionen blieben, ist bis heute nicht umfassend geklärt. Einen Großteil vereinnahmte die Reichsfinanzverwaltung als Vermögensabgabe und Reichsfluchtsteuer für die Söhne.7 Sein Tafelsilber, fast genau 150 Kilogramm, wurden nach der Verordnung, die Juden den Besitz von Edelmetallen verbot, mit 2 Pfennig pro Gramm vergütet.8 Der Tod im März 1940 ersparte auch einem  Freiherrn wie Max von Goldschmidt-Rothschild, der inzwischen nur noch ein Zimmer im Palais bewohnen durfte, die Deportation.
 

Die NS-Presse feierte den „Erwerb“ des Grüneburgparks, wegen der im „Naturpark“ gegebenen „organischen Verbundenheit von Mensch und Natur“, mit der erst der Nationalsozialismus ernst gemacht habe.9 Wer über gut hundert Jahre tatsächlich dafür gesorgt hatte, wurde auch in der noch bürgerlichen Presse nicht erwähnt. Albert hatte 1935 allein sechs Gärtner mit der Pflege des Parks beschäftigt.10 Die Villa in der Taunus-Anlage 12 „kaufte“ 1939 die Deutsche Arbeitsfront.11 Lucy emigrierte nach dem Anschluss Österreichs in die Schweiz. Minka und Alix, die Töchter Lili Jeanettes, flüchteten 1940 aus Paris nach Brasilien und in die USA. Im Schloss eröffnete 1940 ein Café. Albert nahm sich 1941 das Leben. Bei den Luftangriffen im März 1944 wurden Palais und Schloss zerstört. Der Text der von der Stadt 1968 aufgestellten Stele verschwieg die „Arisierung“ des Parks. Über sie informierte erst eine 2007 zusätzlich aufgestellte Gedenktafel. Der Rothschildpark hieß bis 1945 erst Westpark und dann nach dem in Eschersheim geborenen Chemiker Friedrich Wöhler (1800-1882).12 Nur Dank seines Namens gehört er heute zu den wenigen nach NS-Zeit und Weltkrieg verbliebenen Erinnerungen an die Rothschilds in Frankfurt. Ein Gedenkort, wie der Grüneburgpark, ist er nicht geworden. Die „Arisierung“ harrt weiterhin der Erwähnung.
 

1 Vgl. Frankfurter Adressbuch 1933, S. 612 „v. Schey, Frl. Minka, Taunus-Anlage 12.“

2 Vgl. ISG, S 6 b-5 Materialsammlung Grüneburgpark

3 Vgl. ISG, Magistratsakte 6.534.

4 Vgl. ISG. Gutachterausschuss I-1162, I-1163, I-1183, I-1192-94, I-200.

5 Vgl. Haus- und Grunderwerb der Stadtgemeinde Frankfurt am Main von Juden seit 30. Januar 1933, Nr. 45, 46 und 50, ISG, Magistratsakten 10.921.

6 Vgl. Frankfurter Rundschau vom 30. August 1949.

7 Vgl. ISG, Bestand Rechnei IV 2.

8 Vgl. ISG, Bestand Darlehensanstalt 65.

9 Frankfurter Volksblatt vom 26. Juli 1935.

10 Vgl. ISG, Magistratsakten 8.604

11 Vgl. ISG, Gutachterausschuss I-988.

12 Vgl. Frankfurter Volksblatt vom 10. Juli 1941 und Frankfurter Zeitung vom 14. Juli 1943.
 

Literatur:

Kai Drewes, Jüdischer Adel. Nobilitierungen von Juden im Europa des 19. Jahrhunderts, Frankfurt am Main/New York 2013.

Frankfurter Parkgeschichten. Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 74, 2014, hg. von Evelyn Brockhoff und Heidrun Merk. Die Beiträge von Alexandra Frenz, Rüdiger Mertens und Barbara Vogt.

Gesammelt, gehandelt, geraubt. Kunst in Frankfurt und der Region 1933 bis 1945. Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 78, 2019, hg. von Evelyn Brockhoff und Franziska Kiermeier. Die Beiträge von Anna Heckötter und Katharina Weiler.

Georg Heuberger (Hg.), Die Rothschilds. Eine Europäische Familie. Begleitbuch der Ausstellung im Jüdischen Museum, Sigmaringen 1994.

Ders.(Hg.), Die Rothschilds. Eine Europäische Familie. Beiträge zur Geschichte einer europäischen Familie, Sigmaringen 1994. Die Beiträge von Dieter Bartetzko, Andreas Hansert und Christopher Kopper.

Susanne Meinl/Jutta Zwilling, Legalisierter Raub. Die Ausplünderung der Juden im Nationalsozialismus durch die Reichsfinanzverwaltung in Hessen. Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts, Band 10, Frankfurt am Main/New York 2004.
 

Erläuterungen:

„patrilinear“: Bezeichnet die Vererbungslinie der Väter auf die Söhne. Im Falle der Rothschilds betraf dies die Vererbung des Namens und der Leitung der Banken.

„Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden“: Die von Hermann Göring am 26. April 1938 erlassene Verordnung zur Anmeldung von Vermögen über 5.000 RM bedrohte falsche Angaben mit bis zu zehn Jahren Zuchthaus und Vermögensentzug. Göring konnte fortan Maßnahmen treffen, die den „Einsatz jüdischen Vermögens“ zugunsten der „deutschen Wirtschaft“ sicherstellten.



Autor/in: Jürgen Steen
erstellt am 19.03.2019
 

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