Die Zerstörung Oberrads im Zweiten Weltkrieg

Bei den ersten großen Luftangriffen auf Frankfurt im Oktober 1943 wurden auch die für die Versorgung der Bevölkerung wichtigen Gärtnereibetriebe in Oberrad schwer beschädigt. Zerstört wurden nicht nur die Felder, Beete und Glaskulturen, sondern auch Fahrzeuge und für den Anbau wichtige Gerätschaften. Das Foto zeigt eine zerstörte Gärtnerei in der Speckgasse. Hinter dem zerstörten Kleinlaster ist das Oberräder Bahnwärterhäuschen zu erkennen.

Arbeit und Freizeit in der Zerstörung: Während Arbeiter Strom-, Gas- und Wasserleitungen reparieren, blättern die beiden Jungen in aus den Trümmern geborgenen Büchern. Im Hintergrund die Häuser Offenbacher Landstraße 293 und 295.

Wie viele kriegswichtige Betriebe in den östlichen Stadtteilen Frankfurt wurde auch die Schuhmaschinenfabrik Walther & Co. KG in der Wiener Straße 120 am 4./5. Oktober 1943 schwer beschädigt.

Während des Zweiten Weltkrieges wurde Oberrad durch Luftangriffe fast vollständig zerstört und gehörte damit zu den am meisten betroffenen Stadtteilen Frankfurts.

 

Bis zum Oktober 1943 war Frankfurt die einzige Stadt des Rhein-Main-Gebiets, die noch von keinem Luftangriff der Alliierten schwer getroffen worden war. In Oberrad hatte man bis zu diesem Zeitpunkt nach einem Angriff im April 1943 zwei Tote zu beklagen. Zwei Obdachlosenunterkünfte waren angelegt, aber nicht in Anspruch genommen worden, weil die 89 Personen, die bei diesem Angriff ihre Wohnungen verloren hatten, umquartiert werden konnten.

 

In der Nacht vom 4. auf den 5.Oktober 1943 wurde dann aber auch die Stadt am Main das Ziel eines massiven kombinierten Angriffs der US- und der Royal Air Force. Kurz nach Mitternacht meldete das Luftschutz-Abschnittskommando Befehlsstelle-Süd: „Der westliche Teil (Oberrads) ist ein Feuermeer. Feuersturm hat dermaßen eingesetzt, daß keine Hilfe herankann. Beide Kirchen brennen auch.“
Um 0.40 kam von der Befehlsstelle die Nachricht: „Stadtteil Oberrad brennt völlig“, und zwei Stunden später die Meldung: „Wasserleitungen versagen“. Die Luftlagemeldung der Luftschutz-Leitung Frankfurt vom 7. Oktober 1943 benennt die entstandenen Schäden im Stadtteil: So sei der westliche Teil von Oberrad „total“, der östliche „schwer zerstört“ worden. Schwere Verwüstungen waren auch in den nördlich und südlich des Stadtteils gelegenen Gärtnereibetrieben und Feldern angerichtet worden. Eine in Oberrad liegende Scheinwerferstellung hatte einen Volltreffer erhalten, ein Lager für militärische Ausrüstungsgegenstände wurde schwer beschädigt und eine der Obdachlosensammelunterkünfte war durch Brandschaden unbenutzbar geworden.

 

Trotz der immensen Vernichtung an Sachwerten und der Tatsache, dass Oberrad nur einen massiven Luftschutzbunker hatte, war die Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung mit 108 Toten verhältnismäßig gering; dagegen lag die Anzahl mit 675 Verletzten höher. Gründe für die relativ niedrige Rate an Personenschäden waren unter anderem die im Rahmen der Luftschutzmaßnahmen durchgeführten Kellerdurchbrüche, die es verschütteten Hausbewohnern erlaubten, durch die Keller der Nachbarhäuser ins Freie zu gelangen und die Möglichkeit, in den massiven Kellergewölben einer örtlichen Brauerei Zuflucht zu finden.

 

Nach dem Bombardement kümmerten sich in dem Stadtteil die zuständigen Stellen der Stadt, wie die Obdachlosenpolizei und die Vertreter der NSDAP-Ortsgruppe, um die Versorgung der Bewohner. Durch den Angriff gab es in Oberrad 3.175 Obdachlose, die untergebracht und verpflegt werden mussten. Dies geschah nach einem festgelegten Verfahren. Zunächst wurden die Zerstörungen nach Häusern und Straßen registriert. Für diese Aufgabe waren Parteifunktionäre der Ortsgruppe abkommandiert, um sich persönlich von den Schäden zu überzeugen. Danach wurde den Fliegergeschädigten ein Ausweis ausgestellt, der als Grundlage für die gesamte weitere Betreuung diente. Die Ausgabe des Fliegergeschädigtenausweises für die Bewohner des Stadtteils oblag der NSDAP-Ortsgruppe Oberrad, weil die Bescheinigung über die Schwere des entstandenen Schadens eine genaue Kenntnis der Verhältnisse im Schadensgebiet erforderte.

 

Die Obdachlosen – „Ausgebombten“ – von Oberrad wurden in der ersten Zeit von auswärtigen Verpflegungsstellen aus Mainz und Worms verköstigt. Zu organisatorischen Schwierigkeiten kam es, als weder von der NSDAP-Ortsgruppe noch von der Betreuungsstelle der Obdachlosenpolizei Gefäße zur Übernahme des Essens bereitgestellt wurden und die herangebrachte Verpflegung teilweise wieder mitgenommen wurde, weil die Zulieferer befürchteten, ihre Thermophoren zu verlieren und sie deshalb nicht vor Ort belassen wollten.

 

Zu Problemen kam es nicht nur bei der Versorgung des Stadtteils mit Lebensmitteln, sondern auch im Verlauf der notwendig gewordenen Evakuierungen und Wohnungsverlegungen. Drei Tage nach dem Angriff wurden von der Ortsgruppe 1.268 Abreisebescheinigungen ausgestellt, weil die Fliegergeschädigten nicht ohne Genehmigung ihren Wohnort verlassen durften. Damit entstanden wiederum neue organisatorische Probleme. Denn selbst wenn die ausgebombten Bewohner Oberrads in Wohnungen in anderen Stadtteilen oder in umliegende Dörfer und Gemeinden verlegt wurden, lag die Zuständigkeit für die weitere Betreuung bei den entsprechenden Stellen im heimatlichen Stadtteil. Das Unterstützungsgeld, das die Stadtverwaltung in etwa 500 Fällen an die Oberräder Ausgebombten zahlte, musste in der Sammelunterkunft des Stadtteils in Empfang genommen werden, was für die evakuierten Personen eine neuerliche Anreise mit erheblichem Zeitaufwand bedeutete. Dass die Betreuungsstelle des heimatlichen Stadtteils in Anspruch genommen werden musste, lag aber nicht nur an den bestehenden Vorschriften, sondern auch daran, dass sich die auswärtigen Landrats- und Bürgermeisterämter nur langsam und schwerfällig an die neu entstandene Betreuungssituation anpassten konnten oder wollten. Trotz aller Versuche, der Situation Herr zu werden, waren noch zehn Tage nach der Brandnacht vom 4. auf den 5. Oktober 1943 in Oberrad rund 1.200 Obdachlose zu betreuen, die entweder in Kellern oder völlig überbelegten Wohnungen hausten.

 

In den Monaten November und Dezember 1943 wurde der Stadtteil bei weiteren Angriffen der RAF und USAAF von Bomben getroffen. Doch sollte es bis zum 18. März 1944 dauern, bis Oberrad einen vergleichbar schweren Angriff erlebte wie den von Anfang Oktober 1943. Nachdem die alliierten Bomberverbände zwischen dem 18. und 24. März 1944 Frankfurt bombardierten und dabei die historische Altstadt in Schutt und Asche legten, war auch Oberrad zu 90 Prozent zerstört. Von 750 Wohngebäuden waren 390 total ausgebombt und 270 schwer beschädigt. Von den Gärtnern verloren 120 ihre Wohnungen, die Glaskulturen waren nahezu völlig vernichtet. Dazu gab es schwere Schäden an den Betriebsmitteln (Autos, Laster, Fräsen, Pferde) sowie starken Ernteausfällen durch die Bombenkrater in den Gemüse- und Obstfeldern. Viele der ortsansässigen Kleinbetriebe und mittelgroßen Fabriken hatten Teil- oder Volltreffer erhalten und auch die Arbeitslager mussten wegen der Bombenschäden aufgelöst oder verlegt werden.

 

Die im Juli 1944 erstellte Studie zum Wiederaufbau von Oberrad kam nach der Summierung der Schäden zu dem Schluss, dass „der Grad der Zerstörung (...) praktisch einen Neuaufbau des Stadtteils“ erfordert. Als die amerikanischen Streitkräfte am 28. März 1945 den Stadtteil kampflos besetzten, zählte Oberrad gerade noch 3.200 Einwohner.

 

 

Literatur::

Gustav K. Lerch, Frankfurt am Main im Luftkrieg, 15 Bde, Frankfurt am Main 2000-2006

Armin Schmid, Frankfurt im Feuersturm. Die Geschichte der Stadt im Zweiten Weltkrieg, Frankfurt/Main 1965

Während des Zweiten Weltkrieges wurde Oberrad durch Luftangriffe fast vollständig zerstört und gehörte damit zu den am meisten betroffenen Stadtteilen Frankfurts.



Autor/in: Carl-Wilhelm Reibel
erstellt am 01.01.2006
 

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