Eine zerstörte Schaufensterauslage am „Tag des organisierten Boykotts“

Absperrungen des Gehwegs am Textilgeschäft Kreuzner, Fotografie vom 1. April 1933

Werbung des Textilgeschäfts Kreuzner im „Paulskirchenboten“, April 1933

Beim Boykott am 1. April werden die Schaufenster des arischen Textilgeschäftes Kreuzner eingeworfen, nach Behauptung des Besitzers von „nichtdeutschen Elementen“.

 

Am 1. April 1933 ist in Frankfurt am Main nur ein zerstörtes Geschäft fotografiert worden, das Textilgeschäft Kreuzner am Liebfrauenberg. Die Fotografie zeigt zwei Stangen, die in Schaufensterbreite den Gehweg sperren, um zu verhindern, dass Passanten in die Scherben des Schaufensters treten. Im Unterschied zu jüdischen Geschäftsinhabern hatte Kreuzner am 1. April 1933 geöffnet. Vor seinem Geschäft war auch kein SA-Trupp aufgezogen und wohl eben deshalb konnte es geschehen. Der SA-Mann, der im Foto zu sehen ist, besichtigt den Schaden. Der Firmengründer und Inhaber war nach rassischen Kriterien unabweisbar Deutscher und somit Besitzer eines deutschen Geschäfts.

 

Kreuzner inserierte als Deutsches Geschäft und wandte sich an „deutsche“ Kunden. In einer am 7. April im „Frankfurter Volksblatt“ geschalteten Anzeige behauptete er „nichtdeutsche Elemente“ hätten ihm die Schaufenster eingeworfen, eine eigentlich absurde Behauptung, die nur vor dem Hintergrund verständlich wird, dass im Alltag jeder zum selbsternannten Experten in der Frage werden konnte, was „deutsch“ oder „nichtdeutsch“ sei. Am 24. November 1933 druckte das „Frankfurter Volksblatt“ eine eidesstattliche Erklärung Kreuzners, dass er sein Geschäft nicht mit Hilfe jüdischen Kapitals gegründet habe. Eben dies wurde unterstellt und so hatten am 1. April Steine fliegen können.

 

Es traf keinen, der Nationalsozialismus und Antisemitismus distanziert gegenüberstand, sondern einen „Bekenner“, der früh mit „Deutsches Geschäft“ warb und die Chancen, die der Nationalsozialismus im Konkurrenzkampf mit jüdischen Textilgeschäften bot, rigoros nutzte.

 

Die offiziellen Richtlinien des Zentralkomitees zur Abwehr der jüdischen Greuel- und Boykotthetze hatten für den 1. April 1933 zum Beispiel festgelegt, ob ein Geschäft jüdisch sei, wenn die Besitzerin einen jüdischen Ehegatten hatte. Wie mit Geschäften zu verfahren sei, deren arische Gründer und Inhaber bei jüdischen Banken einen Kredit aufgenommen hatte, wurde übersehen oder bewusst nicht erörtert. Da die Richtlinien definierten, was als „jüdisch“ unter den Boykott zu fallen habe, fielen nichtarisch finanzierte Geschäfte nicht unter den Boykott. Das sahen nationalsozialistische Kenner der Frankfurter Geschäftswelt offensichtlich anders.

 

Beim Boykott am 1. April werden die Schaufenster des arischen Textilgeschäftes Kreuzner eingeworfen, nach Behauptung des Besitzers von „nichtdeutschen Elementen“.



Autor/in: Jürgen Steen
erstellt am 01.01.2003
 

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