Die „Säuberung“ der Universität

Akademische Feier in der Aula der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Fotografie 1935

Entzug der Lehrbefugnis für Georg Ludwig Dreyfus, Schreiben des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 2. September 1933

Ehrenwörtliche Versicherung eines Mitarbeiters des Instituts für Physikalische Grundlagen der Medizin, dass ihm keine „nichtarischen Einschläge“ in seiner Familie bekannt seien

Entpflichtung Otto Schnaudigels, Schreiben des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 5. März 1935 mit dem handschriftlichen Kommentar des Betroffenen: „Grob, aber deutlich!“

Laut einer Liste der Universität sind 1933 und in den folgenden Jahren 109 Dozenten als „jüdisch“ oder „jüdisch versippte“ sowie 16 Dozenten aus politischen Gründen entlassen worden. Bezogen auf die Ende 1932 vorhandenen Dozentenstellen entspricht das einem Anteil von fast 37 Prozent.

Die Fotografie zeigt die weitgehend gesäuberte akademische Gemeinschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität: Mitglieder der NS-Dozentenschaft und des NSDStB, von SA, SS und HJ nehmen an der Feier in Uniform teil. Am oberen Bildrand stehen einige Vertreter studentischer Korporationen. Im Verlauf des Jahres 1935 werden auch sie aus der Öffentlichkeit der Universität verschwinden. Sonst zeigt die Fotografie die übergroße Mehrheit der Dozenten, die nicht betroffen waren, bei der Säuberung zu- oder weggeschaut hatten und 1935 immer noch glaubten, dass die deutsche Universität schließlich doch ihren Idealen zweckfreier und unpolitischer Wissenschaft entsprechen werde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass schon vor 1933 „nationale Gesinnung“ nicht als politische Gesinnung gegolten hatte.

In der ersten Reihe links sitzt Rektor Walter Platzhoff, Anfang August 1934 zum Rektor und Führer der Frankfurter Universität ernannt. Vierter von links ist der Kurator der Universität August Wisser.

Die formalen Grundlagen zur Säuberung des Lehrkörpers der Universität boten das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums", die Nürnberger Gesetze und der Erlass über die Entfernung jüdisch Versippter. Zwar sah das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ eine Ausnahmeregelung für Frontsoldaten des Ersten Weltkriegs vor, massive Vorlesungsstörungen durch den NSDStB, für die seitens der Universitätsverwaltung regelmäßig Verständnis geäußert und Verzicht auf die Vorlesung empfohlen wurde, beschleunigten die Säuberung. Die Empfehlung des Vorlesungsverzichts war infam, weil nach Universitätsrecht die Beurlaubung mit einem Vorlesungsverzicht begründet werden konnte. Tatsächlich zog die Universitätsleitung solche „Begründungen“ hinzu, wenn ein „jüdischer“ Hochschullehrer durch die Ausnahmeregelungen, vor allem den Frontkämpferparagrafen, geschützt war. Als ergiebig erwies sich auch Paragraf vier des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, der gegen den Nationalsozialismus gerichtete Äußerungen und Taten mit Entlassung bedrohte. Entsprechende Denunziationen, vor allem von nationalsozialistischen Studenten, Assistenten und Dozenten gezielt (und zielstrebig) vorgebracht, förderten die „Säuberung“ erheblich. Die Behauptung abfälliger Bemerkungen über Adolf Hitler, den Nationalsozialismus und das nationale Deutschland, die Jahre zurückliegen konnten, wurden vom neuen Kurator regelmäßig als glaubwürdig eingeschätzt.

Am 11. Juli 1933 beschloss die Universitätsführung (Rektor und Dekane), dass jeder Universitätsangehörige die arische Zugehörigkeit zu bezeugen habe. Am 21. Januar 1935 senkte der Reichserziehungsminister per Erlass das Emeritierungsalter von 70 auf 60 Jahre. Damit sollten Stellen freigemacht und ältere, dem neuen Geist gegenüber uneinsichtige Professoren entpflichtet werden, denen sonst nichts anzuhaben war. Im Unterschied zu den Entlassenen gehörten sie als emeriti weiterhin der akademischen Gemeinschaft an und wurden im Vorlesungsverzeichnis genannt.

Ein Rundschreiben des Führers der NS-Dozentenschaft vom 20. Oktober 1934 forderte die örtlichen Dozentenschaften „Streng vertraulich!!“ auf, „genaue gutachterliche Unterlagen über die wissenschaftlichen, charakterlichen und politischen Eigenschaften“ aller Professoren zu erstellen. Mit übersandt wurden Formulare für „politische Gutachten“. Die vorgefertigten Rubriken waren entsprechend anzukreuzen:

"N.S. Kämpferischer, jederzeit einsatzfähiger Nationalsozialist+ Bejahend, positiv zum heutigen Staat eingestellt, aber kein Kämpfer? Politisch völlig uninteressiert, keine bestimmte Haltung, verwaschen, schwankend, undurchsichtig- Liberalist, in demokratischen Anschauungen wurzelnd= Marxist, ausgesprochener Gegner des Nationalsozialismus* Jude oder mit Juden versippt$ Reaktionär, immer verneinend, Kritikaster% 110 %ig, aufdringlich, Schreier"

Die Universität hat nach 1945 einige Jahre gebraucht, um die Namen der 1933 und in den folgenden Jahren vertriebenen Dozenten zusammenzustellen. Eine Liste vom 1. März 1949 nennt 109 als „jüdisch“ oder „jüdisch versippte“ beurlaubte Dozenten und 16 aus politischen Gründen ausgeschlossene.

 

Literatur

Burkhard, Benedikt/Gemeinhardt, Anne/Jung, Jenny/Zwilling, Jutta (Hrsg.), Eine Stadt macht mit: Frankfurt und der NS, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2022, S. 170-179

Epple, Moritz/Fried, Johannes/Gross, Raphael/Gudian, Janus (Hrsg.), "Politisierung der Wissenschaft": Jüdische Wissenschaftler und ihre Gegner an der Universität Frankfurt vor und nach 1933, Wallstein-Verlag, Göttingen 2016

Hammerstein, Notker, Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Bd. I: Von der Stiftungsuniversität zur staatlichen Hochschule, 1914-1950, Wallstein-Verlag, Göttingen 2012

Heuer, Renate (Hrsg.), Die Juden der Frankfurter Universität, Campus-Verlag, Frankfurt am Main/New York 1997

Kobes, Jörn (Hrsg.), Frankfurter Wissenschaftler zwischen 1933 und 1945, Wallstein-Verlag, Göttingen 2008

Laut einer Liste der Universität sind 1933 und in den folgenden Jahren 109 Dozenten als „jüdisch“ oder „jüdisch versippte“ sowie 16 Dozenten aus politischen Gründen entlassen worden. Bezogen auf die Ende 1932 vorhandenen Dozentenstellen entspricht das einem Anteil von fast 37 Prozent.



Autor/in: Janine Burnicki/ Jürgen Steen
erstellt am 01.01.2003
 

Verwandte Personen

Platzhoff, Walter


Wisser, August

Verwandte Ereignisse

Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums


Nürnberger Gesetze

Verwandte Begriffe

arisch


Dekan


deutsch


Emeriti


Frontkämpferparagraf


jüdisch


Korporationen


SA


Säuberung


SS

Verwandte Orte

HJ


Johann Wolfgang Goethe-Universität


NSDStB


Rektor

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