Geschichte der Frankfurter Juden bis zum Ende des Ersten Weltkriegs

Die erste Erwähnung von Juden in Frankfurt in der Handschrift „Eben ha Eser“ Rabbi Eliesers ben Nathan aus Mainz, um 1150

Entwicklung der Bebauung in der Judengasse von 1500-1600

"Plünderung der Judengasse am 22. August 1650; Kupferstich von Andreas Gentsch, um 1614"

"Hinrichtung der Anführer des Aufstands und Rückführung der jüdischen Gemeinde, 1616; anonym, um 1616, Holzschnitt"

Einweihung der Hauptsynagoge in der Judengasse (später Börnestraße) am 23.3.1860

Hotel Kölner Hof, 1897, mit antisemitischer Hinweistafel

Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts entwickelte sich in Frankfurt trotz mehrfacher Pogrome und Vertreibungen eine bedeutende jüdische Gemeinde, die vom 15. bis 18. Jahrhundert in der schmalen „Judengasse“ ghettoisiert und rechtlich diskriminiert war. Aufklärung und Emanzipation führten im 19. Jahrhundert zur rechtlichen Gleichstellung. Nach der Reichsgründung 1871 hatten die Frankfurter Juden bedeutenden Anteil am wirtschaftlichen und kulturellen Ausbau der Stadt.

Spätestens seit der Mitte des 12. Jahrhunderts gab es in der mittelalterlichen Messestadt Frankfurt eine jüdische Gemeinde, deren Wohnhäuser südlich des Doms standen. Entsprechend der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung waren ihre Aktivitäten auf Handel und Geldverleih beschränkt, geschützt durch kaiserliche Privilegien. Dennoch kam es im Zuge des allgemeinen mittelalterlichen Antijudaismus der christlichen Mehrheitsbevölkerung zu zwei großen Pogromen (1241 und 1349), bei denen jeweils die Mitglieder der Gemeinde entweder umgebracht oder vertrieben wurden. Wegen der Bedeutung Frankfurts als Handelsstadt kam es aber beide Male wieder zu einem Neubeginn, an dem die Stadtregierung und jüdische Zuwanderer aus wirtschaftlichen Gründen gleichermaßen interessiert waren.

Als gegen Ende des Mittelalters der kaiserliche Einfluss auf die Ratspolitik zurückgegangen war und zugleich europaweit eine Welle administrativer Diskriminierungen gegen Juden in Gang gesetzt wurde, kam es zu einer weiteren Zäsur in der Entwicklung der jüdischen Gemeinde. 1462 ordnete die städtische Regierung an, dass alle Juden ihr angestammtes Quartier südlich des Domes verlassen und außerhalb der alten Stadtmauer in einer neu zu errichtenden „Judengasse“ neue Häuser beziehen sollten. Die Gasse wurde an beiden Enden durch verschließbare Tore begrenzt, und der beschränkte Lebensraum dieses Ghettos verknappte sich für die Bewohnerschaft durch stärker werdenden Zuzug im Laufe der nächsten Jahrhunderte in immer unerträglicherer Weise.

Aber auch diese räumliche Separierung bewahrte die Menschen in der Judengasse nicht vor einem weiteren Pogrom. 1614 führte ein Handwerkeraufstand unter Vinzenz Fettmilch gegen die bisherige Stadtregierung auch zu einer Vertreibung der gesamten städtischen Judenschaft, die erst nach kaiserlicher Intervention und Niederschlagung des Aufstands rückgängig gemacht werden konnte.
Die rechtliche Situation der jüdischen Gemeinde wurde nun in einer „Stättigkeit“ genannten Ordnung für die nächsten 200 Jahre kodifiziert. Der Angriff der französischen Revolutionsheere im Jahre 1796 auf Frankfurt beendete durch die Zerstörung eines Teils der Judengasse diesen Zustand zunächst räumlich. Die wirtschaftlichen und rechtlichen Reformen im Gefolge der napoleonischen Neuordnung führten schließlich 1810 vorübergehend auch zur bürgerlichen und politischen Gleichstellung der jüdischen mit der christlichen Bevölkerung der Stadt. Die Restauration von 1815 drehte diese Entwicklung in großen Teilen wieder zurück – erst 1864, kurz vor der Annektion der Stadt durch Preußen, wurden die letzten diskriminierenden Bestimmungen aufgehoben.

Die Zeit zwischen Französischer Revolution und der Gründung des Deutschen Reichs 1871 war für die innere Entwicklung der jüdischen Gemeinde dennoch von großer Bedeutung. Der Aufbruch aus dem Ghetto hatte enorme soziale, wirtschaftliche und geistesgeschichtliche Folgen, wie es beispielhaft die Geschichte der Bankiers- und Handelsdynastie Rothschild mit ihrer europäischen Perspektive oder das Wirken des Schriftstellers und Journalisten Ludwig Börne zeigen. Die Spannung zwischen Tradition und Moderne veränderte auch die innere Struktur der Gemeinde: 1851 spaltete sie sich in einen großen liberal-konservativen (die Israelitische Gemeinde) und einen kleinen streng orthodoxen (die Israelitische Religionsgesellschaft) Teil mit (endgültig seit 1876) jeweils eigenen Synagogen und sozialen Einrichtungen.

An der enormen wirtschaftlichen und demografischen Expansion, die die Geschichte Frankfurts von der Reichsgründung bis zum Ersten Weltkrieg kennzeichnet, hatten die jüdischen Einwohner entsprechenden Anteil (der in Hinblick auf die Einwohnerzahl allerdings nie fünf bis sechs Prozent überstieg). Mit der bürgerlichen Emanzipation, den Bemühungen um Integration in die Gesellschaft des neuen deutschen Kaiserreichs und Assimilation an und Mitgestaltung von deren kulturellen Leitbildern wuchs auch die Bedeutung der jüdischen Bürger für die Entwicklung der Stadt, wie nicht zuletzt die zahlreichen Stiftungen jüdischer Familien bezeugen. Die Prosperität der jüdischen Gemeinden in Frankfurt fand ihren architektonischen Niederschlag in zahlreichen Neu- oder Umbauten von Synagogen, Schulen und sozialen Einrichtungen. Politischen Gegenwind erfuhr diese jüdische Emanzipation durch die gleichzeitig emporkommende Bewegung des modernen Antisemitismus, der auch in Frankfurt im Hotel „Kölner Hof“ einen Stützpunkt fand.

In den Ersten Weltkrieg zogen die jüdischen Männer gleichermaßen beeinflusst vom deutsch-nationalen Pathos jener Zeit wie ihre christlichen Mitbürger und dennoch wurden sie 1916 an ihre andere Herkunft erinnert: Durch die „statistische Erhebung über die Dienstverhältnisse der deutschen Juden“, der Registrierung aller jüdischen Armeeangehörigen, wollte die Militärführung den in Armee und Zivilbevölkerung verbreiteten Vorwürfen von „Drückebergerei der Juden“ Rechnung tragen. Diese staatlich verordnete Diskriminierung förderte den vorhandenen Antisemitismus ganz erheblich und bedeutete eine politische Hypothek mit fatalen Fernwirkungen über das Kriegsende von 1918 hinaus.

 

 

Literatur::

Paul Arnsberg, Die Geschichte der Frankfurter Juden seit der Französischen Revolution, hg. von H.-O. Schembs, 3 Bde., Darmstadt 1983

Isidor Kracauer, Die Geschichte der Juden in Frankfurt am Main 1150–1828, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1925/27

Rachel Heuberger/Helga Krohn, Hinaus aus dem Ghetto … Juden in Frankfurt am Main 1800–1950, Frankfurt am Main 1988

Ernst Karpf, „Und mache es denen hiernächst Ankommenden nicht so schwer …“, Kleine Geschichte der Zuwanderung nach Frankfurt am Main, Frankfurt 1993

Inge Schlotzhauer, Ideologie und Organisation des politischen Antisemitismus in Frankfurt am Main 1880–1914 (Studien zur Frankfurter Geschichte 28), Frankfurt am Main 1989

„Groß war bei der Tochter Zion‘s Jammer und Klage“. Die Ermordung der Frankfurter Juden im Jahre 1241 (Schriftenreihe des Jüdischen Museums Frankfurt 1), Sigmaringen 1995

Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts entwickelte sich in Frankfurt trotz mehrfacher Pogrome und Vertreibungen eine bedeutende jüdische Gemeinde, die vom 15. bis 18. Jahrhundert in der schmalen „Judengasse“ ghettoisiert und rechtlich diskriminiert war. Aufklärung und Emanzipation führten im 19. Jahrhundert zur rechtlichen Gleichstellung. Nach der Reichsgründung 1871 hatten die Frankfurter Juden bedeutenden Anteil am wirtschaftlichen und kulturellen Ausbau der Stadt.



Autor/in: Ernst Karpf
erstellt am 01.01.2003
 

Verwandte Begriffe

Antijudaismus


Antisemitismus

Verwandte Orte

Israelitische Gemeinde


Israelitische Religionsgesellschaft


Kölner Hof

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