In Frankfurt sind die Zeugen Jehovas seit 1910 tätig. 1933 wurde die Religionsgemeinschaft verboten, ab 1935 wurden Sondergerichtsprozesse gegen sie geführt, zahlreiche Gläubige verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. Von den 10.000 Zeugen Jehovas in Deutschland, die Opfer des Nationalsozialismus wurden, waren mindestens 152 aus Frankfurt. Von diesen waren mehr als 70 in Konzentrationslagern, 18 Todesfälle sind nachgewiesen. Nach der Befreiung 1945 zählte die Gemeinde etwa 250 Personen.
Den ersten Vortrag der „Internationalen Bibelforscher-Vereinigung“ in Frankfurt besuchten 1910 mehr als 300 Personen. Marie Schättle gehörte zur ersten Bibelforscher-Gruppe, die 1925 bereits gut 200 Personen zählte (Stadt und Umgebung ohne Offenbach). Die Film- und Lichtbild-Vorführungen des „Photo-Dramas der Schöpfung“ (1914) und des „Schöpfungsdramas“ (1930 im überfüllten Hippodrom) machten die christliche Religiongemeinschaft bekannt. 1931 versammelte sich die Gemeinde im Alten Gewerschaftshaus und stimmte dem neuen Namen „Jehovas Zeugen“ zu. Durch sonntägliche Missionsfahrten mit einem Mineralwasser-LKW verbreitete sie ihre Glaubenslehren bis in den Taunus, den Odenwald und an den Rhein.
Sofort nach dem Verbot der Bibelforscher-Vereinigung am 19. April 1933 schloss die Polizei den Versammlungsraum in der Vilbeler Straße 4, beschlagnahmte die dortige Wachturm-Literatur und den wertvollen „Schöpfungsdrama-Lichtbildapparat", wobei er beschädigt wurde. Die Adressen der rund 2.000 Abonnenten der Zeitschrift „Das Goldene Zeitalter“ fand die Polizei nicht – der Verteiler war getarnt. Das Verbot schüchterte die Zeugen Jehovas nicht ein. „Einmütig versammelten wir uns in meiner Wohnung mit allen Brüdern, um gegen die Behinderung unserer Gottesdienstfreiheit zu protestieren“, berichtet Adolf Krämer, der in der Mainzer Landstrasse 606 wohnte, über die landesweite Aktion vom 7. Oktober 1934. „Telegramme wurden nach Berlin gesandt.“ Bald ging die Gestapo bei vielen Gläubigen ein und aus. Doch „wir predigten weiter, so gut es ging“, schrieb Adolf Krämer, und „abwechselnd kamen wir in kleinen Gruppen zusammen.“
Am 12 Dezember 1936 führten sie aus Protest eine spektakuläre Flugblattaktion durch, und einige wiederholten die Briefkastenaktion im Februar 1937. Nach einer Gruppentaufe (fünf neue Zeugen Jehovas) schlug die Gestapo zu – im März 1937 verhaftete sie 40 Gläubige, unter ihnen Marie Schättle. Sie durchlief die Frauen-KZ Moringen, Lichtenburg und Ravensbrück, wobei sie nach eigenen Worten „Hunger, Kälte, Entbehrung“ erduldete. Das Frankfurter Sondergericht verhandelte gegen insgesamt 188 Zeugen Jehovas. Am 14. April 1937 fand der erste von drei großen Bibelforscherprozessen (62 Angeklagte) statt. Die Presse berichtete darüber. Adolf Krämer gehörte zu den Verurteilten, und er sollte seine Familie – bei seiner Verhaftung am 16. März 1937 hatte er seine schwangere Frau und zwei kleine Kinder zurückgelassen – erst 98 Monate später, nach der Befreiung aus dem KZ Buchenwald im Mai 1945, wieder sehen. Der wegen seines Glaubens aus dem Dienst als Postschaffner entlassene Valentin Steinbach aus der Schwarzburgstrasse 26 war die Höchstdauer von 109 Monaten inhaftiert (KZ Lichtenburg, Buchenwald und Mauthausen). Die inhaftierten Zeugen Jehovas konnten ihre Freiheit durch eine Unterschrift erlangen, wenn sie ihrem Glauben abschworen, doch nur sehr wenige unterschrieben.
Nach der Befreiung 1945 kehrten die Frankfurter Zeugen Jehovas aus der Haft zurück und begannen bald wieder mit ihrer Missionstätigkeit. Die Nachkriegsgemeinde bestand aus 250 Gläubigen. Heute gibt es mehr als 2.000 Zeugen Jehovas in der Stadt.
Literatur::
Gerhard Besier/Clemens Vollnhals (Hg.), Repression und Selbstbehauptung: Die Zeugen Jehovas unter der NS- und der SED-Diktatur. Berlin 2003, www.standfirm.de/
Hans Hesse (Hg.), „Am mutigsten waren immer wieder die Zeugen Jehovas“ – Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus, Bremen 2000.
Max Hollweg, Es ist unmöglich von dem zu schweigen, was ich erlebt habe – Zivilcourage im Dritten Reich, Bielefeld 2000.
Erika Krämer, „Die Opfer mit dem lila Winkel“. Biografie des Frankfurter Zeugen Jehovas Jakob Krämer, in: Worms 2006. Heimatjahrbuch für die Stadt Worms, S. 157-160.
Erika Krämer „Freitag, 27. April – Zeuge Jehovas“. Geschichte der Befreiung des Frankfurter Zeugen Jehovas Josef Niklasch, in: Stefan Hebel, Alltag in Trümmern, hg. von der Frankfurter Rundschau, Frankfurt am Main 2005 (auch als Artikel in: Frankfurter Rundschau vom 29.4.2005, S. 8.)
Erika und Günter Krämer, Frankfurter Zeugen Jehovas unter der NS-Diktatur, Hg. vom Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt am Main 2005.
Erika Krämer, „Mögen die Tage der Gesetzlosen bald ein Ende haben, möge der Kriegslärm bald verstummen“. Biografie des Frankfurter Zeugen Jehovas Jakob Krämer, in: informationen Studienkreis Deutscher Widerstand Frankfurt, Nr. 59, Mai 2005, 29. Jg., S. 17-20.
Wolfgang Wippermann, Der Kirchenkampf in Frankfurt, in: ders.: Das Leben in Frankfurt zur NS-Zeit – IV. Der Widerstand. Darstellung, Dokumente und didaktische Hinweise. Frankfurt am Main 1986.
Johannes Wrobel, Die nationalsozialistische Verfolgung der Zeugen Jehovas in Frankfurt am Main, in: Kirchliche Zeitgeschichte (KZG) – Internationale Zeitschrift für Theologie und Geschichtswissenschaft, 16. Jg., Heft 2/2003, S. 368-462.
Link zur Homepage "Forschung zur Geschichte der Zeugen Jehovas in Frankfurt am Main": geschichte-jz-ffm.de
In Frankfurt sind die Zeugen Jehovas seit 1910 tätig. 1933 wurde die Religionsgemeinschaft verboten, ab 1935 wurden Sondergerichtsprozesse gegen sie geführt, zahlreiche Gläubige verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. Von den 10.000 Zeugen Jehovas in Deutschland, die Opfer des Nationalsozialismus wurden, waren mindestens 152 aus Frankfurt. Von diesen waren mehr als 70 in Konzentrationslagern, 18 Todesfälle sind nachgewiesen. Nach der Befreiung 1945 zählte die Gemeinde etwa 250 Personen.