Heinrich Schafranek lebte seit 1928 als österreichischer Handelsattaché in Frankfurt am Main. Die Söhne Friedrich und Herbert besuchten ab 1935 das jüdische Philantropin. 1938 verlor der Vater seinen Diplomatenstatus, die Emigration der Familie scheitert am Kriegsausbruch. 1941 wurde sie in der ersten Deportation ins Ghetto Lodz verschleppt, dort kam der Vater um. Friedrich überlebte die Deportation nach Auschwitz und später auch die in ein bayerisches KZ. Nach Kriegsende konvertierte er zum evangelischen Glauben, emigrierte nach Australien, wurde dort Pfarrer und kehrte 1974 nach Deutschland zurück.
„Ich habe mir einen Satz immer wieder gesagt: Ich muss den Hitler überleben. Ich muss! Jetzt hat er mir meine Eltern genommen, meinen Bruder. Vielleicht … bin ich der einzige.“ (Friedrich Schafranek)
Eine österreichische Diplomatenfamilie in Frankfurt
Der Wirtschaftswissenschaftler Heinrich Schafranek zieht 1928 als Handelsattaché aus Wien nach Frankfurt am Main. Er gehört den österreichischen Sozialdemokraten an und ist mit dem später von den Nazis mit KZ-Haft verfolgten österreichischen Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg (1897-1977) befreundet. Mit Ehefrau Olga und den beiden Söhnen Friedrich und Herbert bewohnt er eine Sieben-Zimmer-Wohnung im Kettenhofweg 83, wo auch die Amtsgeschäfte abgewickelt werden. Ab 1934 lebt die Familie in der Kronberger Straße 30, das Büro befindet sich seitdem nahe der Oper.
Die passionierte Bridgespielerin Olga Schafranek nimmt in Frankfurt an Turnieren teil. Gemeinsam mit ihrem Ehemann gehört sie dem Tennisclub im Palmengarten an. Um die Fremdsprachenkenntnisse der beiden Jungen zu fördern, schickt Heinrich Schafranek seine Söhne jeweils für ein halbes Jahr auf Schulen in Großbritannien und Frankreich. Nach der Rückkehr 1935 besuchen sie die jüdische Lehranstalt Philanthropin. Wegen seiner guten Fremdsprachenkenntnisse darf Friedrich Schafranek die erste Klasse des Gymnasiums überspringen. Er gehört mit Begeisterung zur Fußballabteilung des Schulsportvereins. Herbert Schafranek wiederum ist ein begabter Leichtathlet.
Die Verfolgung beginnt schleichend
Auch für die beiden Brüder wird die Welt im Laufe der NS-Zeit immer enger. Auf dem Schulweg lauern ihnen mehrfach HJ-Jungen auf, um beide zu verprügeln. Zunehmend beschränkt sich deshalb ihr Freundeskreis auf Kinder aus jüdischen Familien. Der jüngere Herbert kann das Abitur nicht mehr ablegen, weil die jüdische Schule 1941 keine Reifeprüfung mehr abnehmen darf. Er beginnt eine Ausbildung zum Schreiner in der Jüdischen Anlernwerkstätte.
Nach dem so genannten „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich am 13. März 1938 verliert Heinrich Schafranek seine Stellung und die Privilegien als Diplomat. Seitdem lädt ihn die Geheime Staatspolizei mehrfach zu Verhören vor. Die Familie muss fortan von ihren Ersparnissen leben und verarmt durch die Zwangsabgaben für Juden, etwa die „Judenvermögensabgabe“, zunehmend. Der wertvolle Schmuck Olga Schafraneks, der auch als materielle Sicherheit der Familie gedacht war, muss Anfang 1939 zwangsweise bei der Städtischen Darlehensanstalt abgeliefert werden.
Heinrich Schafranek versucht mehrfach, mit seiner Familie in das Exil zu flüchten. Ein erster Versuch, in die Schweiz auszureisen, scheitert am eingestempelten „J“ für „Jude“ in den Pässen. Die Wartenummern für die USA hätten eine Einreise erst 1952 ermöglicht. So liegt alle Hoffnung auf Australien, seit der dort lebende Bruder von Heinrich Schafranek für die Familie bürgt. Die Devisenstelle genehmigt die Mitnahme der Umzugsgüter, darunter umfangreiche Bücherkisten. Doch die auf der „MS Oranje“ für den 1. September 1939 gebuchte Passage kann die Familie wegen des Kriegsbeginns nicht mehr antreten.
Auf Druck des Vermieters zieht die Familie 1940 in die Leerbachstraße 10 um. Damit sie dort die Kosten tragen kann, nehmen sie Rosa Wermuth, die ehemalige Sektretärin von Heinrich Schafranek, und eine weitere Dame in zwei Zimmern der Wohnung auf.
Verschleppt in die Großmarkthalle
Am 19. Oktober 1941, einem Sonntag, fordern um sechs Uhr früh SA- und Gestapo-Leute die vierköpfige Familie unvermittelt auf, sich auf das sofortige Verlassen ihrer Heimstatt einzurichten und jeweils zwei Koffer zu packen. „Mein Vater war in dem Augenblick, in dem wir verhaftet wurden, ein geschlagener Mann“, erinnert sich Friedrich Schafranek 1998 an die Deportation. Heinrich Schafranek muss noch in der Wohnung ein Formular unterzeichnen, das den Einzug seines Vermögens als „volks- und staatsfeindlich … zugunsten des Deutschen Reiches“ bestätigt. Zuvor hat er eine detaillierte Liste seines Vermögens aufstellen müssen.
Im stundenlangen Marsch mit anderen Verfolgten müssen Schafraneks eskortiert von SA-Leuten entlang des Anlagenrings zur Großmarkthalle laufen. Hausmeister Hartmann lässt es sich trotz aller Anfeindungen nicht nehmen, ihr Gepäck auf einem Leiterwagen zu transportieren und der Familie damit einen letzten Dienst zu erweisen. Viele Frankfurter stehen entlang des Weges, um die Menschen mit faulem Gemüse zu bewerfen, zu bespucken und zu beschimpfen. Gerüchte über eine bevorstehende Deportation kursieren bereits in der Woche vor dem 19. Oktober 1941 in der Stadt. Die Geheime Staatspolizei zwingt deshalb den Vorstand der Jüdischen Gemeinde, im Freitags-Gottesdienst am 17. Oktober die Befürchtungen zu entkräften, um die Opfer in Ungewissheit zu lassen. Dennoch finden sich nicht nur an der Großmarkthalle zahlreiche Schaulustige ein. Ein Brief des in der NS-Zeit politisch verfolgten Schriftstellers und Journalisten Alfons Paquet zeigt deutlich die recht genaue Kenntnis über das voraussichtliche Schicksal der Verschleppten auch unter Nicht-Juden: „Ist nun das alles der Abschluss einer tausendjährigen Episode in dieser Stadt …? … Und doch sind das alles nur Teile der grausigen Dinge, die im ganzen Osten geschehen, der vorige Krieg war noch mild dagegen …“
Die Organisation dieser ersten Frankfurter Deportation ist chaotisch. Die Verschleppten wohnen überwiegend im wohlhabenden Westend Frankfurts. Offensichtlich geht es darum, hochwertigen Wohnraum für nicht-jüdische Frankfurter frei zu machen. Denn nur für diese Deportation erhält die Jüdische Gemeinde, die später die Transportlisten unter bestimmten Vorgaben zusammenstellen muss, von der Geheimen Staatspolizei eine Namenliste mit 1.200 Personen. Die SA-Standarten haben detailliert den „frei gewordenen Wohnraum“ zu melden. Die Zuständigkeit für die „Verwendung von Judenwohnungen“ liegt bei der Gauleitung unter Jakob Sprenger, einem fanatischen Antisemiten.
Die Familie kommt gegen Mittag in der Sammelstelle Großmarkthalle an. Dort müssen sich am Nachmittag sämtliche Frauen und Mädchen einer entwürdigenden Leibesvisitation in Anwesenheit von SA- und SS-Männern unterziehen. Danach sehen Friedrich und Herbert Schafranek ihre Mutter zum ersten Mal völlig verstört und weinend. In der Nacht müssen die Menschen einen alten Personenzug mit Einzelabteilen der 3. Klasse besteigen.
Deportiert in das Ghetto Lodz
„SS-Posten schrien ‚raus, raus‘. In der Ferne sahen wir Häuser. Wir nahmen unsere Köfferchen etc. und marschierten los. Da waren diese Männer in ganz komischen Uniformen. Es stellte sich heraus, dass dies jüdische Polizisten aus Litzmannstadt waren. Jetzt erfuhren wir erst, dass wir ins Ghetto Litzmannstadt [Lodz] kamen.“ (Friedrich Schafranek, 2004)
Der Zug aus Frankfurt trifft am 21. Oktober 1941 um 13.36 Uhr auf dem Bahnhof Radegast in Lodz ein. Das Entladen der Waggons dauert 35 Minuten. Vom Bahnhof geht es unter Bewachung zu Fuß ins Ghetto. Die „Frankfurter Zeitung“ hatte schon im Mai 1940 über die Einrichtung des Ghettos in Lodz berichtet. Viele der später dorthin Deportierten werden den Artikel gelesen haben, der die vollständige Isolierung der eingepferchten Menschen positiv schildert.
Im Ghetto Lodz
Das im jüdischen Armenviertel von Lodz eingerichtete Ghetto besteht seit Frühjahr 1940. Damals wurden 164.000 Juden aus dem von den Deutschen in Litzmannstadt umbenannten Lodz dort zusammengetrieben. Die Bevölkerungsdichte im Ghetto liegt bald sieben Mal über jener der Vorkriegszeit. Der NS-Staat verschleppt 1941 und 1942 etwa 20.000 Juden aus Deutschland, Österreich, der Tschechoslowakei und Luxemburg sowie 18.500 Juden aus dem Warthegau in das Ghetto. Der Zug aus Frankfurt ist der sechste dieser Transporte.
Die Frankfurter Deportationsliste für Lodz führt 1.125 Menschen auf. Tatsächlich werden jedoch etwa 1.180 Personen deportiert. Elf Menschen töten sich im Zusammenhang mit der Deportation. Allein in den ersten sechs Monaten sterben im Ghetto rund 200 der Frankfurter Verschleppten an Unterernährung oder durch Kälte. Einige setzen in Verzweiflung dort ihrem Leben selbst ein Ende.
Bis zur Auflösung im Sommer 1944 passieren insgesamt circa 204.800 Menschen das Ghetto. Ein Fünftel von ihnen stirbt aufgrund der schlechten Lebensbedingungen. Von Januar bis Mai 1942 werden 55.000 Juden sowie 5.000 Sinti und Roma aus Lodz in das nahe gelegene Chelmno deportiert und dort in Gaswagen ermordet. Weiteren Todestransporten nach Chelmno fallen im September 1942 nochmals 20.000 Ghettobewohner – meist Ältere, Kinder und Schwache – zum Opfer. Die im Ghetto verbliebene Bevölkerung wird im Sommer 1944 in die Vernichtungslager Chelmno und Auschwitz transportiert. Nur drei Personen des Frankfurter Transports überleben bis zur Befreiung.
Die Organisation des Ghettolebens liegt beim „Ältestenrat“ unter Chaim Rumkowski, den die Geheime Staatspolizei kontrolliert. Der „Ältestenrat“ wird mit der Ankunft der Verschleppten aus Deutschland und den anderen Ländern vor große Probleme gestellt. Schulen müssen geschlossen werden, um Sammelunterkünfte für die Neuankömmlinge bereitstellen zu können. Auch Familie Schafranek muss zunächst in einem Klassenzimmer mit 100 anderen Frankfurtern, darunter der blinde Organist der Westend-Synagoge Siegfried Würzburger, auf dem Boden schlafen. Die meisten Unterkünfte befinden sich in Holzhäusern ohne Wasser- und Abwasseranschluss. Schafraneks wird später ein zehn Quadratmeter großes Zimmer mit zwei Holzpritschen zugewiesen. Die verdreckten Toiletten für rund 25 „Wohnungen“ befinden sich im Hof. Dort muss auch das Trink- und Waschwasser geschöpft werden.
Die Ghettoverwaltung leitet der Bremer Kaufmann Hans Biebow. Er ordnet schon 1940 die Errichtung von Fabriken an. Dort werden bis zu 79.000 Juden als Zwangsarbeiter ausgebeutet und damit ein Gewinn von rund 350 Millionen Reichsmark erwirtschaftet. Das Ghetto entwickelt sich so zu einem gigantischen Zwangsarbeiterlager. Nur diejenigen, die Arbeit haben, besitzen eine gewisse Chance, den Deportationen in das Vernichtungslager Chelmno zu entgehen. Herbert Schafranek, der in Frankfurt in der Jüdischen Anlernwerkstätte eine Schreinerausbildung begonnen hatte, ist in einer Möbelfabrik beschäftigt, die Kinderbetten herstellt. Olga Schafranek schleift dort die Gitterstäbe für die Bettchen. Friedrich Schafranek, der in der Anlernwerkstätte Schlosser lernte, schweißt Griffe an Metalleimer. Das Ghetto ist in drei, durch Brücken miteinander verbundene Areale aufgeteilt, denn zwei Durchgangsstraßen mit Trambahnschienen werden weiterhin öffentlich genutzt. Olga Schafranek und ihr Sohn Herbert müssen zur Arbeit in das benachbarte Areal stets über eine Brücke gehen. Der Arbeitsplatz von Friedrich Schafranek liegt nahe der Wohnung. Bei der Arbeit erhalten sie mittags eine Suppe. Deshalb ist ihre Wochenration kleiner, als diejenige von Ghettoinsassen, die mittags selbst kochen. Die durchschnittliche Energiezufuhr liegt über Jahre pro Tag bei weniger als 1.100 Kalorien. Die ausgehungerten Ghettoinsassen streiken zuweilen für eine gehaltvollere Suppe. Überwiegend beteiligen sich daran die Halbwüchsigen. Auch Friedrich Schafranek schließt sich einer Demonstration in seinem Betrieb für bessere Essensrationen an.
Ermordung von Großmutter Eisinger und Heinrich Schafranek
Die verschleiernd „Aussiedlung” genannten Deportationen in das Vernichtungslager Chelmno werden durch Aushänge bekannt gemacht. Seit Ende 1941 baut das „Sonderkommando Lange“, das zuvor über 1.500 geistig Behinderte in Ostpreußen durch Gas ermordet hatte, als erstes Vernichtungslager Chelmno 55 Kilometer nordwestlich von Lodz auf. Hier werden nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 152.000 und 320.000 Menschen getötet. Dafür stehen drei Gaswagen bereit. Die Opfer müssen sich entkleiden und werden über eine geschlossene Rampe direkt in den Transportraum der LKW geprügelt. Das Ersticken dauert zehn Minuten. In Pabianice richtet die Ghettoverwaltung Lodz eigens ein Lager ein, wo die Habseligkeiten der in Chelmno Ermordeten sortiert und für die weitere Verwertung vorbereitet werden. Für die Verteilung von Kleidungsstücken an nicht-jüdische Deutsche muss beispielsweise der Davidstern entfernt werden. Die Leichen der Ermordeten haben Häftlinge im so genannten Waldlager bei Chelmno in vier Massengräbern zu begraben. Zuvor müssen sie den Leichen die Goldzähne herausbrechen und Wertgegenstände abnehmen. Später werden die Spuren der Massenmorde getilgt. Nach dem Öffnen der Gräber werden die Überreste der Menschen verbrannt und in einer Knochenmühle zermahlen.
Zu den Opfern im Frühjahr 1942 gehören auch Rosa Eisinger, die Mutter von Olga Schafranek, sowie der Ehemann ihrer verstorbenen Schwester Hugo Popper. Beide kamen mit einem Transport aus Wien in das Ghetto, wo sich die Familie noch einmal zufällig trifft. Als Schafraneks erneut Kontakt mit den Verwandten aufnehmen wollen, sind diese bereits abtransportiert. Am 12. und 13. Mai 1942 werden auch mehr als 500 der nach Lodz deportierten Frankfurter nach Chelmno gebracht und ermordet.
Gleichzeitig mit der zweiten Deportationswelle nach Chelmno im September 1942 bietet Heinrich Schafranek dem Ghettoverwalter Hans Biebow seine Dienste als Vermittler für die im Ghetto hergestellten Produkte an. Der Aufforderung seine Karte zu zeigen, kommt er durch Überreichen seiner Visitenkarte nach. Doch Biebow hatte die Kennkarte für Juden gemeint und schlägt sofort auf Heinrich Schafranek ein. Zwei Gestapo-Leute misshandeln ihn anschließend so schwer, dass der 64-Jährige zwei Tage später an inneren Blutungen stirbt. Die Ehefrau und die beiden Söhne kleiden Heinrich Schafranek in seinen grünen Pyjama, bringen den Leichnam auf einem Handkarren zum Ghettofriedhof und verscharren ihn mit bloßen Händen.
Im März 1943 müssen Olga und Friedrich Schafranek auch Herbert Schafranek dort bestatten. Der Bruder erwacht nach dem Zwangsarbeitseinsatz neben dem Toten. Herbert stirbt kurz vor seinem 17. Geburtstag an einer durch Unterernährung und eisige Kälte verursachten Tuberkulose.
Der weitere Leidensweg führt über Auschwitz
Im August 1944 wird das Ghetto Lodz, das inzwischen als letztes in Polen besteht, aufgelöst. Schon zuvor war es verkleinert worden, nachdem im Juni und Juli 1944 mindestens 7.176 Menschen nach Chelmno deportiert und ermordet worden waren. Im August werden mehr als 60.000 Juden nach Auschwitz verschleppt. Auch Olga Schafranek und ihr Sohn Friedrich leisten der Aufforderung zum Transport Folge und laufen zum Bahnhof Radegast. Sie kommen in einem Viehwaggon am 25. August in Auschwitz an. Es ist die drittletzte Deportation aus Lodz. Bei der Ankunft in Auschwitz wird die 50-jährige Olga Schafranek vom berüchtigten SS-Arzt Josef Mengele „selektiert“. „Als ich meine Mutter in die Gaskammer gehen sah, verlor ich jeglichen Glauben an Gott und fand ihn erst später wieder“, erinnert sich Friedrich Schafranek an den Moment, als ihm klar wurde, dass er fortan keine Familie mehr hat.
In Auschwitz muss sich Friedrich Schafranek vor der zwangsweisen eiskalten Dusche und Enthaarung von allem trennen, was er bis dahin retten konnte. Einen silbernen Ring mit der Gravur „F“, den ihm seine ebenfalls ermordete Freundin Ruth Eisenstein in Frankfurt schenkte, verschluckt er. Ihr Foto bleibt mit seinen Kleidern zurück. Nur seine Turnschuhe und den Gürtel darf er behalten. Der 20-jährige Friedrich Schafranek ist für den Arbeitseinsatz vorgesehen. Einige Monate später verschleppt ihn die SS im Viehwaggon nach Bayern in das Konzentrationslager Kaufering, wo er als Insasse von Lager IV, dem so genannten Typhuslager bei Hurlach Sklavenarbeit in einer Untertageanlage leisten muss. Vier Gefangenen, darunter auch Friedrich Schafranek, gelingt am 26./27. April 1945 die Flucht.
Das Leben Friedrich Schafraneks nach der Befreiung
Wegen seiner guten Fremdsprachenkenntnisse findet der KZ-Überlebende Friedrich Schafranek Arbeit bei der US-Armee. Unter anderem dient er als Übersetzer bei Kriegsverbrecherprozessen in Kaufbeuren. Zwei Wochen dolmetscht er auch während des Nürnberger Prozesses. Allein und ohne Angehörige zurückgeblieben feiert er Weihnachten 1945 im Kreis von Displaced Persons und Kollegen der US-Army. In Kaufbeuren tritt er 1946 zum evangelisch-lutherischen Glauben über und heiratet. Im Dezember 1947 wandert Schafranek nach Australien aus. Sein Onkel bürgt für ihn. In Australien steht der Fußballbegeisterte für die Nationalmannschaft der Amateure im Tor.
Um ein Studium der Theologie finanzieren und die Überfahrt zurückzahlen zu können, arbeitet er in verschiedenen Jobs. Die Geburten seiner drei Kindern lassen ihn das Studium zeitweilig unterbrechen. Doch letztlich kann der Überlebende sein ungewöhnliches Ziel realisieren: Er wird 1960 lutherischer Seelsorger und versorgt als Jugendpfarrer ganz Südaustralien. Das Heimweh lässt ihn 1974 nach Deutschland zurückkehren, wo er bis zu seiner Pensionierung in Süddeutschland als Dorfpfarrer arbeitet.
Literatur:
Heike Drummer/Jutta Zwilling, Lodz. 10.10.1941, in: Jüdisches Museum Frankfurt am Main (Hg.), „… und keiner hat für uns Kaddisch gesagt …“. Deportationen aus Frankfurt am Main 1941 bis 1945, Frankfurt am Main 2004, S. 175-203.
Sascha Feuchert (Hg.), Die Chronik des Gettos Lodz, Litzmannstadt, 5 Bde., Göttingen 2007.
Ders./Erwin Liebfried/Jörg Riecke, Letzte Tage. Die Lodzer Getto-Chronik Juni/Juli 1944, Göttingen 2004.
Andrea Löw, Juden im Getto Litzmannstadt. Lebensbedingungen, Selbstwahrnehmung, Verhalten, Göttingen 2006.
Hanno Loewy/Gerhard Schoenberger, „Unser einziger Weg ist Arbeit“. Das Getto in Lodz 1940-1944, Wien 1990.
Friedrich Schafranek, Meine Eindrücke vom Philanthropin, in: Gerlind Schöbel, Der Mandelzweig soll wieder Blüten tragen. Erinnerungen an das Philanthropin in Frankfurt zum 200-jährigen Jubiläum, Frankfurt am Main 2004, S. 101-114.
Oskar Singer, „Im Eilschritt durch den Gettotag …“. Reportagen und Essays aus dem Getto Lodz, Sascha Feuchert (Hg.), Berlin 2002.
Michal Unger, The last Ghetto. Life in the Lodz Ghetto 1940-1944, Jerusalem 1995.