Bernhard Sekles unterrichtete Musiktheorie und Komposition am Hoch’schen Konservatorium, das er von 1924 bis zu seiner Entlassung 1934 mit großem Geschick leitete. Zu seinen Neuerungen gehörte die Einrichtung einer Jazzklasse, der ersten in Deutschland überhaupt.
Bernhard Sekles wurde am 20. Juni 1872 in Frankfurt am Main geboren. Nach seiner Schulzeit am Philanthropin studierte er von 1888 bis 1893 am Hoch’schen Konservatorium Klavier bei Lazzaro Uzielli und Komposition bei Iwan Knorr und ließ sich von Engelbert Humperdinck im Fach Instrumentation unterweisen. Nach Abschluss seiner Studien war Sekles zunächst Chordirigent und zweiter Kapellmeister an den Stadttheatern in Heidelberg (1893-1894) und Mainz (1894-1895), bevor er am Hoch’schen Konservatorium Dozent für Musiktheorie wurde. Ab 1906 unterrichtete Sekles als Kompositionslehrer eine eigene Ausbildungsklasse, aus der Paul Hindemith, Hans Rosbaud, Max Kowalski, Theodor W. Adorno, Erich Itor Kahn und andere hervorgingen. Sekles Unterricht zielte darauf ab, seine Schüler eine ihnen jeweils authentische Kompositionsweise entdecken und entwickeln zu lassen, anstatt ihnen eine bestimmte stilistische Richtung nahezulegen. Dies erklärt die große stilistische Bandbreite, die von Sekles Schülern vertreten wurde.
1924 übernahm Bernhard Sekles die Position der Leitung des Hoch’schen Konservatoriums und hatte in dieser Rolle das schwierige Erbe seines Vorgängers Waldemar von Bausznern zu verwalten. Die finanzielle Lage der aus privaten Stiftungsmitteln finanzierten Anstalt war desolat, staatliche Beihilfen an Bedingungen geknüpft – die Umwandlung in eine staatliche Musikhochschule, die ihren Schwerpunkt auf die Lehrerausbildung zu setzen hätte –, die mit der Satzung der Stiftung nicht vereinbar waren und auf den entschiedenen Widerstand ihres Kuratoriums stießen. Unter der Leitung von Bernhard Sekles vertiefte sich die Kluft gegenüber dem Verhandlungspartner im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Leo Kestenberg, noch, denn „Sekles war nicht der Mann, den Kestenberg an der Spitze einer Frankfurter Musikhochschule zu sehen wünschte. Dazu hätte er Vertreter der Jugendmusik, Wissenschaftler, Avantgardist, Schulmann oder Kirchenmusiker sein müssen. Sekles war nichts von alledem, sondern lediglich ein Komponist von Niveau und vor allem ein erfahrener und vorzüglicher Kompositionslehrer, ein vielseitig gebildeter, feinsinniger Mensch und ein fähiger Organisator. […] Unter politischem Aspekt entsprach die Kluft zwischen Kestenberg und Sekles der Spannung zwischen sozialistischer und bürgerlich-liberaler Position.“ (Cahn 1979, S. 246) Die Notwendigkeit städtischer Zuschüsse wurde daraufhin während der Amtszeit Sekles stetig größer. Diese Tatsache missbrauchten die Nationalsozialisten später dazu, Sekles als „jüdischen Scheindirektor“ und seine Amtszeit als „unerhörte ‚Judenwirtschaft‘“ zu diffamieren. (Kommission zur Erforschung der Frankfurter Juden, 1963, S. 88 f.)
Doch auch ohne staatliche Unterstützung setzte Bernhard Sekles eine weitreichende Reform des Konservatoriums in Gang und versetzte dadurch die Lehranstalt in die Lage, Ausbildungsleistungen zu erbringen, die denen einer staatlichen Musikhochschule ebenbürtig waren: Er baute das brachliegende Konservatoriumsorchester wieder auf und organisierte Gastdirigate von Wilhelm Furtwängler und Erich Kleiber, die eine hohe Außenwirkung erzielten. Ebenso nahm er sich eine Neugestaltung der Orchesterausbildung vor, gründete eine Opernschule, die mit den Städtischen Bühnen kooperierte, und baute eine Kirchenmusikabteilung auf. Darüber hinaus führte Bernhard Sekles ein Privatmusiklehrerseminar ein, dessen Absolventen bei externen staatlichen Prüfungen ein solch hohes Niveau demonstrierten, dass die staatliche Anerkennung dieser Ausbildung dem Konservatorium nicht länger verweigert werden konnte. Auch künftige Schulmusiker konnten vier Semester in Frankfurt studieren und mussten erst danach an eine staatlich anerkannte Institution wechseln.
Allerdings blieb Sekles Personalpolitik gegenüber dieser erfolgreichen internen Umstrukturierung als wenig innovativ zurück: Sekles – während seiner gesamten Amtszeit der einzige Kompositionslehrer – versäumte es, die Lehrerschaft wesentlich um jüngere Mitglieder zu erweitern, die fortschrittliche und neue ästhetische Strömungen hätten einbringen können. Dagegen sticht die von Sekles initiierte Gründung einer Jazzklasse als regelrechte „Palastrevolution“ (Max Meisterbernd) hervor. Sekles übertrug die Leitung dieser Klasse dem in Ungarn geborenen Komponisten Mátyás Seiber. Völkisch-nationale Stimmen unterstellten Sekles mit diesem Schritt eine „frivole Verhöhnung der deutschen Musik“ (zit. n. Cahn 1979, S. 262). Auf Empfehlung eines Berichts des „Ausschusses zur Reorganisation des Dr. Hoch’schen Konservatoriums“ von 10. April 1933 wurden die 14 jüdischen bzw. ausländischen Lehrkräfte des Hoch’schen Konservatoriums, darunter auch Sekles und Seiber, zum 31. August 1933 entlassen. (Kommission zur Erforschung der Frankfurter Juden (Hg.) 1963, S. 91)
Als im Frühjahr 1934 der Jüdische Kulturbund Rhein-Main/Frankfurt am Main gegründet wurde, engagierte sich Bernhard Sekles zwar noch in der Arbeitskommission für Musik, er verstarb jedoch bald darauf am 8. Dezember 1934 in einem jüdischen Altenheim in Frankfurt am Main. Würdigungen in der europäischen und US-amerikanischen Fachpresse zeugen von Sekles hoher internationaler Anerkennung als Komponist und Pädagoge (Tschiedel 2005, S. 15). Ausgehend von einer spätromantisch-klassizistischen Ästhetik und inspiriert von ost- und außereuropäischen musikalischen Einflüssen, hatte Sekles Werke aller Gattungen komponiert und zu einem Stil gefunden, den Publikum und Musikkritik zwar als „exotisch“ empfanden, der aber in seiner gemäßigten Fortschrittlichkeit sehr beliebt war. Besondere Bedeutung erlangte vor allem sein umfangreiches Liedschaffen; häufig zu seinen Lebzeiten aufgeführt wurden auch die Serenade für elf Soloinstrumente (op. 14), Sekles erste Oper „Scharahzade“ (op. 26) und Passacaglia und Fuge für großes Orchester und Orgel (op. 27, 1922 in einem Konzert der Frankfurter Museumsgesellschaft unter Wilhelm Furtwängler uraufgeführt). Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten sind noch einzelne Werkaufführungen innerhalb der Jüdischen Kulturbünde nachweisbar. Am 15. Oktober 1935 wurde in einer „Musikalischen Weihestunde“ der Frankfurter Westendsynagoge darüber hinaus Sekles letzte Komposition, der Psalm 137 für Chor, Sopransolo und Orgel „An den Wassern von Babylon“ (op. 45), uraufgeführt. Als Folge des Bruchs in der Tradierung seiner Kompositionen, wie er durch den Nationalsozialismus erzeugt wurde, haben die Werke Bernhard Sekles nach 1945 keinen nennenswerten Eingang mehr ins Konzertrepertoire gefunden. Sie erklingen heute allerdings wieder regelmäßig im Rahmen von Gedenk- oder Festveranstaltungen der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst oder des Hoch’schen Konservatoriums in Frankfurt am Main oder in Konzerten, die sich ausdrücklich der Musik jüdischer Komponisten widmen.
Literatur und Quellen::
Jürgen Blume, Bernhard Sekles als Liedkomponist, in: Jüdische Musik und ihre Musiker im 20. Jahrhundert, Bericht über ein Symposium (Main 1998), hg. von Wolfgang Birtel, Josef Dorfman, Christoph-Hellmut Mahling, (Schriften zur Musikwissenschaft, 10), Mainz 2006, S. 303-332.
Peter Cahn, Das Hoch’sche Konservatorium in Frankfurt am Main (1878-1978), Frankfurt am Main 1979.
Eva Hanau, Musikinstitutionen in Frankfurt am Main 1933-1939 (Berliner Musik Studien, Bd. 3), hg. von Rainer Cadenbach, Hermann Danuser, Albrecht Riethmüller, Christian Martin, Sinzig 1994.
Arthur Holde, Hundert Jahre jüdisches Frankfurt. Das jüdische Element im Musikleben der Stadt, Typoskript, o. J. (Standort: Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Sign.: S5 576)
Karl Holl, Bernhard Sekles, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, Bd. 12, hg. von Friedrich Blume, 1. Aufl., Kassel 1951-1986, S. 480-481.
Kommission zur Erforschung der Frankfurter Juden (Hg.), Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933-1945, Frankfurt 1963.
Wilhelm Kuhlmann, Erinnerungen an Bernhard Sekles. Zu seinem 25. Todestag am 8. Dezember, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. Dez. 1959.
Max Meisterbernd, Bernhard Sekles. Zum 60. Geburtstag am 20. Juni, in: Frankfurter Nachrichten, 20. Juni 1932.
Hans Rectanus, Sekles, Bernhard, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, Personenteil, Bd. 15, hg. von Ludwig Finscher, 2. überarb. Aufl., Kassel 2006, Sp. 547-550.
Joachim Tschiedel, Bernhard Sekles 1872-1934. Leben und Werk des Frankfurter Komponisten und Pädagogen (Schriftenreihe zur Musik, 33), Schneverdingen 2005.
Institut für Stadtgeschichte, Frankfurt am Main, S2 Sign. 140: Mappe mit Zeitungsartikeln, Konzertrezensionen und Würdigungen von Bernhard Sekles, u. a. ein dreiseitiges Manuskript des Sohnes Hans M. Sekles mit Erinnerungen an seinen Vater; Magistratsakten Sign. 8.182: Akten zur Geschichte des Hoch’schen Konservatoriums.
Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Frankfurt am Main: Musikautographe und Aufsatzmanuskripte bzw. Manuskripte von Unterrichtsmaterialien von Bernhard Sekles (o. Sign.).
Bernhard Sekles unterrichtete Musiktheorie und Komposition am Hoch’schen Konservatorium, das er von 1924 bis zu seiner Entlassung 1934 mit großem Geschick leitete. Zu seinen Neuerungen gehörte u. a. die Einrichtung einer Jazzklasse, der ersten in Deutschland überhaupt.