Zusammenfassung und städtische Interpretation des ersten der „Judenverträge“, in denen die Jüdische Gemeinde gezwungenermaßen der Stadt Frankfurt ihre gesamten Immobilien verkauft, um Teile davon zurückzumieten.
Vorlage des Oberbürgermeisters an die Gemeinderäte, 30. 3. 1939. Entwurf des Bauamtes, Liegenschaftsverwaltung.
Vorlage des Oberbürgermeisters an die Gemeinderäte über den Erwerb von Liegenschaften und Begräbnisplätzen der Jüdischen Gemeinde.
2 Anlagen: a) 1 Übersichtsplan b) Vertragsentwurf nicht vervielfältigt.
I. Vorgang: Gemäß § 55, Absatz 2 DGO gebe ich den Gemeinderäten nachträglich davon Kenntnis, daß ich in Anbetracht der durch die Verhältnisse gebotenen Eilbedürftigkeit den Erwerb der in den Anlagen 1 und 2 zu dem im Entwurf vorgelegten Grundstückskauf- und Übereignungsvertrag näher bezeichneten Liegenschaften (Kaufpreis 1.819.395.- RM) und Begräbnisplätze der Jüdischen Gemeinde Frankfurt/M durch die Stadt zu den in dem Vertragsentwurf niedergelegten Bedingungen genehmigt habe.
II. Erläuterung: Die seit Jahren in Frankfurt/M bestehenden beiden jüdischen Gemeinden besitzen eine große Anzahl von Grundstücken, Liegenschaften und Begräbnisplätzen in Frankfurt/M.
Die beiden Gemeinden sind inzwischen auf Veranlassung der Geheimen Staatspolizei zu der „Jüdischen Gemeinde“ zusammengeschlossen worden.
Im Rahmen der zur Abwicklung der Judenfrage erlassenen Gesetze und Verordnungen habe ich eine Überprüfung der vermögensrechtlichen Verhältnisse der Jüdischen Gemeinde veranlaßt. Die Überprüfung hat ergeben, daß die Jüdische Gemeinde schon jetzt nicht mehr in der Lage ist, ihre geldlichen Verpflichtungen gegenüber der Stadt und dem Staat zu erfüllen. Besonders auf dem Gebiet der Fürsorgeverpflichtung wachsen die Zuschüsse der Stadt Frankfurt/M, insbesondere auch durch den Zuzug von Juden aus der Umgegend, der vorerst nicht verhindert werden kann, ganz beträchtlich an. Es war deshalb geboten, Maßnahmen zur Sicherstellung des noch vorhandenen Vermögens der Jüdischen Gemeinde zu treffen. Um diese Vermögenswerte für die Durchführung der Fürsorgezwecke sicherzustellen und zu verflüssigen*, mußte schnell gehandelt werden. Eine zuvorige Anhörung der Gemeinderäte war deshalb nicht angängig.
Die Jüdische Gemeinde hat sich nach längeren Verhandlungen zum Abschluß des im Entwurf beigefügten Vertrages bereitgefunden. Die einzelnen Grundstücke und Liegenschaften sind aus den Anlagen 1 und 2 zum Vertrag ersichtlich. Es handelt sich dabei u. a. um die Sicherstellung des Geländes der vier früheren Synagogen am Dominikanerplatz, im Großen Wollgraben, in der Friedberger Anlage und der Freiherr vom Steinstraße. Die Bauwerke sind bereits zum größten Teil abgebrochen, das freigewordene Gelände wird insbesondere zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse dringend benötigt. Ganz besonders ist dies zur städtebaulichen Neugestaltung des Dominikanerplatzes erforderlich. Die übrigen Gebäude der Jüdischen Gemeinde und der Begräbnisplatz am Dominikanerplatz werden ebenfalls erworben. Die sonstigen zu erwerbenden Liegenschaften der Jüdischen Gemeinde werden z. T. noch zur weiteren Unterbringung von jüdischen Siechen, Kranken und als Altenheim für eine Reihe von Jahren benötigt. Ganz besonders dringend ist der Erwerb des jüdischen Krankenhauses an der Gagernstraße, um es noch für drei Jahre für die Aufnahme jüdischer Kranken zu verwenden. Das gleiche gilt für die zu erwerbenden Schulgebäude, namentlich das Philanthropin, Hebelstraße 15/19, die jüdische Volksschule, Röderbergweg 29, in der z. Zt. die jüdische Fürsorge untergebracht ist, und die Israelitische Realschule, Am Tiergarten 8, die innerhalb Jahresfrist geräumt wird, um sie für dringende städtische Bedürfnisse bereitzustellen.
Weiterhin schien es erforderlich, auch die jüdischen Begräbnisplätze in das Eigentum der Stadt zu überführen. Hier ist aus rituellen Gründen ein Verkauf ausgeschlossen. Die Entschädigung für diese Geländeflächen wurde deshalb anderweit ausgeglichen. Der Wert für diese Geländeflächen wird berichtigt durch Zuschüsse zu den beträchtlichen Abbruchskosten für die vier Synagogen, Übernahme der Kosten für Versetzung von Grabsteinen und Umbettung von Gebeinresten, Erlaß eines Darlehens in Höhe von 70.000.- RM, das der Israelitischen Gemeinde im Jahre 1926 für Verlegung ihres Friedhofes gegeben wurde, und Erlaß von künftig fällig werdenden Straßenkosten im Höchstbetrag von 20.000.- RM für den jüdischen Friedhof am Marbachweg. Damit findet auch nach langen Verhandlungen die Frage des Erwerbs des jüdischen Friedhofs an der Sophienstraße ihre Erledigung. Der Erwerb der gesamten Begräbnisstätten ist als außerordentlich günstig zu bezeichnen.
Der jüdische Friedhof Eckenheimerlandstraße/Marbachweg bleibt weiterhin für jüdische Begräbnisse erhalten, jedoch mit der Maßgabe, daß für die weitere Benutzung die für die übrigen städtischen Friedhöfe geltenden Gesetze und einschlägigen Vorschriften der Stadt Frankfurt/M über Ruhedauer, Räumung usw. gelten, und daß die Jüdische Gemeinde den Weisungen des Bauamts - Bestattungswesen in dieser Hinsicht Folge zu leisten hat. Damit ist die spätere Verwendung des Geländes nach Ablauf der vorgeschriebenen Ruhedauer für städtische Zwecke gewährleistet. Die Stadt gestattet der Jüdischen Gemeinde auch nach dem Eigentumsübergang die Erhebung von Bestattungs- und Grabpflegeentgelten. Die Jüdische Gemeinde ist verpflichtet, mittellose Juden auch ohne Erhebung eines Entgeltes zu bestatten. Der Begräbnisplatz nebst Einrichtungen muß in würdigem Zustand erhalten werden.
Die Kaufpreise sind im einzelnen aus dem Grundstücksverzeichnis zu dem Vertrag ersichtlich. Sie sind durchaus angemessen und vertretbar.
Die folgenden Liegenschaften, nämlich: das jüdische Krankenhaus Gagernstraße, Niedenau 25 (Altersheim) und das Philanthropin, Hebelstraße 15/19 mit Eckenheimerlandstraße 16, werden nach der Übereignung der Jüdischen Gemeinde für ihre Zwecke noch auf die Dauer von drei Jahren mietweise überlassen. Der Mietzins beträgt jeweils 5 v. H. des auf die einzelnen Grundstücke entfallenden Kaufpreises. Die Jüdische Gemeinde muß die Gebäude in ordnungsmäßigem Zustand erhalten. Die laufenden Steuern und Abgaben trägt die Stadt Frankfurt/M. Auch die übrigen, der Stadt verkauften Liegenschaften werden den seitherigen Nutznießern zunächst noch** mietweise überlassen. Hierbei beträgt der Mietzins ebenfalls 5 v. H. des jeweiligen Kaufpreises zuzüglich der auf diese Grundstücke entfallenden Steuern und Abgaben***.
Die Grundstücke, Liegenschaften und Begräbnisplätze werden mit Wirkung vom 1. April 1939 von der Stadt übernommen.
Eine etwaige Wertzuwachssteuer und die Kosten für die Löschung grundbuchlicher Lasten trägt die Jüdische Gemeinde. Alle übrigen Kosten und Steuern des Vertrags und seiner Ausführung werden im wesentlichen von der Stadt Frankfurt/M zur Hälfte übernommen.
Die Stadt muß die Kosten und Steuern allein tragen, die sich aus dem Unterschiedsbetrag zwischen Kaufpreis und höherem Einheitswert errechnen. Sofern Grundstücke für Straßenzwecke übereignet werden, wird die Befreiung von der Grunderwerbssteuer, der Wertzuwachssteuer und von den Gerichtsgebühren beansprucht.
Gleichzeitig mit dem Abschluß des Grundstückskauf- und Übereignungsvertrags werden zwei Verträge aufgehoben, die anläßlich der Verbreiterung des Marbachweges zwischen der Synagogengemeinde Israelitische Religionsgesellschaft und der Israelitischen Gemeinde einerseits und der Stadt Frankfurt/M andererseits in den Jahren 1938/39 abgeschlossen waren. Diese Verträge werden durch den Abschluß des neuen Vertrages gegenstandslos.
Aus dem Kaufpreis werden zunächst die Forderungen der auf den zu übereignenden Grundstücken ruhenden Hypotheken und Grundschulden für Rechnung des Veräußerers beglichen.
Von dem dann verbleibenden Kaufpreisteil wird ein Drittel auf ein zugunsten der Stadt gesperrtes Konto bei der Stadtsparkasse überwiesen, um eine Erstattung von geleisteten Fürsorgekosten zu gewährleisten.
Über diesen Betrag kann nur mit Genehmigung der Stadt verfügt werden. Die Stadt Frankfurt/M ist berechtigt, gegen Steuern und Abgaben, für welche die jüdische Gemeinde oder die übereigneten Grundstücke haften, mit dem Kaufpreis aufzurechnen. Über den alsdann noch verbleibenden Kaufpreisrest kann die jüdische Gemeinde in Verbindung mit dem eingesetzten Kommissar (Verwaltungsinspektor Schwarz vom Fürsorgeamt) verfügen****.
Anmerkungen
* Im Vorentwurf: „Um diese Vermögenswerte vor dem Zugriff von dritter Seite zu bewahren“.
** Im Vorentwurf: „weiterhin“.
*** Danach im Vorentwurf: „Die jüdische Gemeinde ist berechtigt, aus der Liegenschaft Heidestraße 79 alle Einrichtungsgegenstände herauszunehmen und zu verwerten. Diese Liegenschaft diente seither als Matzenbäckerei.“
**** Danach im Vorentwurf: „Zu dem Abkommen ist noch die Genehmigung des Herrn Regierungspräsidenten aufgrund der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. 12. 1938 erforderlich.“
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Hauptakte 8340/2.
Aus: Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933–1945, S. 258ff.
Zusammenfassung und städtische Interpretation des ersten der „Judenverträge“, in denen die Jüdische Gemeinde gezwungenermaßen der Stadt Frankfurt ihre gesamten Immobilien verkauft, um Teile davon zurückzumieten.