Die Weimarer Verfassung garantierte zum ersten Mal die uneingeschränkte rechtliche Gleichstellung der jüdischen mit den christlichen Konfessionen und erlaubte den Menschen, ihre Religion oder Nichtreligion als Privatsache zu behandeln. Das städtische Leben profitierte in dieser Zeit deutlich vom politischen, sozialen, wissenschaftlichen und kulturellen Engagement zahlreicher jüdischstämmiger Menschen mit oder ohne Bezug zu einer religiösen Gemeinschaft. In der Israelitischen Gemeinde waren die liberal-reformerischen und konservativ-orthodoxen Flügel etwa gleich stark, hinzu kam nun noch eine zionistische Strömung, die den Blick auf die Gründung eines eigenen jüdischen Staats in Palästina richtete.
Durch die Einführung der Weimarer Verfassung von 1919 waren die jüdischen Bürger Frankfurts nun endgültig in rechtlicher Hinsicht emanzipiert. Die jüdische Religion wurde als eine den christlichen gleichberechtigte Konfession definiert, niemand musste nun mehr seine jüdische Herkunft bei amtlichen Vorgängen (z.B. Volkszählungen) angeben. Jüdische Identität war damit rechtlich gesehen zur Privatsache geworden und konnte vom Einzelnen als ebenso irrelevant abgetan werden wie eine christliche Orientierung. Eines konnte aber diese Entwicklung nicht verhindern: das Weiterleben und Anwachsen antisemitischer Vorurteile und Zuschreibungen im rechten Spektrum, die das politische Leben der Weimarer Republik als Grundton begleitete.
Wegen dieser Voraussetzung orientierten sich die Frankfurter jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft politisch eher links oder liberal. Ihr Engagement in der Stadtregierung manifestierte sich besonders unter der Ägide von Oberbürgermeister Ludwig Landmann (seit 1924), Stadtbaurat Ernst May, Kämmerer Bruno Asch und Kulturdezernent Max Michel, die alle jüdischer Herkunft, aber ohne konfessionelle Bindung waren. Getragen von einer großen Koalition aus SPD, Deutscher Demokratischer Partei (liberal) und Zentrumspartei (katholisch) bemühten sie sich um eine Aussöhnung zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum. Hierzu zählten sowohl die neuen Wohnprojekte von Ernst May wie eine gegenüber der damaligen Avantgarde aufgeschlossene Kulturpolitik (Aufführung von Stücken Bertolt Brechts, Goethepreis an Sigmund Freud) – eine Politik, die von den im Stadtparlament vertretenen Nationalsozialisten und ihren Gesinnungsgenossen vehement als das „System Landmann“ bekämpft wurde: Frankfurt wurde in dieser paranoiden Sicht zum „Zentrum des Weltjudentums“.
Mit etwa 30.000 Mitgliedern hatte Frankfurt nach Berlin (144.000) 1925 die zahlenmäßig größte jüdische Einwohnerschaft im Deutschen Reich. Die geschichtlich bedingte besondere Sozialstruktur dieser Gruppe zeigte sich am Anteil der Selbstständigen: circa 60 Prozent waren es bei ihr im Gegensatz zu rund 20 Prozent in der Gesamtbevölkerung der Stadt. Die wirtschaftlichen Verwerfungen durch den Ersten Weltkrieg, die folgende Inflationszeit und die große Wirtschaftskrise ab 1929 trafen die Juden genauso wie alle anderen. Trotz der Aufhebung der konfessionellen Begrenzungen behielten die Frankfurter Juden untereinander zunächst engere soziale Bindungen als zum Rest der Bevölkerung. Aber die Entwicklung der Heiraten deuteten einen Wandel an: Ende der 1920er Jahre war immerhin eine von drei Eheschließungen mit jüdischer Beteiligung eine jüdisch-christliche Mischehe. Ähnlich wie in Berlin und Wien – deutschsprachigen Metropolen mit jeweils bedeutendem Anteil jüdischer Bevölkerung – war auch in Frankfurt das Engagement jüdischer oder jüdischstämmiger Bürger im kulturellen und wissenschaftlichen Bereich sehr groß. Beispielhaft seien hier neben Theater, Oper und Universität die „Frankfurter Zeitung“ mit ihrem Herausgeber Heinrich Simon und das von der Familie Weil gestiftete Institut für Sozialforschung genannt.
Wie aus einer Denkschrift des Wirtschaftsamtes vom 17. Februar 1934 hervorgeht (siehe unten unter Dokumente zu diesem Artikel), hatte die jüdische Bevölkerung zu Beginn der 1930er Jahre bei einem zahlenmäßigen Anteil von 6,3 Prozent an der Gesamtbevölkerung fast 35 Prozent der Wirtschaftsleistungen in der Stadt Frankfurt erbracht. In folgenden Wirtschaftszweigen lagen die Zahlen zwischen 50 Prozent und 100 Prozent: Textilindustrie und -handel; Teppiche; Lumpen, Knochen, Papier, Schreibwaren; Lederindustrie, Häute, Felle; Mühlenerzeugnisse, Schmuck und Luxuswaren; Tabakwaren, Weine und Spirituosen; Bekleidung und Schuhe; Warenhäuser; Banken, Börsen- und Immobilienmakler. Entsprechend hoch war der Anteil dieser Bereiche an den Berufen der jüdischen Erwerbstätigen: 1925 arbeitete etwa die Hälfte von ihnen im Handel- und Bankgewerbe.
Im Hinblick auf die Verfassung der jüdischen Gemeinden Frankfurts, der großen Israelitischen Gemeinde und der kleinen Israelitischen Religionsgesellschaft profitierte die größere von dem demokratischen Neubeginn nach Ende des Ersten Weltkriegs. 1920 führte die Israelitische Gemeinde, in der sich der liberal-reformerische und konservativ-orthodoxe Flügel weitgehend im Gleichgewicht befanden, eine neue Gemeindeordnung ein, deren demokratischer Zuschnitt unter anderem das passive und aktive Frauenwahlrecht garantierte und damit für die deutschen Juden ein Beispiel setzte.
Die Gemeinde, deren Büros im alten Rothschildschen Bankhaus in der Fahrgasse 146 untergebracht waren, gab ab 1922 ein eigenes „Gemeindeblatt“ heraus. Zum liberal-reformerischen Flügel gehörten die Hauptsynagoge in der Börnestraße und die Westendsynagoge in der Freiherr-vom-Stein-Straße, die Synagoge am Börneplatz und die Bockenheimer Synagoge an der Schloßstraße waren hingegen dem orthodoxen Ritus verpflichtet. Unter den fünf Rabbinern profilierte sich deutschlandweit Caesar Seligmann als eine zentrale Gestalt des religiös-jüdischen Liberalismus und Nechemia Nobel als berühmter Rabbiner des konservativen Lagers. Sein Nachfolger (ab 1922) belebte die vor dem Ersten Weltkrieg florierende Frankfurter „Jeschiwa“ (rabbinische Lehranstalt) wieder. Eine wichtige Aktivität der Israelitischen Gemeinde insgesamt war die Organisation eines jüdischen Religionsunterrichts an allen staatlichen Schulen, an dem auch fast alle Schüler aus jüdischen Familien teilnahmen. Für das religiöse Leben bedeutsam war auch die Errichtung des neuen Jüdischen Friedhofs an der Eckenheimer Landstraße, der 1929 in unmittelbarer Nachbarschaft zum christlichen Frankfurter Hauptfriedhof feierlich eröffnet wurde. Mit dem 1914 eröffneteten Krankenhaus in der Gagernstraße verfügte die Israelitische Gemeinde über die modernste Klinik in ganz Frankfurt. Auch die Sozialarbeit der Gemeinde wurde nach dem Kriege reformiert. Ab 1920 etablierte sich als organisatorischer Zusammenschluss die „Zentrale für Jüdische Wohlfahrtspflege“, die sich 1929 mit Einrichtungen der Israelitischen Religonsgesellschaft (IRG) unter dem Dach der „Offenen Jüdischen Wohlfahrtspflege“ zusammenfand.
Unter den kulturellen Aktivitäten der Gemeinde war neben der Trägerschaft für das Philanthropin, der großen jüdischen Schule (Volks-, Realschule und Gymnasium) in der Hebelstraße, vor allem die Gründung des Museums für Jüdische Altertümer bedeutsam, hinzu kam eine Gemeindebibliothek und dank des Engagements von Franz Rosenzweig die Gründung des Freien Jüdischen Lehrhauses, einer Volkshochschule mit Schwerpunkt auf jüdischen Themen, die allerdings trotz Verpflichtung bedeutender Lehrer (u.a. Martin Bubers) 1926 ihren Betrieb mangels Schüler wieder einstellen musste.
Das politische Klima innerhalb der Gemeinde war durch den Zwang zum Kompromiss zwischen den Liberalen und Konservativen geprägt. 1926 kam als neues Element die Jüdische Volkspartei hinzu, deren zionistische Orientierung zu Spannungen mit dem liberalen Flügel führte: der Streit entzündete sich an der zionistischen Forderung nach Unterstützung des Aufbau Palästinas, die die Liberalen als politische Perspektive für die deutschen Juden ablehnten.
Im Schatten der großen Israelitischen Einheitsgemeinde stand die streng orthodoxe Israelitische Religionsgesellschaft, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts abgespalten hatte, um die aus ihrer Sicht richtigen Traditionen der jüdischen Religion zu wahren. Ihre Mitglieder zählten etwa 15 Prozent der Frankfurter jüdischen Bevölkerung, das heißt um 1925 rund 4.500 Personen. Rechtlich wurde diese Gemeinde 1928 der Israelitischen Gemeinde gleichgestellt. Ihre Synagoge lag an der Friedberger Anlage, sie hatte mit der Samson Raphael Hirsch-Schule ihre eigene Volks- und Realschule, betrieb mit dem Hospital der Georgine Sara von Rothschild’schen Stiftung ein eigenes kleines Krankhaus und einen eigenen Friedhof. Auf die prekäre Situation der kleinen Israelitischen Religionsgesellschaft im Sog der großen Einheitsgemeinde reagierte ihre geistliche Führung unter Rabbiner Salomon Breuer mit zum Teil heftigen und aggressiven Abgrenzungsbemühungen.
Literatur::
Rachel Heuberger/Helga Krohn, Hinaus aus dem Ghetto…. Juden in Frankfurt am Main 1800–1950, Frankfurt am Main 1988
Heinrich Silbergleit, Die Bevölkerungs- und Berufsverhältnisse der Juden in der Stadt Frankfurt a. M. 1927/28, Frankfurt am Main 1928
Wolfgang Schivelbusch, Intellektuellendämmerung. Zur Lage der Frankfurter Intelligenz in den zwanziger Jahren, Frankfurt am Main 1985.
Heinrich Silbergleit, Die Bevölkerungs- und Berufsverhältnisse der Juden im Deutschen Reich. Bd. 1: Freistaat Preußen, (Veröffentlichungen der Akademie für die Wissenschaft des Judentums), Berlin 1930, S. 231–265
Die Weimarer Verfassung garantierte zum ersten Mal die uneingeschränkte rechtliche Gleichstellung der jüdischen mit den christlichen Konfessionen und erlaubte den Menschen, ihre Religion oder Nichtreligion als Privatsache zu behandeln. Das städtische Leben profitierte in dieser Zeit deutlich vom politischen, sozialen, wissenschaftlichen und kulturellen Engagement zahlreicher jüdischstämmiger Menschen mit oder ohne Bezug zu einer religiösen Gemeinschaft. In der Israelitischen Gemeinde waren die liberal-reformerischen und konservativ-orthodoxen Flügel etwa gleich stark, hinzu kam nun noch eine zionistische Strömung, die den Blick auf die Gründung eines eigenen jüdischen Staats in Palästina richtete.