„Das Haus aller Deutschen“. Der Wiederaufbau der kriegszerstörten Paulskirche – ein Signal für den demokratischen Neubeginn 1948

Nach den Luftangriffen in der Nacht vom 18. auf den 19. März 1944 brannte die Paulskirche bis auf die Grundmauern vollständig aus.

Blick vom Römerberg auf die zerstörte Paulskirche

Einzug der Festgäste am 18. Mai 1948 in die wieder aufgebaute Paulskirche

Im Mai 1948 jährte sich zum einhundertsten Mal die Nationalversammlung von 1848. Der Wiederaufbau der 1944 zerstörten Paulskirche setzte ein Zeichen für den demokratischen Neubeginn.

 

In der Nacht vom 18. auf den 19. März 1944 nahmen amerikanische und britische Bomberverbände Kurs auf Frankfurt am Main. Als die Geschwader gegen 22 Uhr 30 wieder abdrehten, hinterließen sie ein Inferno, in dem 421 Menschen den Tod gefunden hatten. Die über der Gauhauptstadt ausgeklinkten Bombenteppiche zerstörten oder beschädigten mehr als 7.200 Wohnhäuser und verschonten auch nicht altehrwürdige Kultur- und Kirchenbauten, wie das Senckenberg-Museum oder die Paulskirche.

 

Bei Kriegsende standen von der Paulskirche nur noch die Außenwände. Angesichts der allgemeinen Notlage rechnete zunächst niemand mit einem schnellen Wiederaufbau des Gotteshauses. Die Planungen für die Jahrhundertfeier der Nationalversammlung konzentrierten sich Anfang 1946 auf einen bescheidenen Festakt in der enttrümmerten Ruine. Gerade noch rechtzeitig erkannten die Verantwortlichen die Signalwirkung einer zur Jahrhundertfeier wiederhergestellten Paulskirche für den demokratischen Neubeginn. Die Paulskirche, in der das erste gewählte gesamtdeutsche Parlament getagt und die am 20. Dezember 1848 verabschiedeten „Grundrechte des deutschen Volkes“ vorbereitet hatte, war das Symbol für die demokratische Freiheit und nationale Einheit schlechthin. Über die Sicherstellung der materiellen Bedürfnisse hinaus galt es nach der bedingungslosen Kapitulation der NS-Diktatur, ein demokratisches Staatswesen neu aufzubauen. Von der amerikanischen Militärregierung eingesetzt, informierte Oberbürgermeister Kurt Blaum im April 1946 die Bevölkerung über die Absicht, die Paulskirche zum Gedenken an die demokratischen Traditionen des Landes bis zum 18. Mai 1948 wieder herzurichten.

 

Ein im Juni 1946 von der Stadt Frankfurt ausgeschriebener Ideenwettbewerb machte es den teilnehmenden Architekten zur Auflage, unter Verwendung der Mauerreste die variable Nutzung der Paulskirche als Gotteshaus und Tagungsraum einzuplanen. Im übrigen gewährte der Ausschreibungstext den Teilnehmern größtmögliche Freiheiten. Die originalgetreue Rekonstruktion der alten Paulskirche war keine Pflicht. Den mit 3.000 Reichsmark dotierten ersten Preis vergab die Jury an den Frankfurter Architekten Gottlob Schaupp. In der Jury, die im Oktober 1946 tagte, hatte inzwischen der Sozialdemokrat Walter Kolb den Platz von Oberbürgermeister Kurt Blaum eingenommen. Das um Oberbürgermeister Kolb versammelte Preisgericht hielt zunächst keinen der 109 eingereichten Entwürfe, auch nicht den preisgekrönten Schaupps, für baureif. Die Stadt beauftragte daher im November 1946 eine von Schaupp und dem Kölner Architekturprofessor Rudolf Schwarz geleitete Planungsgemeinschaft mit der Überarbeitung des Projekts.

 

Nach den am 6. Februar 1947 von der Stadtverordnetenversammlung einstimmig angenommenen Plänen des federführenden Hochbauamts sollte sich das Gebäude der Paulskirche in ein Untergeschoss und eine halbdunkle Wandelhalle mit 14, den oberen Kirchen- und Tagungsraum tragenden, Marmorsäulen gliedern. Aus der Wandelhalle führten zwei mit der Rundung der Wand geschwungene Treppen in den hohen Saal hinauf. Zur Symbolik der Innenarchitektur erklärte die Planungsgemeinschaft: „Wenn man die Folge der Räume durchschreitet, vollzieht man eine Bewegung aus dem Niedern, Halbdunkeln, Ertragenden ins Hohe, Lichte und Freie. Wir wollten damit ein Bild des schweren Weges geben, den unser Volk in dieser bittersten Stunde zu gehen hat.“ Den Versammlungsraum umgab eine Aura von „fast mönchischer“ Strenge. Das schlichte Raumgefühl resultierte aus der leichten Holzdecke mit Oberlicht, weißen Wänden, einfacher Bestuhlung und einem Natursteinboden. Nur der erhöhte Bereich mit dem Rednerpult an der Stirnseite des Saals war aufwendig in Marmor gearbeitet. Mit Genugtuung konnte Rudolf Schwarz 1960 über die Innenarchitektur der Paulskirche feststellen: „Der Bau dient heute geistigen Dingen von hohem Rang … und er ist von einer solch nüchternen Strenge, dass darin kein unwahres Wort möglich sein sollte.“

 

Frühmorgens um acht Uhr versammelte sich am 17. März 1947 ein illustrer Kreis von Ehrengästen in der Ruine der Paulskirche zur Grundsteinlegung. Bis zur Jahrhundertfeier der Nationalversammlung waren es nur noch 14 Monate. Aus eigener Kraft konnte das Not leidende Frankfurt in der Kürze der Zeit den Wiederaufbau der Paulskirche auf keinen Fall bewerkstelligen. Im Namen der Stadt bat Oberbürgermeister Kolb ausgewählte Gemeinden, Firmen und Einzelpersonen um Unterstützung. Kolb erklärte den Wiederaufbau der Paulskirche zu einer gesamtdeutschen Angelegenheit – es gehe nicht um Frankfurt, sondern um Deutschland. In einem gemeinsamen Kraftakt sollte die Paulskirche als Symbol für den kommenden demokratischen Staat und als – Zitat Kolb – „Haus aller Deutschen“ wie ein Phönix aus der Asche steigen. „Wenn in der Frankfurter Paulskirche von 1848 der Beginn der deutschen Demokratie zu sehen ist, dann wollen wir“, so die Vision des Oberbürgermeisters, „in der Frankfurter Paulskirche von 1948 die Wiedergeburt des deutschen demokratischen Staates erblicken, der nun aber, nach der grauenvollen Episode von 1933 bis 1945 zum unverlierbaren Besitz der deutschen Nation werden soll.“ Obwohl natürlich auch anderenorts großer Mangel herrschte, fand der Hilferuf eine überraschend positive Resonanz. Insgesamt wurden der Stadt Frankfurt bis November über 1,8 Millionen Reichsmark zugesichert; darunter befand sich, um nur ein Beispiel zu nennen, eine 10.000-Mark-Spende des Zentralsekretariats der Sozialistischen Einheitspartei aus Berlin. Gleichzeitig waren exakt 327 Sachspenden eingetroffen. Gestiftet wurde in der Regel entbehrliches, weil vor Ort in ausreichender Menge gewonnenes oder angefertigtes Baumaterial. So trafen aus Thüringen drei mit Bauholz beladene Eisenbahnwaggons und aus dem benachbarten Offenbach eine Partie Leder für die Bestuhlung ein.

 

„Der heutige Tag“, stellte Oberbürgermeister Kolb zu Beginn einer außerordentlichen Magistratssitzung am Morgen des 18. Mai 1948 feierlich fest, „ist für unsere Stadt und für unser Land von historischer Bedeutung. Nach den Mühen und Sorgen der vergangenen Monate stellt er gleichsam die Krönung unseres Wollens dar.“ Kein Zweifel, der 18. Mai 1948 war der größte Tag im Leben des Politikers Walter Kolb, dem der Wiederaufbau der Paulskirche eine Herzensangelegenheit gewesen ist. Unter Glockenläuten zogen am Nachmittag des 18. Mai 1948 wie ein Jahrhundert zuvor die Abgeordneten der Nationalversammlung die Ehrengäste der Paulskirchenfeier, angeführt von Oberbürgermeister Kolb, Stadtverordnetenvorsteher Hermann Schaub und Festredner Fritz von Unruh, vom Römer zur teilweise noch eingerüsteten, im Wesentlichen aber fertig gestellten Paulskirche. Schätzungsweise 35.000 Schaulustige verfolgten dichtgedrängt den Einzug und den über Lautsprecher direkt nach draußen übertragenen Festakt. Die Paulskirchenfeier 1948 stellte mehr dar als nur ein historisches Jubiläum. Der Wiederaufbau des symbolträchtigen Hauses war ein Bekenntnis zu den demokratischen Traditionen und ein an die Völkerfamilie gerichtetes Signal des demokratischen Neubeginns.

 

 

Literatur:

Thomas Bauer: „Seid einig für unsere Stadt“ Walter Kolb – Frankfurter Oberbürgermeister 1946-1956, Frankfurt am Main 1996

Im Mai 1948 jährte sich zum einhundertsten Mal die Nationalversammlung von 1848. Der Wiederaufbau der 1944 zerstörten Paulskirche setzte ein Zeichen für den demokratischen Neubeginn.



Autor/in: Thomas Bauer
erstellt am 01.01.2007
 

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