Die „Gleichschaltung“ der Städelschule im März 1933 sowie die Reduzierung auf handwerklich orientiertem Fachunterricht kostet die einstmals progressive Städelschule ihr hohes Ansehen.
Für die Städelschule wenden die neuen Machthaber die gleiche Strategie an, wie bei den Städtischen Bühnen: Ein zunächst kommissarisch eingesetzter, politisch „zuverlässiger“ Direktor führt die Grobarbeit der Gleichschaltung - Entlassungen und Beurlaubungen - durch. Nach kurzer Amtszeit ersetzt man ihn dauerhaft durch einen fachlich kompetenteren Direktor, der die Führung der Institution in nationalsozialistischem Sinne gewährleistet. Für die Frankfurter Kunstschule hat dies eine Umstrukturierung zur Folge, die aus der reformorientierten Kunstschule eine im wörtlichen Sinne „Handwerkerschule“, so die spätere Umbenennung durch die Nationalsozialisten, macht. Die seit 1923 angebotene Vielfalt an Fächern wird gekappt und lediglich Fachunterricht in wenigen Klassen angeboten.
Zu den ersten Beurlaubten im Frankfurter Kulturbereich gehört Fritz Wichert. Er war 1923 als Direktor der Städelschule – der alten Frankfurt Kunstschule, die nun als Schule für freie und angewandte Kunst neu eröffnet werden sollte – nach Frankfurt gekommen. Hier vermittelte er nach dem Vorbild des Bauhauses in Weimar die Einheit von Kunst, Handwerk, Architektur und Technik. Sein progressives Konzept strebte die Entwicklung eines eigenen, ganzheitlichen Gestaltungsstils an, der auch industrielle Möglichkeiten nutzen sollte. Für eine Lehrtätigkeit an der Schule gewann Wichert renommierte Künstler und Architekten, darunter Max Beckmann, Richard Scheibe, Adolf Meyer und Willi Baumeister, von denen einige vom Bauhaus kamen.
Um die Idee von einer Gestaltung des gesamten Lebensraums umzusetzen, kooperierte die Schule mit der Stadtverwaltung und der Industrie: Adolf Meyer war neben seiner Lehrtätigkeit Chef der Bauberatung im Hochbauamt; Richard Lisker, Dozent für Textilgestaltung, arbeitete mit den Farbwerken in Höchst zusammen. Der Architekt Ernst May wiederum, Leiter des Hochbauamtes und Baudezernent, hielt an der Kunstschule Vorträge zu Wohnungs- und Städtebau und vermittelte öffentliche Aufträge an die Studenten. Gemeinsam mit Wichert gab May seit 1926 die Zeitschrift „Das Neue Frankfurt“ heraus, eine der bedeutendsten Publikationen der architektonischen, städtebaulichen und gestalterischen Avantgarde der Republik. Willi Baumeister wiederum übernahm mit der Oktober-Ausgabe 1930 die grafische Gesamtgestaltung der Zeitschrift.
Das fortschrittliche Konzept der Städelschule entsprach nicht dem Kunstverständnis der Nationalsozialisten, die die Moderne grundsätzlich ablehnten. Sie forderten hingegen eine traditionelle, handwerklich gefertigte, antisemitische und antikapitalistische „deutsche Heimatkunst“. Neues kulturpolitisches Ziel war es daher, das verhasste Konzept Wicherts zu zerschlagen. Dies setzt als kommissarischer Direktor der Hanauer Goldschmied Karl Berthold um - Nationalsozialist und „Alter Kämpfer“, den Friedrich Krebs aus der Frankfurter Ortsgruppe des "Kampfbunds für deutsche Kultur" kennt. Berthold begründet die Beurlaubung Wicherts in einem neunseitigen Hetzschreiben, in dem er ihm eine „bewusst zersetzende kulturbolschewistische Einstellung“ zuschreibt, die sich in seinen Ausstellungen zeige. Zudem sei er mit einer Jüdin verheiratet, politisch unzuverlässig und betreibe Vetternwirtschaft. Berthold gelingt es gar, ein Disziplinarverfahren gegen Wichert anzustrengen. Außer Wichert treibt Berthold die Entlassung der Dozenten Willi Baumeister, Max Beckmann, Josef Hartwig, Jacob Nußbaum, Richard Scheibe und Franz Schuster voran. Beurlaubt wird Margarethe Klimt.
Berthold ist jedoch nur für die Grobarbeit vorgesehen. Bereits nach vier Monaten ersetzt Krebs ihn am 12. August 1933 durch Richard Lisker, Textilgestalter an der Kunstschule, der seit 1933 Mitglied der SA ist, jedoch erst fünf Jahre später in die NSDAP eintritt. Lisker ist bis zur Versetzung Wicherts in den Ruhestand Ende März 1934 als kommissarischer Direktor eingesetzt. Nach dieser Bewährungszeit ernennt ihn Krebs zum Direktor der Städelschule. Trotz seiner Sympathie für den Nationalsozialismus versucht Lisker, die bisherige Konzeption der Schule so umfassend wie möglich zu erhalten. Er setzt sich für den Verbleib der gekündigten Dozenten an der Schule ein. Weil Berthold hierbei stark nach persönlicher Sympathie und äußerer Beeinflussung vorgegangen ist, können Scheibe, Hartwig und Klimt wieder eingestellt werden. Klimt wird kurz darauf sogar zusätzlich zur Leiterin des neu gegründeten Modeamtes berufen.
Auf die Gleichschaltung der Städelschule folgt unmittelbar eine folgenschwere Umstrukturierung: Noch unter Bertholds Leitung werden im Juni 1933 die Klassen für Freie Kunst ausgegliedert. Im Juli folgt die Abschaffung der Architekturklasse, im Oktober die der Metallkasse. Die Ausbildung an der Städelschule ist nunmehr auf handwerklichen Fachunterricht reduziert. Das ganzheitliche Konzept Wicherts, mit dem die Schule ihr hohes Ansehen erworben hatte, ist endgültig abgeschafft. Im Dezember 1933 folgt reichsweit die Umbenennung der verbliebenen Kunstgewerbeschulen in „Handwerkerschulen“. Damit verknüpft ist der Auftrag, ausschließlich Handwerksgesellen und Meistern eine Ausbildung zu erteilen. Die daraufhin abnehmenden Studentenzahlen beunruhigen Friedrich Krebs, da er es sich zur dringlichen Aufgabe gemacht hat, dem liberal und jüdisch geltenden Frankfurt ein neues, im nationalsozialistischen Sinne bedeutsames Profil zu verleihen. Lisker kann den Oberbürgermeister schließlich von der Bedeutung der freien Kunst für Frankfurt überzeugen. Krebs sieht eine Möglichkeit, die drohende Zusammenlegung der ausgegliederten Kunstschule und der Handwerkerschule mit der Offenbacher Meisterschule des Deutschen Handwerks zu verhindern: Im April 1934 gründet er eigenmächtig die Klassen für Freie Kunst als „Städelschule“ neu, die nunmehr offiziell neben der Handwerkerschule besteht.
Wenige Jahre später wird auf einen Ministererlass vom 20. September 1937 hin die Handwerkerschule geschlossen. Eine irrtümliche Formulierung darin lautet: „Die Städelsche Kunstschule darf in ihrem endgültigen Namen das Wort ,Handwerk‘ (...) nicht führen. Sie ist vielmehr eindeutig als ,Kunsthochschule‘ zu bezeichnen.“ Krebs nutzt die Formulierung des Ministers für seine Zwecke: Nach Umwegen wird die Schule, die bis dahin nie den Status einer Hochschule erlangt hat, am 9. Mai 1942 als staatliche Kunsthochschule anerkannt. Lange vor der formalen Aufwertung der Schule war jedoch ihre inhaltliche Abwertung erfolgt.
Literatur und Quellen
Heike Drummer, Reform und Destruktion - die Geschichte der Städelschule während Weimarer Zeit und Nationalsozialismus, in: Hubert Salden (Hg.), Die Städelschule Frankfurt am Main von 1817 bis 1995, Mainz 1995
Städelschule Frankfurt am Main. Aus der Geschichte einer deutschen Kunsthochschule, Verein Freunde der Städelschule e.V. (Hg.),Eduard Beaucamp (Red.), Frankfurt am Main 1982
Akten im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main: Personalakten 1630-1633 (Fritz Wichert)
Die „Gleichschaltung“ der Städelschule im März 1933 sowie die Reduzierung auf handwerklich orientiertem Fachunterricht kostet die einstmals progressive Städelschule ihr hohes Ansehen.