Nach dem Luftangriff vom 4. Oktober 1943

Schlagzeile des „Frankfurter Anzeigers“ vom 7. Oktober 1943

Titelseite des „Frankfurter Anzeigers“ vom 6. Oktober 1943

Titelseite der „Rhein-Mainischen-Volkszeitung“ vom 11. Oktober 1943

Flugblatt der NSDAP Groß-Frankfurt, November 1943

Nach dem bis dahin schwersten Luftangriff auf Frankfurt am Main propagiert die „gleichgeschaltete“ Presse Hass und Einsatzbereitschaft. Auf der ersten und zugleich letzten von der NSDAP organisierten zentralen Trauerfeier werden alle Bombentoten, einschließlich getöteter Säuglinge und Kinder, zu Gefallenen erklärt.

 

Unter der Schlagzeile „Britischer Terror über Frankfurter Kulturstätten“ bildet der "Frankfurter Anzeiger" am 7. Oktober 1943 drei Fotografien ab. Die Abbildungen des schwer getroffenen Hauses Lichtenstein am Römerberg und der stehengebliebenen, ausgebrannten Fassade des Hauses Braunfels am Liebfrauenberg sollen im Bild die Zerstörung und Vernichtung von Kulturwerten als das eigentlich Terroristische des Luftangriffs vom 4. Oktober 1943 belegen. Die durch den Titel nicht motivierte Abbildung „Teno im Einsatz“ zeigt Mitglieder der Technischen Nothilfe auf einem rauchenden Schutthügel vor einer fensterlosen Fassade. Die Kombination der Abbildungen belegt zwei Dimensionen der Kriegspropaganda: Die Irrationalisierung der Ziele des Feindes, die Zerstörung von Kultur ist „kriegsrational“, mit der Zielsetzung der Schwächung der militärischen Ressourcen des Gegners, nicht legitimierbar, und die gleichzeitige Suggestion begrenzter Zerstörung, die dank der eigenen Einsatzkräfte im Luftschutz beherrschbar bleibt. Die Irrationalität des Feindes legitimiert als Antwort den Hass, gleichzeitig soll die Suggestion der Beherrschbarkeit der Zerstörungen systemstabilisierend wirken.

 

Die Titelseite des "Frankfurter Anzeigers" vom 6. Oktober 1943 präsentierte als Titelabbildung das Foto von vier Hitlerjungen beim Löschen eines Dachstuhls. Der Bildausschnitt rückt die Jungen in das Bild, der Löschstrahl ist durch den Bildrand beschnitten, so dass verschlossen bleibt, was sie genau tun. Die Bildunterschrift „Ueberall traf man die Hitler-Jugend“ soll zugleich Mut und Einsatzbereitschaft der nationalsozialistischen Jugendorganisation wie Mut und Einsatzbereitschaft von Kindern und Jugendlichen belegen. In den Tagen und Wochen nach dem Luftangriff wartete die nationalsozialistische Presse mit einer Vielzahl an Berichten über „mutiges und heldenhaftes“ Verhalten besonders von alten Menschen und Kindern auf. Die suggestive Absicht lag auf der Hand. Wer wollte sich (beim nächsten Luftangriff) sagen lassen, Greisinnen oder Zehnjährige seien mutiger als gestandene Frauen und Männer.

 

Nach Maßgabe der Propaganda hatten sich Luftschutzkräfte und Bevölkerung der Gauhauptstadt am 4. und 5. Oktober 1943 bewährt. An erster Stelle meinte dieses Kompliment, sie hätten sich durch die Schwere des Angriffs nicht demoralisieren und in ihrer Treue zu Führer, Volk und Vaterland nicht verunsichern lassen. Der erste schwere Luftangriff auf Frankfurt am Main im Zweiten Weltkrieg forderte mehr als sechshundert Tote, eine Zahl, die sämtliche Totenzahlen der Angriffe seit 1940 um ein Vielfaches überstieg. Für die Toten organisierte die NSDAP eine pompöse Totenfeier am 10. Oktober auf dem Opernplatz. In dem mit schwarzem Tuch verhangenen Eingangsbereich signalisierte ein zentral angebrachtes überdimensioniertes Eisernes Kreuz, dass die zivilen Bombenopfer einschließlich der getöteten Kleinkinder und Babies zu Soldaten, zu Gefallenen erklärt wurden. Eine Ehrenkompagnie der Wehrmacht und ein Ehrensturm der SA traten an. Ein BDM-Chor sang. Der Gauleiter hielt die Ansprache: „Mörder von Weltausmaß sind hier am Werk“.


Videodokument: Trauerfeier für die Toten des Luftangriffes vom 4. Oktober 1943 am 10. Oktober 1943 auf dem Opernplatz, Ausschnitte (2:41) aus einem zeitgenössischen 16 mm-Stummfilm, Institut für Stadtgeschichte. Die Aufnahmen stammen wahrscheinlich von einem Mitglied der NSDAP-Ortsgruppenleitung Oberrad. Da er filmen durfte, wird es sich um einen Amtswalter gehandelt haben, der in Uniform an der Veranstaltung teilnahm.; © Institut für Stadtgeschichte

 

Die "Rhein-Mainische Zeitung" sekundierte in ihrem Bericht vom 11. Oktober: „So, wie draußen ... Soldaten kämpfen, so kämpfen in der Heimat Männer, Frauen und Kinder. So, wie die gefallenen Helden an den Fronten, haben auch die Männer, Frauen und Kinder ... ihr Leben im Kampf für die Freiheit des Volkes gelassen“. Wehrmachtsangehörige trugen den Kranz des Führers. Jakob Sprenger versprach Vergeltung und der Kreisleiter der NSDAP „gedachte“ abschließend des Führers.

 

War die Stadt mit dem Luftangriff am 4. Oktober 1943 „Heimatfront“ geworden, so diente die Totenfeier der ideologischen Integration der Heimatfront. Das NS-System reihte sich unter den Trauernden ein und entzog sich so seiner Verantwortung. Auf Anordnung von höchster Stelle ersetzte das Wort „Soforthilfe“ den vertrauten Begriff „Katastrophe“. Für den 14. November 1943 rief die NSDAP zu einer Durchhaltekundgebung auf. Das Flugblatt forderte die Frankfurter auf, sich durch massenhaftes Erscheinen mit dem Motto „Wir kapitulieren nie! Wir kämpfen bis zum Sieg!“ zu identifizieren.

Nach dem bis dahin schwersten Luftangriff auf Frankfurt am Main propagiert die „gleichgeschaltete“ Presse Hass und Einsatzbereitschaft. Auf der ersten und zugleich letzten von der NSDAP organisierten zentralen Trauerfeier werden alle Bombentoten, einschließlich getöteter Säuglinge und Kinder, zu Gefallenen erklärt.



Autor/in: Jürgen Steen
erstellt am 01.01.2003
 

Verwandte Personen

Sprenger, Jakob

Verwandte Ereignisse

Nachtangriff mit 400-500 Bombern auf Frankfurt am Main

Verwandte Begriffe

Heimatfront


Teno

Verwandte Orte

Opernplatz

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