Die Stiftungen jüdischer Bürger Frankfurts – ihre Geschichte bis 1938

Im 19. und 20. Jahrhundert hatten wohlhabende jüdische Bürger Frankfurts zahlreiche Stiftungen errichtet, die teils ihren jüdischen Mitbürgern, teils der gesamten städtischen Bürgerschaft zugute kamen. Nach 1933 drängte die Stadtverwaltung darauf, die gemischten Stiftungen in einen jüdischen und einen nichtjüdischen Teil aufzuspalten, die jüdischen Vorstandsmitglieder abzuberufen und die Stiftungsnamen zu ändern.

 

Wohltätigkeit ist eine der zentralen religiösen Pflichten im Judentum. Sie ist keine milde Gabe, sondern Verpflichtung des Wohlhabenden gegenüber dem Bedürftigen. Dies drückt auch das hebräische Wort für Wohltätigkeit, „Zedaka“, aus, das gleichzeitig „Gerechtigkeit“ bedeutet. Deshalb darf der Bedürftige auch keinesfalls durch die Gabe beschämt werden. Diese Ziele werden am besten erreicht durch eine mildtätige Stiftung, also eine institutionalisierte Form der Wohltätigkeit, die eine gewisse Distanz zwischen Wohltäter und Bedürftigen schafft, ohne so anonym zu sein wie eine staatliche oder kommunale Wohlfahrtseinrichtung.

 

Die wohlhabenden jüdischen Bürger Frankfurts errichteten zahlreiche solcher Stiftungen. Ein „Verzeichnis der Frankfurter jüdischen Vereine, Stiftungen und Wohlthätigkeitsanstalten“ aus dem Jahre 1917 nennt nicht weniger als 160 Einrichtungen. Vor dem 19. Jahrhundert kamen jüdische Stiftungen ausschließlich den Bedürftigen der jüdischen Gemeinde zugute. Mit zunehmender Integration der jüdischen Bevölkerung Frankfurts in die bürgerliche Gesellschaft wurden im 19. und frühen 20. Jahrhundert immer mehr Stiftungen errichtet, nach deren Satzung alle bedürftigen Bürger der Stadt unabhängig von ihrem religiösen Bekenntnis berücksichtigt werden sollten. Zahlreiche weitere Stiftungen dienten der Förderung von Bildung, Wissenschaft und Kunst. Auch die 1914 eröffnete Frankfurter Universität verdankt ihr Entstehen zum größten Teil den Schenkungen und Stiftungen jüdischer Bürger.

 

Die Inflation der Jahre 1922/23 ließ allerdings in vielen Fällen das Stiftungskapital so schrumpfen, dass der Stiftungszweck nicht mehr erfüllt werden konnte. Die unselbstständigen unter diesen Stiftungen, die der Stadt Frankfurt zur Verwaltung übertragen worden waren, wurden schließlich 1928 mit anderen Stiftungen ähnlicher Zweckbestimmung zu so genannten Gruppenstiftungen zusammengefasst.
Bei den 1933 noch existierenden Stiftungen unterschieden die NS-Behörden zwischen solchen, die ausschließlich für die jüdische Bevölkerung bestimmt waren, und so genannten „paritätischen“ oder „gemischten Stiftungen“, bei denen das religiöse Bekenntnis der Begünstigten keine Rolle spielte. 1936 wurden zunächst „alle mildtätigen Stiftungen der Besteuerung durch das Körperschafts- und Vermögenssteuer-Gesetz unterworfen, die ihre Erträge nicht ausschließlich deutschen Volksgenossen zuwenden“. Die Stiftungsabteilung der Stadtverwaltung drängte daraufhin 1937 zu einer Aufspaltung der paritätischen Stiftungen in einen steuerpflichtigen jüdischen und einen steuerbefreiten nichtjüdischen Teil. (Dokumente, S. 121) Die Stiftungsabteilung wollte dabei zunächst den Prozentsatz der jüdischen Bevölkerung Frankfurts im Jahre 1925 (vor den großen Eingemeindungen von 1928) von 5,5 Prozent zugrunde legen, dabei aber die Ertragsminderung durch die Besteuerung berücksichtigen, was bei einer Aufspaltung zu einem „jüdischen Anteil“ von 9,17 Prozent geführt hätte (Dokumente, S. 125).

 

Die Stiftungskommission des Vorstands der Israelitischen Gemeinde schlug dagegen 1938 vor: „1. Die einzelnen Stiftungen sollen nicht in sich aufgeteilt, sondern es soll eine Anzahl von Stiftungen ganz der nichtjüdischen Seite (Stadtverwaltung) und eine andere Zahl von Stiftungen ganz der jüdischen Seite zugeführt werden. Die Vermögen aller in Betracht kommenden Stiftungen sind zusammenzurechnen, und die Überweisung der einzelnen Stiftungen an die jüdische und an die nichtjüdische Seite soll in der Weise geschehen, daß auf jede der beiden Seiten je die Hälfte der gesamten Vermögen entfällt. Es handelt sich (…) um Vermögen von insgesamt RM 1.553.600.–, sodaß also die jeder der beiden Seiten anzuschließenden Stiftungen Vermögenswerte von je ungefähr RM 776.800.– darzustellen hätten.“ (Dokumente, S. 128)

 

Die Stiftungsabteilung wollte der jüdischen Seite jedoch maximal einen Betrag von RM 520.000 zugestehen (Dokumente, S. 130). Da die Israelitische Gemeinde dem nicht zustimmen konnte (Dokumente, S. 133) und sich auch der Forderung, auf die weitere Entsendung von Vertretern der Gemeinde in die Vorstände der gemischten Stiftungen zu verzichten, verweigerte (Dokumente, S. 136), musste sich die Stadtverwaltung bei den gemischten Stiftungen zunächst damit begnügen, im Einzelfall jüdische Mitglieder zum Ausscheiden aus Stiftungsvorständen zu drängen, Stiftungen aufzulösen oder ihre Namen zu ändern (Dokumente, S. 139–142).

 

Literatur::

Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933–1945. Hg. von der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden. Bearb. von Dietrich Andernacht und Eleonore Sterling. Frankfurt am Main 1963. S. 118–162

Jüdische Stiftungen in Frankfurt am Main. Stiftungen, Schenkungen, Organisationen und Vereine mit Kurzbiographien jüdischer Bürger, dargestellt von Gerhard Schiebler. Hg. von Arno Lustiger im Auftrag der M. J. Kirchheim’schen Stiftung in Frankfurt am Main. Frankfurt am Main 1988

Bruno Müller: Stiftungen für Frankfurt am Main. Frankfurt am Main 1958

Im 19. und 20. Jahrhundert hatten wohlhabende jüdische Bürger Frankfurts zahlreiche Stiftungen errichtet, die teils ihren jüdischen Mitbürgern, teils der gesamten städtischen Bürgerschaft zugute kamen. Nach 1933 drängte die Stadtverwaltung darauf, die gemischten Stiftungen in einen jüdischen und einen nichtjüdischen Teil aufzuspalten, die jüdischen Vorstandsmitglieder abzuberufen und die Stiftungsnamen zu ändern.



Autor/in: Michael Lenarz
erstellt am 21.08.2003
 

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