Zwei Leben für die Volksbildung – Else und Wilhelm Epstein

Ende des 19. Jahrhunderts wurde mit dem Ausschuß für Volksvorlesungen die Vorläuferorganisation der Frankfurter Volksbildung gegründet, die die Integration der Arbeiterschaft in das bürgerliche Kulturleben und damit auch die Partizipation am politischen Leben zu fördern suchte. Wilhelm Epstein war 1906 bis 1930 ihr Geschäftsführer. 1918 wurde das Volksbildungsheim gegründet und der Verein in Frankfurter Bund für Volksbildung umbenannt. Ab 1933 wurde Eppstein als Jude vom NS-Regime verfolgt, seine nichtjüdische Frau nach seinem Tod 1941 ebenfalls. Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes engagierte sie sich als Kommunalpolitikerin in der CDU.

 

„Die Volksbildungsarbeit, die in Frankfurt und im Taunusgebiet geleistet wird, kann nach ihrem Umfang und ihrer Vielseitigkeit als vorbildlich gelten.“ (Wilhelm Epstein, 1912) 

 

Mit der Berufung des promovierten Chemikers Wilhelm Epstein zum hauptamtlichen Geschäftsführer des Ausschusses für Volksvorlesungen (AfV) 1906 und dessen Eintrag in das Vereinsregister im Jahr darauf begannen der Ausbau und die Professionalisierung der Frankfurter Volksbildung. Ab 1914 unterstützte ihn seine Ehefrau Else Epstein, geb. Beling, ehrenamtlich.

 

Demokratisierung des Wissens
Als eine Folge der Industrialisierung erstarkte Ende des 19. Jahrhunderts die Arbeiterbewegung – auch in Frankfurt am Main. Noch war die Unterschicht von kommunalem Wahlrecht und politischer Teilhabe ausgeschlossen. Um die kulturelle Integration der Arbeiter in die bürgerliche Gesellschaft aktiv zu fördern, rief der sozialreformerisch orientierte Stadtrat Karl Flesch mit Gleichgesinnten 1890 das Comité zur Veranstaltung unentgeltlicher volksthümlicher Vorträge ins Leben – Vorläufer des 1891 gegründeten AfV. Damit existierte in Frankfurt ein Forum, in dem Arbeiterschaft und Bürgertum ihre Bildungsinteressen gemeinsam pflegten – gleichzeitig war es ein Instrument der sozialen Befriedung. Flesch musste sich gegenüber der Polizei verpflichten: „Jede Parteipolitik bleibt ausgeschlossen“. Personelle, ideelle und finanzielle Unterstützung fand der Jurist im Freien Deutschen Hochstift, zu dessen Mitgliedern er selbst zählte. Mit Vorträgen – so argumentierte Initiator Flesch – ließen sich kostengünstig und regelmäßig viele Arbeiter erreichen. Die Reihe mit zunächst zwölf Veranstaltungen startete am 16. Januar 1891. Das Referat von Veit Valentin über Baukunst war ein großer Erfolg: Bei freiem Eintritt folgten etwa 700 Gäste – Frauen und Männer – den Ausführungen des Historikers.

 

Etwa zeitgleich entstanden in der Region ähnliche Organisationen, die 1898 mit dem AfV zum Rhein-Mainischen Verbund für Volksbildung fusionierten. Darunter befand sich auch der seit 1868 aktive Fortbildungsverein für Arbeiter in Höchst. Aber nicht nur räumlich, auch inhaltlich erweiterte sich das Angebot stetig: Zu den Vorlesungen kamen ab 1895 Volksvorstellungen im Theater, 1896 wurden erste Volkskonzerte gegeben, bereits 1897/98 ergänzten Lehrgänge das Programm. 1900 konstituierte sich der Frankfurter Volkschor, und immer sonntags öffneten die Frankfurter Museen allen Mitgliedern unentgeltlich ihre Pforten. Aus der Bühnenarbeit erwuchs 1906 das erste gemeinnützige Wandertheater Deutschlands: das Rhein-Mainische Künstlertheater.

 

Während seiner 24-jährigen Leitertätigkeit gelang es Wilhelm Epstein, etwa mit der städtischen Sozialverwaltung wie wissenschaftlichen Institutionen einfühlsam zu kooperieren und das Vertrauen der Arbeiterschaft immer mehr zu gewinnen. Dabei war es kein einfaches Unterfangen, Volksbildung im wilhelminischen Obrigkeitsstaat zu betreiben. Noch 1946 erinnerte sich Else Epstein an das kluge und besonnene Wirken der Eheleute, deren Arbeit allein im „Geist des Taktes und der Rücksicht sowie des gewissenhaften und sachlichen Wahrheitsstrebens“ funktioniert habe. Sozialdemokrat Epstein führte 1908 Kurse zur Elementarbildung ein und galt – wie schon „Vorgänger“ Flesch – als strikter Verfechter politischer Neutralität im Rahmen der Volksbildung. So weigerte er sich in den 1920er Jahren beharrlich, die Vortragsräumlichkeiten an Gruppierungen aus dem „völkischen“ oder nationalsozialistischen Umfeld zu vermieten.

 

Volksbildung in der Weimarer Zeit
Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Ausrufung der Republik 1918/19 markierten eine tiefgreifende Zäsur. Die Weimarer Reichsverfassung bestimmte das allgemeine und gleiche Wahlrecht. Arbeiterschaft und Frauen waren nun uneingeschränkt zum Urnengang zugelassen. Diese neue Möglichkeit politischer Einflussnahme schürte in bürgerlichen Kreisen Ängste – nicht zuletzt vor Revolutionen. Durch die Popularisierung des Wissens hofften die Verfechter der Volksbildung, ein wirkungsvolles Instrument zur sozialen Befriedung in der Hand zu halten. Artikel 148 der Weimarer Verfassung legte fest: „… Das Volksbildungswesen, einschließlich der Volkshochschulen, soll von Reich, Ländern und Gemeinden gefördert werden.“ Volkshochschulen wurden jetzt erstmals selbstständiger Bereich im Bildungssystem; diese Bezeichnung für eine institutionelle Erwachsenenbildung setzte sich indes nur in Preußen, Sachsen und Thüringen durch. Staatliche Schulen wurden jetzt angewiesen, ihre Räumlichkeiten und Lehrmittel in den Dienst der Volksbildung zu stellen. Schon bald kam es zu einem Richtungsstreit zwischen dem traditionellen Vortragswesen und einer intensiven Bildungsarbeit in kleinen Gruppen, die keine Belehrung vom Katheder herab akzeptierten. So bildeten sozialkritische Jungarbeiterheime einen Arbeitskreis, dem auch die Frankfurter Volksbildungsbewegung angehörte; dieser pflegte enge Kontakte zu Gewerkschaften und der Akademie der Arbeit. Wilhelm Epstein wurde in dieser Auseinandersetzung eher dem konservativen Lager zugerechnet. Mit Gründung des „Hohenrodter Bundes“ 1923 konsolidierte sich die Erwachsenenbildung. Die Mitglieder trafen sich einmal pro Jahr und gaben bis 1930 die Zeitschrift „Archiv für Erwachsenenbildung“ heraus.

 

Als 1918 der Geschäftssitz des Kaufmännischen Vereins zum Verkauf stand, folgte die Stadt Frankfurt der Empfehlung von Wilhelm und Else Epstein, das Gebäude zu erwerben und es dem AfV zur Verfügung zu stellen. Am 4. Juli 1919 nahm – ebenfalls unter Geschäftsführung Epsteins – die Volksbildungsheim GmbH ihre Arbeit auf, und bereits im Oktober desselben Jahres konnte der Verein mit Büros, Hörsälen, Bibliothek, Kino, Theater sowie einem Restaurant feierlich eröffnet werden. Zwei Monate später änderte der AfV seinen Namen in Frankfurter Bund für Volksbildung e. V. (FBfV).

 

Sukzessive gelang es dem Ehepaar Epstein, das Angebot quantitativ und qualitativ zu verbessern, auch wenn Inflation und Wirtschaftskrisen die Preisgestaltung – besonders für die Theater- und Konzertbesuche – zum lästigen Dauerthema machten. Seit 1921 bestand die Frankfurter Volksbühne, 1930 zählte sie schon 8.500 Mitglieder. Großer Beliebtheit erfreuten sich Musik- und Literaturdarbietungen sowie Studienreisen ins Ausland, die der Völkerverständigung dienen sollten. Letztere hatte Epstein bereits 1911 eingeführt; die Fahrten zählten zu den wichtigsten Errungenschaften seiner Amtszeit. Das städtische Schulkino widmete sich dem noch neuen Medium Film. Ab 1924 übertrug der Südwestdeutsche Rundfunk „belehrende“ Vorträge, die auch Insassen der Strafanstalt Preungesheim im Rahmen ihrer Resozialisierung hören konnten. Selbstverständlich hielt Epstein das Eröffnungsreferat. In Kooperation mit der Frankfurter Universität und dem 1923 gegründeten Institut für Sozialforschung fanden regelmäßig Lehrgänge statt.

 

Repressalien in der NS-Zeit
Wilhelm Epstein wurde 1930 im Alter von 70 Jahren in den Ruhestand verabschiedet. Als Nachfolger bestellt der Verein Adolf Waas, bislang Leiter der städtischen Volksbücherei. Wilhelm und Else Epstein gehörten noch bis 1933 dem Arbeits- und zentralen Lenkungsausschuss an. Wilhelm Epstein war Jude. Nach der „Gleichschaltung“ des FBfV 1933 wurden Else Epstein und ihr Ehemann gezwungen, sich in das Privatleben zurückzuziehen. Das in nach NS-Definition in „Mischehe“ lebenden Paar war nun ständigen Repressalien ausgesetzt – etwa im Streit um Anspruch auf Pensionszahlungen für Wilhelm Epstein oder gar der Gefahr seiner drohenden Deportation.
Bald nach Epsteins Tod am 18. Februar 1941 wurde Else Epstein wegen ihrer Kontakte zu Juden und NS-Gegnern denunziert und von der Geheimen Staatspolizei verhaftet. Wegen „Verstoßes gegen das gesunde Volksempfinden“ folgte eine dreiwöchige Haft im Frankfurter Polizeigefängnis Preungesheim. Im Juli 1942 wurde Else Epstein gewaltsam in das Konzentrationslager Ravensbrück verschleppt. Nach acht Monaten Haft kam sie 1943 frei und zog sich in ein Lungensanatorium im Schwarzwald zurück, wo sie Arbeit als Buchhalterin fand.

 

Neustart 1945
Mit der Befreiung Frankfurts kehrte auch Else Epstein umgehend in die Main-Stadt zurück und ergriff bereits im Herbst 1945 die Initiative zum Neuaufbau des FBfV und einer demokratischen Erwachsenenbildung. Nach NS-Diktatur und Zweitem Weltkrieg wollte sie den Frankfurtern „seelische Erhebung“ bringen und „damit auch Kraft und Wiederaufbauwillen“. Else Epstein war überzeugt davon, dass dies durch Abkehr von der „weltanschauungslosen Bildung“ gelänge. Ehemaligen NSDAP-Aktivisten blieb die FBfV-Mitgliedschaft verwehrt.

 

Der erste Vortrag „Deutschland und die Deutschen 1945“ widmete sich kritischer Selbstreflektion. Die 1945 jeweils von den Besatzungsbehörden zu genehmigenden Veranstaltungen zogen 3.968 Hörer an. Allerdings interessierte sich das Publikum zum Leidwesen Else Epsteins mehr für Diavorträge über Urlaubsregionen als etwa für das Thema „Zerstörung und Wiederaufbau des Rechtsstaates“.
Nach schwierigen Verhandlungen mit der US-Militärregierung erhielt die Christdemokratin Epstein schließlich am 12. März 1946 die offizielle Zulassung für den FBfV, dessen Geschäfte sie bis zu ihrem Tod am 12. Dezember 1948 zusammen mit Carl Tesch leitete. Else Epstein fungierte nicht allein als Gründungsmitglied der Frankfurter CDU; sie war auch Mitglied des Frankfurter Bürgerausschusses, von 1946 bis 1948 CDU-Stadtverordnete. Sie wirkte zudem als Vorsitzende des Ausschusses für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung sowie als Mitglied in der Deputation für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. 1946 wurde sie außerdem als Mitglied in den Beratenden Landesausschuss der Verfassunggebenden Landesversammlung Groß-Hessens berufen.

 

Heute erinnert im Stadtteil Ginnheim die Wilhelm-Epstein-Straße an den bedeutenden Repräsentanten der Frankfurter Volksbildung. Hingegen ist Else Epstein in Frankfurt beinahe vergessen.

 

 

 

Literatur:

[Heike Drummer / Jutta Zwilling], Demokratisierung des Wissens. 120 Jahre Frankfurter Volksbildung. Volkshochschule Frankfurt am Main (Hg.), Frankfurt am Main 2010

Kai Gniffke, Volksbildung in Frankfurt am Main 1890-1990, Frankfurt am Main 1990

Elke Schüller, Else Epstein, in: dies., „Neue, andere Menschen, andere Frauen“? Kommunalpolitikerinnen in Hessen 1945-1956. Ein biographisches Handbuch, Frankfurt am Main 1995, S. 69-72.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde mit dem Ausschuß für Volksvorlesungen die Vorläuferorganisation der Frankfurter Volksbildung gegründet, die die Integration der Arbeiterschaft in das bürgerliche Kulturleben und damit auch die Partizipation am politischen Leben zu fördern suchte. Wilhelm Eppstein war 1906 bis 1930 ihr Geschäftsführer. 1918 wurde das Volksbildungsheim gegründet und der Verein in Frankfurter Bund für Volksbildung umbenannt. Ab 1933 wurde Eppstein als Jude vom NS-Regime verfolgt, seine nichtjüdische Frau nach seinem Tod 1941 ebenfalls. Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes engagierte sie sich als Kommunalpolitikerin in der CDU.



Autor/in: Heike Drummer / Jutta Zwilling
erstellt am 01.01.2011
 

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Tesch, Carl

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