Der Chirurg Otto Loewe und das St. Markus-Krankenhaus

Dr. med. Otto Loewe, links im Bild, im OP des St. Markus-Krankenhauses, Willy Schmidt (Mitte) und Otto Rothschild assistieren. Das Gemälde von Friedrich Mook ist ein Geschenk zum 25-jährigen Dienstjubiläum Loewes 1932

Schreiben des Arztes Dr. Fritz Kahl über den Tod Otto Loewes nach schwersten Mißhandlungen in der Festhalle am 11.11.1938

Am Beispiel des Chirurgen Otto Loewe, evangelisch getauft und jüdischer Herkunft, wird deutlich, wie tief sich die Nationalsozialisten in die innere Verwaltung selbstständiger kirchlicher Einrichtungen einmischten und wie skrupellos sie gegen ihnen missliebige Personen vorgingen.

 

Das Bockenheimer St. Markus-Krankenhaus hat Otto Loewe viel zu verdanken. Der seit 1907 am Diakonissenheim in der Falkstraße operierende Chirurg Otto Loewe hatte das in der Bevölkerung trotz einiger Mängel sehr beliebte Stadtteilkrankenhaus Mitte der Zwanzigerjahre vor der Schließung bewahrt, indem er dem Bockenheimer Diakonissenverein als Krankenhausträger den Erwerb eines Nachbargebäudes ermöglichte. Mit finanzieller Hilfe der Stadt wurden die beiden Nachbarhäuser ab 1926 aufgestockt und innerhalb von zwei Jahren zu einem modernen 174-Betten-Hospital vereinigt.
Der Name „Diakonissenheim“ war inzwischen überholt. 1891 als Wohnhaus für Diakonissen mit angegliedertem Hospital eröffnet, hatte sich der Schwerpunkt der Tätigkeit schon bald auf die stationäre Krankenpflege verlagert. Auf Vorschlag des Vorsitzenden des Diakonissenvereins, Heinrich Kahl, wurde das Diakonissenheim in St. Markus-Krankenhaus umbenannt. Anschließend berief der Diakonissenverein den um den Fortbestand des Markus-Krankenhauses hochverdienten Otto Loewe im Frühjahr 1928 zum Chefarzt.

 

Nachdem die Nationalsozialisten das Ruder übernommen hatten, verlor der evangelisch getaufte Jude Otto Loewe seine Position als Chefarzt des Markus-Krankenhauses. Im Einvernehmen mit dem weiter am Markus-Krankenhaus praktizierenden Loewe übernahm der Internist Wilhelm Schöndube die Klinikleitung. Obgleich die nationalsozialistischen Ärzteführer diesen Modus Vivendi zunächst noch geduldet haben, waren weitere Repressalien nur eine Frage der Zeit.

 

Im Herbst 1935 erhöhten die Behörden den Druck auf die Leitung des St. Markus-Krankenhauses. Aus einem Schriftwechsel zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung und dem Bockenheimer Diakonissenverein geht das verzweifelte Bemühen hervor, Otto Loewe am Markus-Krankenhaus zu halten. Anfang Oktober 1935 weigerte sich die Krankenhausleitung in einem Schreiben an den „Führer“ der Kassenärztlichen Vereinigung, Strebel, den Spiritus Rector der Anstalt zu entlassen: „Herr Dr. Loewe hat sich in 30-jähriger von allen Seiten anerkannter Wirksamkeit derart uneigennützig um den Verein bemüht und so viel an materiellen und ideellen Werten für das Krankenhaus hingegeben, dass es für den Vorstand des Bockenheimer Diakonissen-Vereines, dessen Mitglieder sämtlich der evangelischen Kirche angehören, eine unmenschliche Härte und krasse Undankbarkeit bedeuten würde, wollte er Herrn Dr. Loewe den Stuhl vor die Tür setzen. Das St. Markus-Krankenhaus ist Dr. Loewes Werk, seine Tätigkeit hat niemals zu irgendwelchen Beanstandungen Anlass gegeben und er würde als nichtarischer Christ und bei seinem Alter nirgendwo eine Möglichkeit des Arbeitens finden. Der Vorstand des Bockenheimer Diakonissenvereins kann nicht glauben, dass die Führung der Ärzteschaft an diesen Gesichtspunkten vorbeigehen will, sondern auch im nationalsozialistischen Staat die Gesetze der Menschlichkeit beachten muss.“

 

Anfang Oktober 1935 setzte der Leiter der Kassenärztlichen Vereinigung, Strebel, dem standhaften Diakonissenverein die Pistole auf die Brust, indem er den Ausschluss des Krankenhauses von Zahlungen anordnete. Die am St. Markus-Krankenhaus operierenden Belegärzte konnten ihre Leistungen nun nicht mehr mit der Kasse abrechnen. Der gesperrten Anstalt drohte innerhalb kürzester Zeit der wirtschaftliche Ruin. Als Otto Loewe die Gefahr erkannte, verließ er von sich aus das Markus-Krankenhaus. Um den Nationalsozialisten keine weiteren Angriffsflächen zu bieten, trat Wilhelm Schöndube, der durch den persönlichen Einsatz für Loewe in Ungnade gefallen war, von seiner Chefarztposition zurück. Aus Protest gegen das Vorgehen der Kassenärztlichen Vereinigung legte auch der Vorsitzende des Bockenheimer Diakonissenvereins, Pfarrer Kahl, sein Amt nieder. Binnen Jahresfrist wurde der komplette Vereinsvorstand gegen Parteigänger der NSDAP ausgetauscht und dem „Führerprinzip“ unterworfen. Otto Loewe behandelte seine Patienten nunmehr am jüdischen und „nichtarischen“ Ärzten zugewiesenen Viktoria-Institut, einem von Schwestern betriebenen Sanatorium mit freier Arztwahl in der Westendstraße. Gleichzeitig traf er Vorbereitungen für eine Emigration der vierköpfigen Familie. Seinen ältesten Sohn Paul hatte Loewe 1934 mit dem Auftrag zum Medizinstudium nach Mexiko geschickt, dort die Möglichkeiten für einen Neubeginn zu sondieren. Als in Frankfurt Terror und Verfolgung weiter eskalierten verfrachtete Loewe 1935/36 einen Teil seiner Röntgeneinrichtung nach Mexiko. Loewe selbst wollte solange wie möglich in Frankfurt ausharren.

 

1938 wurde Loewe ein Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 zogen Rollkommandos der Gestapo durch die Stadt und verhafteten anhand vorgefertigter Namenlisten alle männlichen Juden im Alter von 16 bis 60 Jahren – dabei fiel auch Loewe den braunen Schergen in die Hände. Unter bis heute ungeklärten Umständen kam Loewe in der Nacht zum 12. November 1938 ums Leben. Heute erinnert in Bockenheim nicht weit von der U-Bahn-Station „Leipziger Straße“ entfernt die „Otto-Loewe-Straße“ an die Verdienste und das Schicksal des Mediziners.

 

 

 

Literatur::

Thomas Bauer, Roland Hoede: In guten Händen. Vom Bockenheimer Diakonissenverein zum Frankfurter Markus-Krankenhaus, hrsg. von den Freunden und Förderern des St. Markus-Krankenhauses Verein für Krankenpflege und Diakonie in Frankfurt am Main (gegründet 1876 als Bockenheimer Diakonissenverein), Frankfurt a. M. 2001

Institut für Stadtgeschichte, NS-Verfolgte 4048

Am Beispiel des Chirurgen Otto Loewe, evangelisch getauft und jüdischer Herkunft, wird deutlich, wie tief sich die Nationalsozialisten in die innere Verwaltung selbstständiger kirchlicher Einrichtungen einmischten und wie skrupellos sie gegen ihnen missliebige Personen vorgingen.



Autor/in: Thomas Bauer
erstellt am 01.01.2005
 

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