Auf Wunsch des Vaters tritt Gertrud Liebig mit 14 Jahren in die Gewerkschaft ein. Die Jugendgruppe des Zentralverbandes der Angestellten (ZdA) wird rasch zum Mittelpunkt der Freizeit.
Vater war Metallarbeiter, klassenbewusst, 1918 Mitglied der USPD, Rückkehr in die SPD, Gewerkschafter, Betriebsrat und seit 1929 Frühinvalide. Ich war das vierte und jüngste Kind. Zu den eingeprägten Erinnerungen an meine Kindheit gehört, dass ich Zahnschmerzen hatte und Mutter nicht mit mir zum Zahnarzt gehen konnte, weil Vater arbeitslos war. Die Mutter erzählte oft, dass meine ältere Schwester Maria auf die mütterliche Drohung: „Ich wird’ dich verkaufen!“ antwortete: „Ja! Aber nur an reiche Leut’!“ Für eine Rolle bei einer schulischen Theateraufführung brauchte ich Halbschuhe, die ich mir bei einer Mitschülerin auslieh. Vater kaufte nur Stiefel.
Nach Abschluss der Schule 1931 mit einem guten Zeugnis wollte ich Kindergärtnerin werden, aber es gab keine Lehrstellen. Vater sah darauf, dass ich, wie die Geschwister auch, sofort einer Gewerkschaft beitrat. Ich trat in den ZdA ein, mehr aus Tradition, denn aus Bewusstsein. Paul Müller besorgte eine Lehrstelle bei der Aktienbaugesellschaft für kleine Wohnungen. Ich war dort der erste Bürolehrling überhaupt, die Stelle war neu geschaffen worden.
Ich engagierte mich schnell in der Jugendgruppe des ZdA. Sie wurde zur Welt der Freizeit. Ich ging möglichst jeden Abend hin: Neben gewerkschaftspolitischer Schulung gab es Sexualaufklärung, es wurde gesungen, getanzt, am Wochenende gingen wir auf Fahrt (...) Die elterliche Wohnung bot drei Zimmer für sechs Personen. Vaters Rente reichte gerade für die Miete. Da die Geschwister weiter zu Hause wohnten, ging es uns durch die Bündelung der Einkommen im Vergleich zu anderen Arbeiterfamilien relativ gut.
Bericht Gertrud Liebig 1983, Historisches Museum
Auf Wunsch des Vaters tritt Gertrud Liebig mit 14 Jahren in die Gewerkschaft ein. Die Jugendgruppe des Zentralverbandes der Angestellten (ZdA) wird rasch zum Mittelpunkt der Freizeit.