Die französisch-reformierte Gemeinde Frankfurt am Main im Kirchenkampf

Aufnahmekarte („Rote Karte“) der Evangelischen Bekenntnisgemeinde

Titel des Rechtsgutachtens zugunsten der Unabhängigkeit der französisch-reformierten Gemeinden

Die Kirche der französisch-reformierten Gemeinde am Goetheplatz 7. Das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Die Kirche hat keinen Kirchturm, da ein solch sichtbares Symbol zur Bauzeit Ende des 18. Jahrhundert von der lutherischen Mehrheit der religiösen Minderheit noch verwehrt wurde.

Die Kirche der französisch-reformierten Gemeinde am Goetheplatz 7 nach ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg durch Bombardierung

Innenansicht der Kirche der französisch-reformierten Gemeinde am Goetheplatz 7 vor ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg

Durch entschiedenes Auftreten von Pfarrern und Presbytern konnte die französisch-reformierte Gemeinde ihre Selbstständigkeit gegenüber der deutschchristlich beherrschten Landeskirchenleitung bewahren. Intern grenzte sich die Gemeinde vom Nationalsozialismus ab, offener Widerstand ist nicht bekannt geworden.

 

Während die politische Haltung der Gemeindeältesten und der Pfarrer der Kirche der französisch-reformierten Gemeinde am Goetheplatz gegenüber dem offiziellen Kirchenregiment mit Hilfe von Dokumenten nachvollzogen werden kann, ist dies für die Gemeindemitglieder (in den dreißiger Jahren etwa 300-350) im Einzelnen kaum möglich. Zwar lassen sich die wahlberechtigten Mitglieder der französisch-reformierten Gemeinde anhand der Anwesenheitslisten der Gemeindeversammlungen feststellen. Wer eventuell Mitglied in der NSDAP oder einer ihrer Unterorganisationen gewesen war, geht daraus jedoch nicht hervor. Die politische Haltung des Konsistoriums war sicher durch den Präses-Ältesten und der jeweiligen Pfarrer geprägt. Die Protokollbücher lassen hier kaum abweichende Meinungen erkennen, denn die Beschlüsse der Versammlungen wurden meist als „einstimmig“ protokolliert. Pfarrer der Gemeinde waren in der Zeit 1933-1945 Johann Nikolaus Ditzen (1931 bis zu seinem Tod am 6. Oktober 1936), ihm folgte im April 1937 Walter Kreck, der bis zu seiner Wahl im Oktober 1937 als Pfarrverwalter tätig war. Er begleitete die Pfarrstelle bis zu seiner Ausweisung aus dem Gebiet der Evangelischen Kirche Nassau-Hessen (EKNH) im März 1940. In den pfarrerlosen Zeiten half die deutsch-reformierte Schwestergemeinde mit ihren Pfarrern Wilhelm Lueken und Erich Foerster aus. Präses-Ältester war von 1932 an Justizrat Friedrich Schmidt-Knatz, der sein Amt am im September 1945 niederlegte.

 

Wahrung der Sonderrechte der Reformierten

 

Schon direkt nach der Machtergreifung hat die französisch-reformierte Gemeinde zur Wahrung ihres Bekenntnisstandes die herkömmliche ungeschriebene Kirchenordnung schriftlich fixiert, um ihre Sonderrechte zu wahren. Am 14. Mai 1933 wurde die vom Konsistorium einstimmig angenommene Kirchenordnung von der Gemeindeversammlung zur Kenntnis genommen.

Schon kurz vor der Vereinigungssynode der drei Landeskirchen Frankfurt, Nassau und Hessen zur EKNH Ende 1933 forderte eine Eingabe aus Frankfurt die „Wahrung der im reformierten Bekenntnisstand begründeten Rechte der reformierten Gemeinden in der evangelischen Landeskirche Nassau-Hessen“. Vor allem der Präses-Älteste der französisch-reformierten Gemeinde, der Justizrat Friedrich Schmidt-Knatz, trat unermüdlich durch Rechtsgutachten, Beratung und andere juristische Aktivitäten für die Wahrung der Rechte der reformierten Kirchen ein und gegen die Übergriffe der deutschchristlichen Landeskirchenleitung auf. So versuchte er beispielsweise 1935 mit dem Gutachten „Die Rechtslage der Evangelischen Landeskirche Nassau-Hessen“ nachzuweisen, dass das Zustandekommen der Darmstädter Landeskirchenleitung kirchenverfassungswidrig war. Das Gutachten wurde mehrfach in Rechtsstreitigkeiten herangezogen, so auch im Prozess des Pfarrers der Frankfurter Paulskirche Karl Veidt.

 

Die Stellung der französisch-reformierten Gemeinde innerhalb der Bekennenden Kirche

 

Die Frankfurter französisch-reformierte Gemeinde war ein Zentrum der Bekennenden Kirche im preußischen Nassau und darmstädtischen Hessen. Gemeinsam mit ihrer deutsch-reformierten Schwestergemeinde war sie eine wichtige Sammlungs- und Zufluchtstätte der Gegner der Deutschen Christen. In ihrer Kirche am Goetheplatz wurde am 3. November1934 der Landesbruderrat für Nassau-Hessen eingesetzt. Hier fanden Tagungen der Bekenntnissynode der Landeskirche Nassau-Hessen statt, ebenso Bekenntnistage mit großem Zustrom bekennender Christen aus den benachbarten Gemeinden Offenbach, Dornholzhausen, Walldorf und Rohrbach, sowie ab und zu auch Friedrichsdorf. Die führenden Presbyter der Gemeinde gehörten zur Bekennenden Kirche; der Präses Schmidt-Knatz war von Anfang an führend in diesem Sinne tätig. An der Gründung der „Freien Synode der bekennenden reformierten Kirche Nassau-Hessen“ am 10. Mai 1935 in Frankfurt, nahmen neben den beiden Frankfurter reformierten Gemeinden, Offenbach, Walldorf und Waldmichelbach/Odenwald teil. Versehentlich nicht eingeladen war die Dornholzhausener Gemeinde, die aber der Freien Synode als zugehörig betrachtet wurde. In den Gemeinderäumen am Goetheplatz wurde am 4. Mai 1935 das „Freie theologische Seminar der Bekennenden Kirche Hessen-Nassau“ eröffnet, an dem junge bekennende Theologen ausgebildet wurden und sich gegen eine Prüfung vor den Behörden der Landeskirche verwahrten. Lic. Walter Kreck, ein Schüler des Schweizer reformierten Theologen Karl Barth, war Leiter und Inspektor des Seminars, an dem der frühere Münchner Stadtvikar Karl Gerhard Steck und die Frankfurter Gemeindepfarrer Otto Fricke, Karl Veidt und Wilhelm Lueken regelmäßig mitarbeiteten. Das Seminar konnte, trotz finanzieller Schwierigkeiten und Observierung durch die Gestapo eine zeitlang relativ ungestört arbeiten, bis es aufgrund des so genannten Himmler-Erlasses vom 29. August 1937, wie alle Ausbildungsstätten der Bekennenden Kirche, zwangsweise aufgelöst wurde. In „Sammelvikariate“ genannten kleinen Arbeitsgruppen setzte die Bekennende Kirche ihre Ausbildungsarbeit jedoch fort.

 

Gemeinde im kirchlichen Alltag

 

Nach dem Tode des Pfarrers Ditzen verwaltete Pfarrer Walter Kreck die Gemeinde zunächst auf Probe. Nach seiner einstimmigen Wahl durch die Gemeinde am 24. Oktober 1937 erhob gegen seine Amtseinführung der deutschchristliche Landeskirchenausschuss in Darmstadt Einspruch. Daraufhin wurde Kreck am 7. November 1937 nicht durch einen Pfarrer, sondern durch den Präses-Ältesten in sein Amt eingeführt. Nach mehreren Anzeigen, Verhören und anderen Schikanen der Gestapo wurde Kreck am 30. März 1940 aus dem Gebiet der Landeskirche Nassau-Hessen verwiesen. Im September 1940 erhielt er Predigt- und Redeverbot für das gesamte Reichsgebiet. Wieder sprangen die Amtsbrüder der deutsch-reformierten Schwestergemeinde ein. Walter Kreck blieb aber mit seiner Gemeinde in Kontakt. Er sandte mehrfach Schriftbetrachtungen, die in den Gemeindeversammlungen bis Ende 1940/ Anfang 1941 verlesen wurden. Die Neubesetzung der Pfarrstelle sollte erst angestrebt werden, wenn die Zukunft Krecks geklärt sei. Auch als er 1941 eine neue Stelle übernommen hatte, erschien der Gemeindeversammlung eine Neubesetzung schwierig: Die Gemeinde bezog Zuversicht aus den historischen Erfahrungen der reformierten Gemeinden, sich in den Zeiten der Verfolgung und Anfeindung immer als besonders rege und widerstandsfähig erwiesen zu haben. Den Ältesten wuchs die Aufgabe zu, die verhinderten Pfarrer wie in früheren Zeiten zu ersetzen und der Gemeinde Kraft zum Durchhalten zu geben.

Weil „Männer nicht zur Verfügung“ standen und weil die Gesamtlage der evangelischen Kirche es vorteilhaft erscheinen ließ, wurden während der Kriegsjahre die turnusmäßigen Neuwahlen des Konsistoriums mehrfach ausgesetzt und das bestehende im Amt belassen. Im Oktober 1943 wurde Pfarrer Friedrich Gräber aus Essen als Pfarrverwalter an die Frankfurter Gemeinde berufen. Die Teilnahme der Gemeindemitglieder an Gottesdienst und anderen Veranstaltungen wird im Protokollbuch als zu gering genannt, was aber durch Besuch von Predigtgästen ausgeglichen wurde. Die etwas exponierte Position machte die Frankfurter Gemeinde zwar zu einem Sammelpunkt kirchenkritischer Haltung – vermutlich aber zu Lasten ihrer „angestammten“ Mitglieder.

Nicht nur der Mangel an einem Pfarrer, sondern auch finanzielle Probleme belasteten die Gemeinde. 1942 erwog man sogar die Selbstständigkeit aufzugeben und sich entweder mit der Offenbacher Gemeinde oder der deutsch-reformierten Schwestergemeinde zu vereinigen, was aus Furcht vor Majorisierung abgelehnt wurde.

 

Haltung zu Diskriminierungen, Judenverfolgung, Euthanasie

 

Öffentliche Stellungnahmen der französisch-reformierten Gemeinde gegen das NS-Regime sind nicht bekannt. Jedoch lässt das überlieferte Protokollbuch der Gemeinde deutliche Kritik erkennen. In der Stellungnahme von Schmidt-Knatz vom 26. Mai 1936 zu den Verordnungen über Wiederherstellung des Rechtsfriedens, zur Verordnung über die Kirchenvorstände und über die Versetzung von Geistlichen sowie zur Dienststrafordnung vom 22. April 1936 werden u.a. die „Stabilisierung des Führerprinzips als evangelischer Ordnung widersprechend“ sowie der so genannte „Ariernachweis“ als „kirchlich grundsätzlich unmöglich“ abgelehnt.

Am 10. November 1940 hat der Protokollführer aufgeschrieben: „Das Konsistorium gedenkt der Kranken und Hilfsbedürftigen in den vielen Heil- und Pflegeanstalten, auch der Inneren Mission. Auf Veranlassung des Reichsverteidigungsrates wurden diese Anstalten geräumt. Allein in Württemberg sind bis Juli des Jahres über 3.000 dieser Armen verstorben. Sowohl die evangelische wie die katholische Kirche haben die Regierung darauf aufmerksam gemacht, dass Gottes Wort uns verpflichtet, für diese Leidenden zu sorgen und dass uns ihr Leben heilig sein muß.“
Am 21. September 1941 heißt es: „Präses stellt fest, daß durch den neuen Erlass der Regierung betr. Abzeichenzwang der Juden sich an der Teilnahme der Judenchristen am Gottesdienst in unserer Gemeinde nichts ändert.“

 

Literatur und Quellen

 

Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Französisch-Reformierte Gemeinde 244-245, Protokollbücher

Dokumentation zum Kirchenkampf in Hessen und Nassau, 1-8, Darmstadt 1974 ff.

Wilhelm Lueken, Kampf, Behauptung und Gestalt der Evangelischen Landeskirche Nassau-Hessen (Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes Band 12), Göttingen 1963

Wilhelm Lueken, Aus der Geschichte unserer Gemeinde, in: 400 Jahre Deutsche Evangelisch-reformierte Gemeinde Frankfurt a.M. 1955, S. 13-65.

Erich Foerster, Lebenserinnerungen von D. Erich Foerster (1865 bis 1945) Nach seiner Handschrift vom Mai und Juni 1943 neu geschrieben und mit Ergänzungen versehen von seinm Enkel Erich Schulz-Du Bois, Preetz 1996.

Walter Kreck. Erinnerungen an den Kirchenkampf aus dem Blickwinkel der französisch-reformierten Gemeinde in Frankfurt am Main, in: Friedliche Koexistenz statt Konfrontation. Was können Christen und Kirchen dazu beitragen? Köln 1988, S. 249-267

Ernst Herrenbrück, Die Französisch-reformierte Gemeinde Frankfurt (Main) – Ihr Bild in Vergangenheit und Gegenwart, Frankfurt (Main) 1961

Alles für Deutschland – Deutschland für Christus. Evangelische Kirche in Frankfurt am Main 1929 bis 1945. Katalog zur Ausstellung vom 29. April bis 12. Juli 1985 im Dominikanerkloster, hg. Matthias Benad/ Jürgen Telschow

Susanna Keval, Widerstand und Selbstbehauptung in Frankfurt am Main 1933-1945. Spuren und Materialien, Frankfurt am Main u.a. 1988

 

Durch entschiedenes Auftreten von Pfarrern und Presbytern konnte die französisch-reformierte Gemeinde ihre Selbstständigkeit gegenüber der deutschchristlich beherrschten Landeskirchenleitung bewahren. Intern grenzte sich die Gemeinde vom Nationalsozialismus ab, offener Widerstand ist nicht bekannt geworden.



Autor/in: Barbara Dölemeyer
erstellt am 01.01.2008
 

Verwandte Personen

Foerster, Erich


Fricke, Otto


Kreck, Walter


Schmidt-Knatz, Friedrich


Veidt, Karl

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