Das von 1929 bis 1935 existierende „Konzentrationslager“ an der Stadtgrenze zu Vilbel war kein KZ im Sinne der NS-Terminologie. Es diente jedoch der Ausgrenzung von Sinti und Roma aus dem städtischen Leben.
Von 1929 bis 1935 existierte an der Friedberger Landstraße, hinter dem heutigen Parkfriedhof Heiligenstock und unmittelbar an der Stadtgrenze zu Bad Vilbel, ein so genanntes „Konzentrationslager“ für Sinti und Roma. Im Allgemeinen wird die Bezeichnung „Konzentrationslager“ der Terminologie des Nationalsozialismus zugerechnet. In der Frankfurter Stadtgeschichte stößt man jedoch schon 1929 auf diesen Begriff. In diesem Jahr legte der Magistrat eine Akte mit dem Titel „Konzentrationslager an der Friedberger Landstraße“ an. Gemeint war damit ein von der Stadt betriebener Wohnplatz, an dem künftig all jene Frankfurter Sinti und Roma „konzentriert“ werden sollten, die bisher in verschiedenen Frankfurter Stadtteilen in Wohnwagen lebten.
Das Lager geht zurück auf einen populistischen Beschluss der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung vom 6. Dezember 1928. Auf Antrag der SPD-Fraktion forderte das Stadtparlament die Einrichtung eines „Zigeunerlagers mit Umzäunung“ außerhalb der städtischen Bebauung. Ziel des Beschlusses war, jene Sinti und Roma, die in Wohnwagen lebten, aus dem Stadtbild zu entfernen. Im August 1929 bestimmte eine Magistratskommission das Grundstück auf Berkersheimer Gemarkung. Mit der Auswahl dieses abgelegenen Platzes verband sich die Absicht, dass dessen Benutzer möglichst schnell über die preußisch-hessische Grenze nach Bad Vilbel ausreisen sollten. Dabei verkannten die Politiker, dass die betroffenen Sinti- und Romafamilien zum Teil seit Jahrzehnten Frankfurter Bürger waren und ihre Wohnwagen nur zeitweilig zur Ausübung des ambulanten Gewerbes bewegten.
Am 16. September 1929 wurden die ersten Frankfurter Sinti und Roma durch die Polizei vom Gallusviertel aus in das neue Lager überführt. Es wurden aber bei Weitem nicht alle Frankfurter Sinti und Roma dort ansässig. Weder die Polizei noch die Stadt hatten nämlich zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit zu einer Zwangseinweisung. Die Stadt Frankfurt übte allerdings Druck aus, indem sie jenen Sinti und Roma, die bislang andere städtische Grundstücke nutzten, den Mietvertrag kündigte. Auf weitere Betroffene wollte das Frankfurter Fürsorgeamt durch Versagung von Fürsorgeunterstützung Druck ausüben. Es musste dann aber feststellen, dass die Betreffenden gar keine öffentliche Unterstützung in Anspruch genommen hatten. Das Frankfurter Fürsorgeamt forderte die Polizei 1929 vergeblich zum Einsatz von Zwangsmitteln auf, um sämtliche Frankfurter Sinti und Roma in das Lager zu bringen. Das Polizeipräsidium lehnte dieses Ansinnen zu diesem Zeitpunkt aber noch ab, da den betreffenden Sinti und Roma nichts Negatives nachzuweisen war und da sie ihre Wohnwagenstandplätze legal von Privatleuten gemietet hatten.
Die Bewohner des „Konzentrationslagers an der Friedberger Landstraße“ waren schwierigen Lebensbedingungen ausgesetzt. Das Wiesbadener Regierungspräsidium forderte wenige Monate nach Einrichtung des Platzes wegen des morastartigen Zustandes sogar dessen Schließung aus gesundheitlichen Gründen. Die Sinti und Roma auf dem Platz kritisierten selbst verschiedene Missstände: die unzureichende Wasserversorgung, die mangelnde Gelegenheit zum Brennholzkauf und die fehlende Möglichkeit des Schulbesuchs für die Kinder. Im Januar 1930 gab es im Lager 24 schulpflichtige Kinder. Diesen war auch ein Dreivierteljahr nach Einrichtung des Lagers der Schulbesuch durch die Behörden versagt geblieben. Schon kurz nach Einrichtung des Lagers hatte der Bezirksverein Berkersheim beim Magistrat gegen eine mögliche Einschulung der Sinti- und Romakinder in Berkersheim protestiert. Eine geplante Schulbaracke direkt im Lager wurde von der Stadt Frankfurt aus finanziellen Gründen nicht errichtet. Schließlich mussten die Kinder mit dem Bus zum Schulbesuch in die Frankfurter Innenstadt fahren. Im Jahr 1935 wurde den Schulkindern ein regelmäßiger Schulbesuch attestiert.
Das Lager an der Friedberger Landstraße wurde von der übrigen Bevölkerung ambivalent aufgenommen. Einerseits trafen Beschwerden gegen Sinti und Roma ein, andererseits wurde das Lager zeitweise zur Attraktion. Die Frankfurter Nachrichten bezeichneten das Lager am 3. Oktober 1929 als „Ziel zahlloser Wanderer aus Frankfurt und Vilbel“, wohin die Spaziergänger zum „Handlesen und Kartenspielen“ kamen. Am 10. März 1930 strahlte der Radiosender Frankfurt (Südwestdeutscher Rundfunk) eine Reportage über das Lager aus.
Entgegen den städtischen Vorstellungen, die eine „Abreise“ der Sinti und Roma intendierten, nutzten mehrere Familien den Platz noch 1935 als dauerhaften Wohnsitz. Daraufhin schloss das Frankfurter Fürsorgeamt das Lager im September 1935. Dies geschah nur wenige Monate, bevor die Stadt Frankfurt 1936 unter den veränderten Vorzeichen der nationalsozialistischen Rassenpolitik ein Zwangslager für Sinti und Roma plante, welches dann 1937 als Zwanglager Dieselstraße eröffnet wurde.
Literatur und Quellen::
Peter Sandner, Frankfurt. Auschwitz. Die nationalsozialistische Verfolgung der Sinti und Roma in Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1998
Wolfgang Wippermann, Das Leben in Frankfurt zur NS-Zeit, Bd. II: Die nationalsozialistische Zigeunerverfolgung, Frankfurt am Main 1986
Akten im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main: Akten des Magistrats R 1377, R 1378 und 5.901
Das von 1929 bis 1935 existierende „Konzentrationslager“ an der Stadtgrenze zu Vilbel war kein KZ im Sinne der NS-Terminologie. Es diente jedoch der Ausgrenzung von Sinti und Roma aus dem städtischen Leben.