Der Anfang 1950 gegründete Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) verstand sich als politische Interessenvertretung der aus den deutschsprachigen Ostgebieten Geflohenen und Vertriebenen und war in Hessen bis weit in die 60er Jahre an der hessischen Landesregierung beteiligt. Seine Resonanz war in Frankfurt jedoch deutlich geringer als im Landesdurchschnitt. Mit der zunehmenden Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in die Sozialstruktur Westdeutschlands verlor er an Anhängerschaft, seinen Niedergang konnte er auch nicht durch eine nationalistisch-revanchistische Akzentuierung aufhalten.
Die Flucht und Vertreibung von bis zu zwölf Millionen Deutschen nach 1945 aus ihren ehemaligen Siedlungsgebieten im Osten (Ost- und Westpreußen, Sudetenland, Oberschlesien, deutschsprachigen Gebieten in Ungarn, Rumänien, Baltikum und Balkan) und ihre Flucht unter anderem nach Westdeutschland stellte die junge Bundesrepublik vor eine gewaltige Aufgabe. Es galt die ungeheure Anzahl der Flüchtlinge und Vertriebenen aufzunehmen und schrittweise über die bloße Versorgung mit Lebensmitteln und Wohnraum hinaus in die sich formierende bundesdeutsche Gesellschaft zu integrieren. Nicht nur materiell, sondern auch sozial und kulturell.
Die Artikulation und Vertretung der spezifischen Flüchtlingsinteressen übernahm 1950 eine politische Neugründung im Parteienspektrum der Bundesrepublik: der Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE). Diese von ihrem ersten Nachkriegsvorsitzenden Waldemar Kraft (1898-1977) zunächst auf Schleswig-Holstein beschränkte Partei sah sich im unmittelbaren Nachkriegsjahrzehnt und in den Aufbaujahren als das politische Sprachrohr der Flüchtlinge und Vertriebenen. Nach ersten Wahlerfolgen in Schleswig-Holstein mit 23,4 Prozent bei den Landtagswahlen am 9. Juli 1950, wurde schließlich am 6. August 1950 auch in Hessen ein Landesverband des BHE gegründet.
Der hessische Landesverband war ein Zusammenschluss aus der Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Kandidaten (AUD) und der Demokratischen Wirtschafts- und Aufbaugemeinschaft (DWA), die sich zuvor unter der Bezeichnung Unabhängige Deutsche Gemeinschaft (UDG) zusammengefunden hatten. Waldemar Kraft übernahm in der ersten Zeit unmittelbar nach der Gründung des hessischen Landesverbandes des BHE auch dort den Landesvorsitz. Diesen hatte später Günther Draub (1902-1957) inne. Vom 3. Dezember 1950 bis zum 3. September 1953 bekleidete Draub auch das Amt des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden des BHE im Hessischen Landtag. Am 4. Oktober wechselte er jedoch aus politischen Gründen zur SPD über und saß für diese im hessischen Parlament.
Die Entscheidung zur Gründung eines BHE-Landesverbandes in Hessen erwies sich als richtig, denn schon bei der Landtagswahl am 19. November 1950 erreichte der BHE zusammen mit der FDP in einer Listenverbindung 31,8 Prozent. Acht BHE-Abgeordnete zogen als Interessenvertreter der rund 700.000 in Hessen zu Beginn der fünfziger Jahre lebenden Flüchtlinge und Vertriebenen in den Landtag ein. Bei der Landtagswahl 1954 erzielte die mittlerweile zum GB/BHE umbenannte Partei in Hessen aus eigener Kraft 7,7 Prozent der Stimmen und entsandte sieben Abgeordnete, darunter den zum Landwirtschaftsminister der zweiten Regierung Zinn (SPD) avancierenden Gustav Hacker (1900-1979). Während der GB/BHE bei Wahlen auf Landes- und Kommunalebene in den kleineren hessischen Städten und Dörfern mit einem größeren Anteil von Flüchtlingen und Vertriebenen teilweise zweistellige Ergebnisse erzielte, blieb er in Städten wie Frankfurt mit einem relativ geringeren Anteil von Flüchtlingen und Vertriebenen bei Landtags- und Bundestagswahlen unterdurchschnittlich. Während er bei der Bundestagswahl 1953 in Gesamt-Hessen 6,4 Prozent der Stimmen erreichte, waren es in Frankfurt nur 2,9 Prozent. Auch bei den Stadtverordnetenwahlen 1952 hatte der BHE hier nur 5,1 Prozent erzielt. Unterdurchschnittlich fielen auch die Landtagswahlen 1954 in der Mainmetropole aus, lediglich 4,0 Prozent gaben der Flüchtlingspartei ihre Stimme. Programmatisch waren für den BHE die zwei Schlagworte „Lebensrecht im Westen“ und „Heimatrecht im Osten“ wichtig. Damit war gemeint, dass den Flüchtlingen und Vertriebenen in der Bundesrepublik die gleichen Chancen und Lebensbedingungen eingeräumt werden müssten wie anderen Bevölkerungsgruppen. Zugleich sei ihnen das Recht auf Rückkehr in die angestammte Heimat in den ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten politisch zu sichern. Die Dringlichkeit dieser Ansprüche formulierte der Frankfurter BHE-Landtagsabgeordnete Fritz Czermak in einer Sitzung des Hessischen Landtags am 28. Februar 1951 so:
„Wir Heimatvertriebenen und Flüchtlinge wollen nichts Unvernünftiges; wir verlangen nichts Unmögliches, nichts Ungerechtes; wir wollen nichts anderes als unser gutes Recht. Dieses aber bald, alsbaldigst, bevor es zu spät ist.“ (Neumann, S. 20). Noch anschaulicher macht diese Synthese aus „Lebensrecht im Westen“ und „Heimatrecht im Osten“ eine Bemerkung aus der BHE-Zeitung "Deutsche Einheit": „Neben dem Wunsche, wirtschaftlich eingegliedert zu werden, und wieder zu einem lebenswerten Leben zu kommen, trat das Bestreben, den Verlust der Heimat und die Vernichtung elementarster menschlicher Rechte nicht widerstandslos hinzunehmen. So wurden diese Menschen zu einem Zentrum jener Kräfte innerhalb des deutschen Volkes, die nicht bereit waren, vor sich selbst zu kapitulieren, sondern die entschlossen waren, anzupacken, um sich gegen das wirtschaftliche und politische Chaos in Deutschland nach 1945 aufzulehnen.“ („Deutsche Einheit“, 4. Jg., Nr. 21, 10.10.1959, hier zit. nach Neumann, S. 23).
In Hessen wurden die beiden zentralen Forderungen seit 1955 während der Regierungszeit Georg-August Zinns (SPD) weitgehend erfüllt. Der BHE hatte an dieser wichtigen Aufgabe der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und landsmannschaftlichen Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen maßgeblich Anteil, zumal er mit zwei Landesministern in den Regierungen vertreten war. Von 1955 bis 1963 übte Gotthard Franke (1912-1975) das Amt des Wirtschafts- und Verkehrsministers aus, sein Kollege Gustav Hacker war Landwirtschaftsminister von 1955 bis 1967 und mit an den Konzeptionen des Hessenplans und des Großen Hessenplans in dieser Zeit beteiligt.
Die geglückte materielle und soziale Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft bedeutete jedoch, dass bereits Mitte der fünfziger Jahre der GB/BHE zunehmend seine Mitglieder und Wähler verlor, da seine innenpolitischen Anliegen zu einem überwiegenden Teil erfüllt oder auch Bestandteil der Programme anderer Parteien geworden waren. Versuche des GB/BHE, sein Überleben durch verstärkte nationalistische und revanchistische Akzentuierungen vor allem in seinen außenpolitischen Positionen (zum Beispiel Wiederherstellung des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937) zu sichern, scheiterten. Auch eine Fusion mit der nationalkonservativen Deutschen Partei (DP) zu Beginn der sechziger Jahre zur Gesamtdeutschen Partei (GDP) konnte den Niedergang nicht aufhalten.
Literatur und Quellen::
Frank Bösch, Die politische Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen und ihre Einbindung in die CDU, in: Rainer Schulze (Hg.), Zwischen Heimat und Zuhause. Deutsche Flüchtlinge und Vertriebene in (West-)Deutschland 1945–2000, Osnabrück 2001, S. 107–125.
Franz Neumann, Der Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten 1950–1960. Ein Beitrag zur Geschichte und Struktur einer politischen Interessenpartei, Meisenheim am Glan 1968.
Matthias Stickler, „Ostdeutsch heißt Gesamtdeutsch“. Organisation, Selbstverständnis und heimatpolitische Zielsetzungen der deutschen Vertriebenenverbände 1949–1972, Düsseldorf 2004. S. 280ff.
Richard Stöss, Der Gesamtdeutsche Block/BHE, in: ders. (Hg.), Parteien-Handbuch, Opladen 1986, Bd. 3, S. 1424–1459.
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main, S3/O 803.
Der Anfang 1950 gegründete Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) verstand sich als politische Interessenvertretung der aus den deutschsprachigen Ostgebieten Geflohenen und Vertriebenen und war in Hessen bis weit in die 60er Jahre an der hessischen Landesregierung beteiligt. Seine Resonanz war in Frankfurt jedoch deutlich geringer als im Landesdurchschnitt. Mit der zunehmenden Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen in die Sozialstruktur Westdeutschlands verlor er an Anhängerschaft, seinen Niedergang konnte er auch nicht durch eine nationalistisch-revanchistische Akzentuierung aufhalten.