Aus der Dienstanweisung Nr. 211 des Ernährungsamtes vom 23. 10. 1942.
Lebensmittelversorgung der Juden: Rationssätze.
Juden erhalten von der 42. Zuteilungsperiode (15. Oktober 1942) ab folgende Lebensmittel nicht mehr: Fleisch, Fleischwaren, Eier, Weizenerzeugnisse (Kuchen, Weißbrot, Weizenkleingebäck usw.), Vollmilch, entrahmte Frischmilch, desgleichen solche Lebensmittel, die nicht auf reichseinheitlich eingeführte Lebensmittelkarten, sondern auf örtliche Bezugsausweise oder durch Sonderaufrufe der Ernährungsämter auf freie Abschnitte der Lebensmittelkarten abgegeben werden. Jüdische Kinder und Jugendliche über 10 Jahre erhalten die Brotration der Normalverbraucher. Jüdische Kinder und Jugendliche über 6 Jahre bekommen die Fettration der Normalverbraucher, keinen Kunsthonig, kein Kakaopulver und ebenfalls nicht die den Altersstufen von 6–14 Jahren zustehende Zulage an Marmelade. Jüdische Kinder bis zu 6 Jahren erhalten täglich 1/2 Liter entrahmte Frischrnilch.
Dementsprechend sind an Juden keine Fleisch-, Eier-, Milch- und Brotkarten B sowie keine örtlichen Bezugsausweise auszugeben. Die jüdischen Kinder und Jugendlichen über 10 Jahre erhalten die Brotkarten und die über 6 Jahre die Fettkarten der Normalverbraucher. Die an Juden ausgegebenen Brotkarten berechtigen zum Bezug von Roggenmehlerzeugnissen. Der Mengenwert der Brotkarte B ist durch Reise- und Gaststättenmarken Roggenbrot zu gewähren (2000 g). An jüdische Kinder bis zu 6 Jahren ist der Bezugsausweis für entrahmte Frischmilch auszugeben. Dieser ist mit dem Vermerk „Gültig für täglich 1/2 Liter“ zu versehen.
Juden können keine Selbstversorger im Sinne der Erlasse sein.
Regelung für Kranke usw.
Die Bestimmungen für Kranke, gebrechliche Personen, werdende und stillende Mütter und Wöchnerinnen gelten nicht für Juden.
Die Regelungen dieses Erlasses gelten auch für jüdische Insassen von Krankenanstalten.
Regelung für besondere Arbeitergruppen.
Juden, die als Lang-, Nacht-, Schwer- und Schwerstarbeiter anerkannt sind, erhalten die Zulagekarten für Lang- und Nachtarbeiter. Jüdischen Arbeitern, die in besonderem Maß der Einwirkung von Giften ausgesetzt sind (vgl. Erlaß vom 7. Sept. 1939 - II/1–4616 -), haben die Ernährungsämter im Rahmen der durch den vorbezeichneten Erlaß festgelegten Richtlinien täglich 1/2 Liter entrahmte Frischmilch zuzuteilen.
Sonderzuteilungen.
Juden sind von Lebensmittelsonderzuteilungen ausgeschlossen.
Umtausch von Lebensmittelkarten in Reise- und Gaststättenmarken.
Der Umtausch von Lebensmittelkarten in Reise- und Gaststättenmarken darf bei Juden nur in besonders gelagerten dringenden Ausnahmefällen erfolgen.
Lebensmittelgeschenksendungen für Juden.
Die Ernährungsämter haben Lebensmittelgeschenksendungen aus dem Ausland, die für Juden bestimmt sind, voll auf die Rationen des Empfängers anzurechnen. Wenn es sich um Erzeugnisse handelt, die zwar bezugsbeschränkt sind, aber nicht regelmäßig zugeteilt werden (z. B. Bohnenkaffee, Kakao, Tee usw.), ist über die ganze Sendung oder bei verspäteter Meldung des Paketeingangs über den noch nicht verbrauchten Teil zugunsten von Großverbrauchern, wie z. B. Lazaretten, unter Anrechnung auf die diesen zustehenden Bezüge zu verfügen.
Der Herr Reichsminister der Finanzen hat durch Erlaß vom 9. 4. 1941 die Zollstellen angewiesen, ohne Rücksicht auf die Menge der eingehenden Waren den zuständigen Ernährungsämtern wöchentlich die Geschenksendungen zu melden, bei denen bekannt ist oder die Vermutung besteht, daß der Empfänger Jude ist. Die Anrechnung kann auch dann noch erfolgen, wenn die Meldung der Zollstelle so spät bei dem Ernährungsamt eingeht, daß die in der Geschenksendung enthaltenen Lebensmittel bereits verzehrt worden sind.
Soweit die Staatspolizeileitstellen Kenntnis von Lebensmittelsendungen an Juden aus dem Auslande erhalten, werden sie die Pakete sicherstellen und den Ernährungsämtern zur Verfügung stellen.
Ausnahmen.
Juden, die nachweislich am Weltkrieg oder an innerdeutschen Kämpfen als Zeitfreiwillige usw. teilgenommen und hierbei eine Verwundung erlitten haben, können auf Antrag die Lebensmittelversorgung wie die deutschstämmige Bevölkerung erhalten. Voraussetzung hierfür ist das Einverständnis der zuständigen Dienststelle der Geheimen Staatspolizei, damit die Sonderstellung nicht in solchen Fällen zugebilligt wird, in denen sie, etwa wegen staatsfeindlicher Betätigung usw., dem gesunden Volksempfinden widersprechen würde. Andere Kriegsbeschädigungen als Verwundungen bleiben unberücksichtigt. Für den Fall der Bewilligung gilt diese nur für den verwundeten jüdischen Kriegsteilnehmer selbst, nicht für seine Angehörigen, auch nicht für Witwen gefallener oder an den Folgen einer Verwundung verstorbener Weltkriegsteilnehmer.
Die von den Sonderregelungen für Juden ausgenommenen Personen sind bei der Lebensmittelversorgung der deutschstämmigen Bevölkerung gleichzustellen; sie erhalten also nicht gekennzeichnete Lebensmittelkarten und die etwaigen örtlichen Bezugsausweise.
Um den Bezirksstellen die Feststellung zu erleichtern, in welchen Fällen Lebensmittelkarten ohne den Aufdruck „Juden“ oder mit dem Aufdruck „Juden“ zu verausgaben sind, ist eine besondere Anlage der Dienstanweisung beigefügt. Um den Vorschriften des Erlasses gerecht zu werden, erhalten die Bezirksstellen späterhin besondere Listen von den Versorgungsberechtigten, die in Mischehen leben. Die Versorgungsberechtigten sind vorzuladen und anhand eines noch zu liefernden Fragebogens und der notwendigen Urkunden über Rasse- und Religionszugehörigkeit zu befragen.
Institut für Stadtgeschichte Frankfurt, Hauptakte 4410/1.
Aus: Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden (Hrsg.), Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933-1945, Frankfurt am Main 1963, S. 453ff.
Die nach den großen Deportationen noch in Frankfurt lebenden Juden werden im Oktober 1942 (mit wenigen Ausnahmen) vom Bezug höherwertiger Lebensmittel wie Fleisch, Eier, Frischmilch u.a. ausgeschlossen.