ZdA-Jugendliche im Widerstand

Skiwanderung von Mitgliedern der ehemaligen Jugendgruppe des ZdA im Taunus, Winter 1933/1934, zeitgenössische Fotografie

Treffen einer 5er Gruppe der aus der ZdA-Jugendgruppe hervorgegangenen Widerstandsgruppe, Sommer 1934, zeitgenössische Fotografie

Treffen der aus der ZdA-Jugendgruppe hervorgegangenen Widerstandsgruppe im Russenländchen bei Bad Vilbel anlässlich des Arbeiteraufstandes in Österreich, Februar 1934, zeitgenössische Fotografie

Funktionäre der „gleichgeschalteten“ Jugendgruppe des Zentralverbandes der Angestellten (ZdA) stellen sich zur Mitarbeit im Deutschen Handlungsgehilfen-Verband (DHV) zur Verfügung und nutzen die Taktik des „Trojanischen Pferdes“ für ihre Widerstandstätigkeit.

 

Für die Entscheidung der Funktionäre der ZdA-Jugend, die Mitarbeit im DHV und dessen Jugendgruppe Fahrende Gesellen anzubieten, waren zwei Momente wichtig. Der DHV sympathisierte mit dem Nationalsozialismus, war aber im Mai 1933 noch eine eigenständige Angestelltengewerkschaft. Die „Fahrenden Gesellen“ boten Freizeitprogramme, die in ihren bündischen Elementen den eigenen Aktivitäten ähnelten: gemeinsames Wandern und „auf Fahrt“ gehen, kulturelle Gruppenabende, Sporttage und Bildungsveranstaltungen. Zudem gab es im DHV, wie zuvor im ZdA, ein breit gefächertes kaufmännisches Fortbildungsangebot.

 

Die Gruppe nutzte ihr angemietetes Freizeitheim in Arnoldshain im Taunus als „Fahrende Gesellen“ weiter. Unter dem Deckmantel von Skiausflügen wurde so eines der Motive des Widerstands, möglichst viele Jugendliche zu organisieren und durch politische Diskussionen und politische Schulung gegen die nationalsozialistische Propaganda zu immunisieren, verwirklicht. Zweites Motiv des Widerstands war die Unterstützung „illegaler“ politischer Arbeit und die Herstellung und Verteilung von Flugblättern und Zeitschriften. Leitmotiv der politischen Schulung und des selbstständig hergestellten Materials war die Überwindung der Spaltung der Arbeiterbewegung. Der „harte“ Kern der Organisation hatte Kontakt zur „illegalen“ Bezirksleitung der KPD. Etwa 50 Jugendliche organisierten sich in Fünfergruppen. Nur jeweils einer hatte Kontakt zu einer anderen Gruppe. Dieses klassische Prinzip „illegaler“ Organisation galt als beste Schutzmaßnahme gegen die schlagartige Aufdeckung aller Verbindungen.

 

Der im Mai 1933 21-jährige Paul Grünewald, als 15-jähriger 1927 in den ZdA eingetreten und seit 1930 Leiter der Jugendgruppe, imponierte aufgrund seiner organisatorischen Fähigkeiten dem Geschäftsführer des DHV, der ihn im Juni 1933, mit der Übernahme der „Fahrenden Gesellen“ durch die HJ, der Frankfurter Bannführung empfahl. Grünewald wurde Adjutant des Bannführers. Er nutzte Uniform und Sonderausweis zur Beschaffung von Papier und Matrizen, holte benötigte Schreibmaschinen aus Schulungsräumen des DHV und begleitete Genossen, die emigirieren mussten, zum Hauptbahnhof. Da Paul Grünewald in der Stadt bekannt war, geriet die „Tarnung“ in immer stärkeren Gegensatz zum Motiv der immunisierenden Wirkung der Widerstandsarbeit: Das offensichtliche Überlaufen eines engagierten Gewerkschafters, die wirklichen Gründe kannten verständlicherweise nur wenige, wirkte demoralisierend. Grünewald suchte sich eine Arbeitsstelle und verließ die HJ mit dem Argument, für eine Jugendorganisation fühle er sich zu alt.

 

Die Widerstandsgruppe besorgte Pässe, Mitglieder fuhren Genossen, die fliehen mussten, mit dem Auto aus Frankfurt heraus. Ein ehemaliges Mitglied des ZdA, das die väterliche Bäckerei übernommen hatte, backte kostenlos Brot, das die Gruppe an Familien Inhaftierter verteilte. Zum 1. Mai 1934 produzierte und verteilte die Gruppe gezielt ein Flugblatt für Frankfurter Polizeibeamte, die vor 1933 in den Polizeidienst eingetreten waren. Die Adressenliste stammte vom Vater eines Mitglieds. Die Frankfurter Gruppe hatte darüber hinaus auch Kontakt zu Mitgliedern der ehemaligen ZdA-Jugendgruppe in Darmstadt. Maria Weingärtner, eine Händlerin mit Milchprodukten, die von Darmstadt aus Frankfurter Kunden belieferte, arbeitete als Kurierin.

 

 

Im Spätsommer 1934 konnte die hektografierte Zeitschrift „Der junge Kämpfer“ in ihrer ersten Ausgabe mit etwa 400 Exemplaren fertig gestellt und gezielt verteilt werden. Im Oktober war die zweite Ausgabe auf Matrize fertig. Die Gestapo enttarnte im Herbst 1934 Maria Weingärtner als Kurierin. In Frankfurt am Main kam sie der Widerstandsgruppe auf die Spur, weil ein Mitglied einer Fünfergruppe, das Geld aus der Ladenkasse gestohlen hatte, als Gegenleistung für die Nichtbestrafung zum Verräter wurde.

Funktionäre der „gleichgeschalteten“ Jugendgruppe des Zentralverbandes der Angestellten (ZdA) stellen sich zur Mitarbeit im Deutschen Handlungsgehilfen-Verband (DHV) zur Verfügung und nutzen die Taktik des „Trojanischen Pferdes“ für ihre Widerstandstätigkeit.



Autor/in: Jürgen Steen
erstellt am 01.01.2003
 

Verwandte Personen

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