Dokument: Öffentliche Kritik des Pfarrers Alois Eckert am nationalsozialistischen Rassismus

In seinem Artikel in der „Rhein-Mainischen Volkszeitung“ vom 4. April 1933 äußert der katholische Pfarrer Alois Eckert Kritik am nationalsozialistischen Rassismus. Anlass war der Boykott vom 1. April 1933.

 

„Rhein-Mainische Volkszeitung“ vom 4. April 1933

 

 

 

 

2 Mos. 21, 24 u. Matth. 5, 38f.

 

Von Pfarrer Alois Eckert

 

Dieser kleine Artikel, der sich da in eine politische Tageszeitung verirrt, macht gar keinen politischen Anspruch. Wie sollte ich auch dazu kommen, einen politischen Aufsatz zu schreiben? Ich habe noch nie viel von Politik verstanden. Und diese bedauerliche Unfähigkeit hat sich jetzt bis zu einer völligen Verständnislosigkeit weiter verschlimmert. So muß ich mich also darauf beschränken, jenseits aller Politik, das heutige deutsche Zeitgeschehen in anderen Kategorien zu begreifen, solchen, in denen ich auch sonst zu deuten gewohnt bin, in den Kategorien der christlichen Ethik. Aber vielleicht ist das gar nicht einmal so unpolitisch. Denn manchmal meine ich in meiner politischen Unschuld, das öffentliche Geschehen in einem Volk, das sich gehorsam in die Kategorien der christlichen Ethik fügt, müsse auch politisch richtig und fruchtbar sein, und umgekehrt: ein Geschehen, das diese sittlichen Kategorien sprengt, müsse auch politisch falsch und unfruchtbar und auf die Dauer für ein Volk unheilvoll sein. So ist also dieser Artikel nur der Versuch einer Orientierung in unserem heutigen einigermaßen stürmischen und wirrenden Zeitgeschehen von der christlichen Ethik aus (…)

 

Es gibt eine deutsche Judenfrage. Man kann durchaus der Meinung sein, daß der Einfluß der deutschen Juden, zumal in unserem Wirtschaftsleben und in unserem Kulturleben ein durchaus unverhältnismäßiger und auch zu einem großen Teil ungünstiger und destruktiver war. Insofern verlangt auch die Judenfrage nach einer Lösung. Aber nicht nach irgendeiner. Nicht nach einer falschen. Nicht nach einer ungerechten. Die christliche Ethik muß gegen eine ungerechte Lösung protestieren, wie gegen jede Ungerechtigkeit, gleichgültig gegen wen sie geschieht.

 

Die Lösung der Judenfrage, wie sie heute versucht wird, halten wir vor unserem christlichen Gewissen nicht für richtig und nicht für gerecht, in ihrer Methode sowohl wie in ihrer sittlichen Haltung. In ihrer Methode. Die Lösung der deutschen Judenfrage kann nicht von der Rasse her gesucht und gefunden werden. Kein Mensch darf einfach wegen seiner Rasse minderen Rechtes sein und wegen seiner Zugehörigkeit zu einer Rasse diffamiert werden. Nach der Lehre des Christentums ist diese Zugehörigkeit zu einer Rasse eine göttliche Gegebenheit, die der betreffende Mensch gehorsam und ehrfurchtsvoll zu respektieren hat. Auch für den menschlichen, nicht nur für den christlichen Wert eines Menschen gilt das Wort des Paulus: „Da heißt es nicht mehr Heide oder Jude, Beschnittener und Unbeschnittener, Barbar und Szythe.“ Das ist christliche Ethik. Eine nur von der Rasse her begründete menschliche Wertdifferenz kennt sie nicht. Darum lehnt sie es ab, in unchristlicher und ungerechter Vereinfachung des heutigen Judenproblems zu sagen: Sie sind Juden, also sind sie Schädlinge am deutschen Volkskörper, also müssen sie eliminiert oder ins Judenghetto zurückgedrängt werden. Jude ist nicht gleich Jude, so wenig wie Deutscher gleich Deutscher und Slawe gleich Slawe ist. Es gibt in jeder Rasse Gute und Schlechte. Wenn die Verantwortlichen für die Kulturschäden unseres Volkes gesucht werden sollen, dann muß das mit anderen Methoden geschehen. Im Namen der christlichen Gerechtigkeit. Auch in einer anderen sittlichen Haltung (…) Hier geschieht deutsches Unrecht. Und Unrecht trifft auf die Dauer immer den schwerer, der es tut, als den, der es leidet. Gibt es eine „jüdische Moral“, die schuld ist an der deutschen Nachkriegsnot, dann kann sie weder von der jüdischen Rasse aus definiert, noch einfach von der germanischen Rasse her überwunden werden. Hier liegt vielmehr primär eine Aufgabe der christlichen Ethik. Und mir scheint, daß diese Aufgabe weiter reicht als nur bis zu den Juden.

 

Zum Schluß habe ich noch zu sagen, daß ich kein Jude bin, sondern ein katholischer Pfarrer aus gutem deutschem Frankenblut. Und diesen Artikel habe ich nicht für die Juden, sondern für die Deutschen geschrieben – im Namen der christlichen Gerechtigkeit.

In seinem Artikel in der „Rhein-Mainischen Volkszeitung“ vom 4. April 1933 äußert der katholische Pfarrer Alois Eckert Kritik am nationalsozialistischen Rassismus. Anlass war der Boykott vom 1. April 1933.



Autor/in: Lutz Becht
erstellt am 04.04.1933
 

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