Der Auschwitz-Überlebende Rudolf Vrba berichtet dem Gericht über seine Tätigkeit beim „Aufräumkommando an der Rampe“. 1944 gelang ihm die Flucht aus Auschwitz.
Rudolf Vrba war bei seiner Aussage im Prozess 40 Jahre alt und lebte in England. Er stammte aus der Slowakei und wurde als 18-Jähriger, weil er jüdisch war, im Sommer 1942 zuerst in das KZ Majdanek und dann nach Auschwitz verschleppt. Seine Häftlingsnummer war 44.070. Nach fast zwei Jahren gelang ihm gemeinsam mit dem Häftling Alfred Wetzlar die Flucht aus Auschwitz. Die Entflohenen schrieben einen Bericht über die Zustände in Auschwitz und übergaben ihn einer jüdischen Stelle in der Slowakei. Einige Monate später erreichte der Bericht über verschlungene Wege die britische und die amerikanische Regierung. Sie übte Druck auf den ungarischen Regierungschef Horthy aus, der daraufhin die Verschleppung der Juden aus der Hauptstadt Budapest stoppte. Nach seiner Flucht aus Auschwitz schloss sich Rudolf Vrba den slowakischen Partisanen an und kämpfte in der Slowakei gegen die mit Hitler verbündeten Machthaber. Nach dem Kriege wurde Rudolf Vrba ein international bekannter Wissenschaftler. Er schrieb Bücher über den Holocaust und wirkte in Dokumentarfilmen wie Shoah mit. Rudolf Vrba war in Auschwitz von August 1942 bis Juni 1943 dem „Aufräumungskommando an der Rampe“ zugeteilt, das in der Lagersprache „Kanadakommando“ hieß und bei der Ankunft der Transporte auf der Rampe eingesetzt war. Nachdem die jüdischen Frauen, Männer und Kinder auf die Rampe getrieben worden waren, trennte man sie sofort von ihrer letzten Habe, die sie bei sich hatten. Das „Kanadakommando“ musste das Gepäck einsammeln und in die Magazine des Lagers bringen, den Zug nach Leichen durchsuchen und die Waggons reinigen. Den Häftlingen des „Kanadakommandos“ war es unter Androhung schwerster Strafen untersagt mit den Ankommenden zu sprechen. In seiner Aussage beschrieb Dr. Rudolf Vrba auch das Verhalten der SS-Männer bei der Ankunft der Transporte.
Tondokument: Aussage des Zeugen Rudolf Vrba im Auschwitz-Prozess; © Fritz Bauer Institut
„Ja, dort waren kleine Zwischenfälle. Nämlich diese ganze Rampe, das war ja das Herz sozusagen von Auschwitz. Wenn das dort nicht klappte, klappte gar nichts. Man mußte ja die Leute freiwillig in die Gaskammern hereinbringen und in Unwissenheit, mit List. Also deshalb haben sich die SS-Männer dort verschieden benommen. Gewöhnlich haben sie die Waggone aufgemacht und haben gesagt: ,Meine Herren und Damen, bitte auszusteigen‘ oder so was.
Sehr höflich, ja. In dem Moment, wo sie draußen waren, da haben sie gesagt: ,Es ist verboten zu sprechen. Sprechverbot, hier muß Ordnung sein.‘ Die haben Angst gehabt, daß manche der Männer sehen konnten, daß da etwas nicht stimmt. Und jede Revolte natürlich, jeder Widerstand, da muß ja ein Verständnis sein. Und für Verständnis, da muß man ja sprechen. Und da war ein strenges Sprechverbot. Für uns Häftlinge, die probierten zu sprechen mit den Zugängen, um eine Warnung zu geben, das war rücksichtslos mit dem Tode bestraft. Und das habe ich öfters gesehen. Zweitens: Falls die Leute sprachen zwischen ihnen, miteinander, da sind die SS-Männer mit den Spazierstöcken, das waren nämlich Spazierstöcke, keine Knüppel. Die Knüppel, die würden zu schnell schauen, was los geht.
Ja, das ist auffallend. Da sind sie mit den Spazierstöcken hingefahren, und da waren Szenen. Da hat die eine Frau gesagt: ,Ich trenne mich nicht von meinem Mann.‘ Die andere hat gesagt: „,Ich lasse nicht hier meine Mutter‘ oder so was. Und in dem Moment wurden sofort die Stöcke benützt. Aber rücksichtslos. Das heißt, es wurde losgeschlagen, auf den Kopf, wohin auch immer getroffen wurde. Ja, die anderen haben es gesehen, und das war eine Überraschung. Also das war die erste Überraschung in Auschwitz. Und die Kinder haben angefangen zu schreien, wenn das passierte. Und das hatte Rückwirkung wieder auf die Erwachsenen. Die Erwachsenen haben sich damit befaßt, die Kinder zu beschwichtigen. Und das Ganze ist schnell abgelaufen. Schnell, schnell, schnell. Nicht sprechen, weil Sprache wurde niedergeknüppelt.“
Text aus: Monica Kingreen, Der Auschwitz-Prozess 1963–1965. Geschichte, Bedeutung und Wirkung, (Pädagogische Materialien Nr. 8, Fritz Bauer Institut), Frankfurt am Main, 2004, S.67f.
Der Auschwitz-Überlebende Rudolf Vrba berichtet dem Gericht über seine Tätigkeit beim „Aufräumkommando an der Rampe“. 1944 gelang ihm die Flucht aus Auschwitz.