Die Entfernung „jüdischer Richter und Anwälte“

Ansicht des neuen Gerichtsgebäudes (seit 1917 Gerichtsgebäude A) um 1892, zeitgenössische Fotografie

Erlaubnis für den Rechtsanwalt Selmar Spier zum Betreten der Gerichtsgebäude vom 8. April 1933

Einen Tag vor dem 1. April 1933, der als Tag des organisierten Boykotts auch gegen „jüdische Rechtsanwälte“ gerichtet ist, beginnt die „Säuberung“ der Frankfurter Justiz von „jüdischen Richtern und Rechtsanwälten“.

Am 31. März 1933 fordern die Präsidien des Oberlandesgerichts und des Landgerichts die zugelassenen jüdischen Rechtsanwälte auf, wegen der „erregten Volksstimmung“ die Gerichtsgebäude bis auf weiteres nicht mehr zu betreten. Die jüdischen Richter werden aufgefordert, Urlaub zu beantragen, aber auf jeden Fall nicht am 1. April zum Dienst zu erscheinen, weil ihnen sonst der Zutritt mit Gewalt verweigert werde. Von 607 zugelassenen Rechtsanwälten sind 275 Juden. Am 8. April wird eine Liste mit den Namen der 33 Rechtsanwälte erstellt, die einen Ausweis erhalten, der ihnen weiterhin den Zutritt zum Gericht erlaubt. Bis zum Herbst 1933 bewacht SA die Eingänge und kontrolliert die Ausweise. Bis März 1934 verlieren 105 „jüdische“ Rechtsanwälte endgültig die Zulassung. Viele sind durch den Frontkämpferparagrafen vorläufig geschützt.

Nach nationalsozialistischer Auffassung ist auszuschließen, dass Volksgenossen von „jüdischen“ Staatsanwälten angeklagt, von „jüdischen“ Richtern abgeurteilt oder als Prozesspartei mit „jüdischen“ Anwälten konfrontiert werden. 30 von 37 Richtern und Assessoren werden im April 1933 durch Entlassung, Pensionierung oder Versetzung entfernt. Am 10. Mai 1933 dringen randalierende Gruppen unter Anführung des Gerichtsreferendars und Studentenführers Georg Wilhelm Müller, der am gleichen Abend als Führer des Frankfurter NSDStB für die Bücherverbrennung auf dem Römerberg zuständig sein wird, in das Gerichtsgebäude ein. Die Aktion richtet sich gegen das Verbleiben „jüdischer“ Anwälte und Richter. Am 27. Juni 1933 dringen, trotz der SA-Wache an den Eingängen, randalierende Gruppen als inszenierter Volkszorn im Gerichtsgebäude ein und bedrohen, misshandeln und entführen „jüdische“ Rechtsanwälte, die aufgrund des Frontkämpferparagrafen wieder zugelassen sind.

Am 17. Juli gilt die Aktion den „jüdischen“ Richtern, die aus gleichem Grund wieder Dienst tun. Drahtzieher der Terroraktionen, die geltende Bestimmungen unterlaufen und die Säuberung des Gerichts zum Abschluss bringen sollen, ist Georg Wilhelm Müller, der gleichzeitig am Gericht als Referendar ausgebildet wird. Nach der Verabschiedung der Nürnberger Gesetze werden die letzten „jüdischen“ Richter, die trotz fortgesetzten Terrors nicht die Versetzung in den Ruhestand beantragt haben, entlassen. „Jüdische“ Anwälte dürfen nur noch als Konsulenten, als Vertreter „jüdischer“ Klienten, tätig sein. Diejenigen, die nicht emigrieren und bleiben, werden deportiert und in den Vernichtungslagern ermordet.
Als einziger Konsulent und von 1933 zugelassenen 275 Rechtsanwälten überlebt in Frankfurt Max Ludwig Cahn, der durch eine privilegierte Mischehe geschützt ist, den nationalsozialistischen Terror.

Einen Tag vor dem 1. April 1933, der als Tag des organisierten Boykotts auch gegen „jüdische Rechtsanwälte“ gerichtet ist, beginnt die „Säuberung“ der Frankfurter Justiz von „jüdischen Richtern und Rechtsanwälten“.



Autor/in: Jürgen Steen
erstellt am 01.01.2003
 

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