Dokument: „Wie steht die nationalsozialistische Bewegung im einzelnen zur Frauenfrage?“ von Elisabeth Schwarzhaupt

In einer Publikation aus dem Jahre 1932 analysierte Elisabeth Schwarzhaupt (damals in der Deutschen Volkspartei engagiert, nach dem Kriege CDU-Gesundheitsministerin von 1961–1966) kritisch die NS-Politik im Hinblick auf Geschlechterdifferenz, Familienkonzept und Rassendiskriminierung.

 

Publikationsdatum 1932

Ich möchte dies an den vier hauptsächlichen Arbeitsgebieten der Frauenbewegung zeigen: es handelte sich bei der bisherigen Arbeit um

1. den Kampf für die politische Gleichberechtigung der Frau,

2. den Kampf für die Gleichberechtigung der Frau im Berufsleben,

3. die Hebung der Mädchenbildung,

4. die Verbesserung der Rechtsstellung der verheirateten Frau.

 

 

 

1. Die politische Stellung der Frau
Das nationalsozialistische Parteiprogramm unterscheidet zwischen „Staatsbürgern“ und „Staatsangehörigen“. Nur der Staatsbürger nimmt an der Leitung des Staates teil, während die Staatsangehörigen, zu denen vor allem die Juden gehören, unter einer Art von Fremdenrecht stehen, von jeder aktiven Teilnahme am öffentlichen Leben ausgeschlossen, also Bürger zweiten Ranges sind. Hitler sagt in seinem Buch „Mein Kampf“ (München 1930, S. 490), daß sich der Staatsangehörige vom Ausländer nur dadurch unterscheidet, daß der Ausländer eine Staatsangehörigkeit in einem fremden Staat besitzt. Der Mann erwirbt das Staatsbürgerrecht nach Abschluß der Schul- und Militärausbildung. Über die Rechtsstellung der Frau sagt Hitler in dem gleichen Werk, daß zu den programmatischen Schriften des Nationalsozialismus gerechnet wird: „Das deutsche Mädchen ist Staatsangehörige und wird mit der Verheiratung erst Bürgerin.“ Das heißt also, daß die unverheiratete Frau grundsätzlich Staatsangehörige ist, d. h. Juden und den Männern gleichsteht, die es nicht zum Abschluß der Mindestausbildung gebracht haben, auf einer Stufe auch steht mit solchen, denen die Staatsbürgerrechte wieder genommen wurden, das sind nach Hitler „Ehr- und Charakterlose, der gemeine Verbrecher, der Vaterlandsverräter u. a.“.

 

Allerdings fährt Hitler an der angezogenen Stelle fort: „Doch kann auch den im Erwerbsleben stehenden weiblichen Staatsangehörigen das Bürgerrecht verliehen werden.“ Diese Möglichkeit einer Verleihung des Staatsbürgerrechts durch einen besonderen Staatsakt, wie etwa die Verleihung eines Ordens oder des Adelsprädikats, ändert natürlich nichts an der Tatsache, daß die Gleichberechtigung der Frau grundsätzlich an einem der wichtigsten Punkte beseitigt wird. Es ist kein Ausgleich für diese Entrechtung, daß in Ausnahmefällen einzelne Frauen, die sich in den Augen der nationalsozialistischen Machthaber ein besonderes Verdienst erworben haben, durch besonderen Staatsakt zu Staatsbürgern erhoben werden können. Dabei ist es durchaus nicht gewiß, ob es bei dem Vorschlag Hitlers, der ja bekanntlich nicht der radikalste in seiner Partei ist, bleibt. Die Praxis läßt Schlimmeres befürchten.

 

Bis jetzt haben die Nationalsozialisten unter ihren 107 Reichstagsabgeordneten keine einzige Frau; sie lehnen es grundsätzlich ab, Frauen auf ihre Listen zu setzen, sowohl Verheiratete wie Unverheiratete. Vor Einreichung der Listen zu einer Stadtverordnetenwahl hatte ein Stadtverband, der die Frauenvereine der betreffenden Stadt zusammenfaßt, an sämtliche Parteien ein Schreiben gerichtet mit der Bitte, Frauen auf die Listen zu setzen. Die nationalsozialistischen Parteileitung antwortete mit einer grundsätzlichen Ablehnung unter der Begründung, der Nationalsozialismus sei eine revolutionäre Bewegung und kein Debattierklub für Suffragettes. Dabei ist zu berücksichtigen, daß im Gemeindeparlament, um das es hier ging, Dinge behandelt werden, die die Frauen besonders nahe angehen, und daß schon vor der Revolution auch verhältnismäßig konservativ gerichtete Kreise für die Gewährung des Gemeindewahlrechts an die Frau waren. Die nationalsozialistische Praxis in dem oben angezogenen Fall ist also so reaktionär, daß sie auf Anschauungen zurückgreift, die schon vor dem Kriege in konservativen Kreisen allmählich aufgegeben wurden.
Die weitere Befürchtung, daß es bei der Vorenthaltung des Staatsbürgerrechts gegenüber der unverheirateten Frau nicht bleibt, ergibt sich daraus, daß im faschistischen Italien das Gemeindewahlrecht nicht an die Heirat, sondern an die Mutterschaft geknüpft ist; und da durch alle nationalsozialistischen Schriften der Ruf nach der Bewertung der Frau nach der „leiblichen Mutterschaft“ – ich zitiere hierbei wörtlich die Vorsitzende des „Frauenordens Rotes Hakenkreuz“ – klingt, halte ich es durchaus für möglich, daß man danach streben wird, diese zweite Einschränkung der politischen Rechte der Frau über den Vorschlag Hitlers hinaus zu verwirklichen. Aber selbst die Beschränkung des Staatsbürgerrechts auf die verheirateten Frauen würde in der Praxis nicht nur die unverheirateten Frauen von der Teilnahme am öffentlichen Leben fernhalten; denn von den Frauen, die vor der Ehe von aktiver öffentlicher Arbeit ausgeschlossen sind, werden erfahrungsgemäß nur wenige nach der Verheiratung mit einer Betätigung im öffentlichen Leben anfangen. Etwas ganz anderes ist es, wenn heute viele verheiratete Frauen eine Arbeit, mit der sie in der Jugend begonnen haben und mit der sie innerlich verbunden sind, trotz der Inanspruchnahme durch Ehe und Haushalt nicht aufgeben. – Noch weniger Frauen werden natürlich den Übergang zur öffentlichen Arbeit finden, wenn man das Staatsbürgerrecht der Frau an die Mutterschaft knüpft.

 

2. Die Stellung im Beruf
Hier ergibt die Beschränkung des Staatsbürgerrechts auf die verheiratete Frau allein schon eine wichtige Folgerung. Artikel 6 des offiziellen Parteiprogramms der NSDAP. lautet:
„Das Recht, über Führung und Gesetze des Staates zu bestimmen, darf nur dem Staatsbürger zustehen. Daher fordern wir, daß jedes öffentliche Amt, gleichgültig welcher Art, gleich ob im Reich, Land oder Gemeinde, nur durch Staatsbürger bekleidet werden darf.“
Das heißt, daß die unverheiratete Frau, die nicht Staatsbürgerin ist, nicht Beamtin sein kann. Das bedeutet aber, daß es weibliche Beamte überhaupt nicht mehr geben wird. Denn in einer Zeit, in der der Kampf gegen die verheiratete Beamtin schon unter der Herrschaft des Grundsatzes der Gleichberechtigung besonders lebhaft geführt wird, wird man nach Beseitigung dieses Grundsatzes von der theoretischen Möglichkeit, verheiratete Frauen zu Beamtinnen zu machen, bestimmt keinen Gebrauch machen. Das hat aber den Ausschluß der Frauen aus allen wichtigen und einflußreicheren Ämtern in der Verwaltung von Reich, Staat und Gemeinde zur Folge, Ausschluß der Frauen von der Richterlaufbahn, von der Leitung von Mädchenschulen, von leitenden Stellen im Fürsorgewesen usw. Nun glaube ich persönlich nicht, daß man alle Stellen, die heute weibliche Beamte innehaben, nunmehr Männern übertragen wird. Es wird auch im „Dritten Reich“ wohl noch Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen, Lehrerinnen an Mädchenschulen, besonders für Haushaltungs- und Handarbeitsunterricht geben; denn diese Frauen wird man kaum durch Männer ersetzen können. Man wird aber den Frauen, die diese Stellen bekleiden, die Beamtenrechte vorenthalten, während Männer in entsprechenden Stellungen oder in noch weniger verantwortlicher Tätigkeit zu Beamten gemacht werden; ein Verfahren, zu dem auch heute schon auf vielen Gebieten eine gewisse Tendenz besteht.

 

Und nun zu den privatwirtschaftlichen Berufen. Alles, was hier über die Berufstätigkeit der Frauen gesagt wird, steht unter dem Motto: „Rückkehr der Frau aus dem Berufsleben.“
Diese Forderung stellte die Führerin des „Frauenordens Rotes Hakenkreuz“ in Berlin in einer öffentlichen Versammlung auf. Der nationalsozialistische Abgeordnete Esser kündete als eine der ersten Maßnahmen im „Dritten Reich“ die Entfernung aller Frauen und Mädchen aus den Büros und öffentlichen Stellen an. In Nr. 22 der von Hitler herausgegebenen „Nationalsozialistischen Monatshefte“ wird ein Buch von Dr. Rompel („Die Frau im Lebensraume des Mannes“) seinem vollen Inhalt nach lobend und zustimmend besprochen, das in der radikalsten Weise Frauenstudium und Frauenberufe verwirft und für die heutige Krise mitverantwortlich macht. Man sagt, daß die Frauen die Männer aus ihren Arbeitsplätzen verdrängt haben und dadurch eine Mitschuld an der Arbeitslosigkeit tragen. Die Männer hätten das erste Anrecht auf die Arbeitsplätze; wenn ihnen die Frauen wieder Platz machen, werde die Arbeitslosigkeit beseitigt sein. Die Männer würden wieder heiraten können, den Frauen werde auf diese Weise der Verzicht auf den Beruf zugute kommen.

 

Dieser Gedankengang hat vielleicht für viele etwas Bestechendes. Ich will ihnen gerade deshalb einer etwas genaueren Betrachtung unterziehen. Er enthält nach meiner Meinung mehrere Trugschlüsse.
Die obige Behauptung geht von der Voraussetzung aus, daß die Arbeitslosigkeit ganz oder zum Teil auf dem Einbringen der Frau in das Berufsleben beruht. Man stellt sich also vor, daß die Frauen, die früher ihr bestimmt begrenztes Arbeitsgebiet im Hause hatten, dessen Grenzen überschritten haben, in das Arbeitsgebiet des Mannes eingedrungen sind und diesem dadurch seinen Lebensraum verengt haben. Diese Vorstellung ist falsch.

 

Der wirkliche Vorgang spielte sich vielmehr so ab, daß durch die Rationalisierung der Hauswirtschaft ein Teil der bisherigen Frauenarbeit aus dem Hause hinaus verlegt wurde, und daß die Frau das einzige Mögliche tat, nämlich ihrer Arbeit dorthin nachging, wo sie jetzt zu finden war: im Berufsleben. Die Frauen, die früher im Hause spannen, webten und nähten, sind ihrer Arbeit in die Textilfabriken, in die Schneidereien und in die Konfektionsgeschäfte gefolgt; sie arbeiten heute in den Wäschereien und Konservenfabriken nichts anderes als das, was sie früher im Hause gearbeitet haben.

 

Man wird einwenden, daß viele Frauen, z. B. Stenotypistinnen und andere Angestellte, auch solche in leitenden Stellungen und vor allem die Akademikerinnen, heute eine Arbeit tun, deren Beziehung zu der früheren häuslichen Arbeit der Frau nicht so unmittelbar nachzuweisen ist. Dem steht entgegen, daß andererseits vielfach die frühere häusliche Arbeit der Frau infolge der Rationalisierung der Hauswirtschaft von Männern übernommen worden ist, z. B. Öfenheizung – Heizer und Heizungsmonteure; Herdheizung, Herstellung von Wachslichtern, Bedienung von Petroleumlampen – Arbeiter der Gasanstalten und der Elektrizitätswerke. Diese Übernahme von früher weiblicher Arbeit durch Männer bedingte, daß geeignete Arbeit, die früher Männer leisteten, von Frauen übernommen wurde. Der Lebensraum des Mannes im Berufsleben wurde also durch das Eindringen der Frau keineswegs wesentlich eingeengt, sondern der bisherige Lebensraum der Frau wurde aus dem Haus und der Familie in das Berufsleben hinaus verlegt, das also für beide Geschlechter eine Erweiterung erfuhr, die das Einbringen der Frauen rechtfertigte. – Eine andere Frage ist, inwieweit die Arbeitslosigkeit beider Geschlechter mit der Rationalisierung selbst zusammenhängt. Daß die Arbeitslosigkeit jedenfalls nicht eine Folge der Berufstätigkeit der Frau ist, wird dadurch bestätigt, daß sie auch in solchen Ländern herrscht, in denen die Frauen bei weitem nicht in dem Maße wie bei uns in die Berufe eingedrungen sind, z. B. den romanischen Ländern und Südamerika.

 

Die zweite Voraussetzung für die Richtigkeit des nationalsozialistischen Gedankengangs – Rückkehr der Frau ins Haus – ist, daß es überhaupt Familien gibt, die zur Aufnahme der aus den Berufen zurückströmenden Frauen imstande sein werden. Hier sagt man: Wenn die Frauen den Männern wieder Platz machen, werden die Männer wieder heiraten und damit Familien gründen können; und wegen des Frauenüberschusses beruft man sich darauf, daß er ja auch vorher, vor der Frauenbewegung, in den Familien von Eltern und Verwandten gelebt und sein Auskommen gefunden hat. Beide Argumente halte ich für sehr trügerisch.

 

Werden die Männer, die die bisherigen Frauenstellen im Berufsleben einnehmen sollen, wirklich heiraten können? Man wird heute bei dem allgemeinen Streben nach Lohnabbau und Produktionsverbilligung die Arbeitgeber kaum dazu bringen können, die Männer, die Stenotypistinnen und Textilarbeiterinnen usw. ersetzen sollen, erheblich besser zu bezahlen als die Frauen, zumal die Arbeitsleistung der Männer in vielen der bisherigen Frauenberufe, gerade etwa bei den eben genannten Beispielen, die der Frau kaum erreichen wird. Von dem Gehalt, das die Stenotypistin bekam, kann aber der Mann keine Familie erhalten; er wird ebenso schlecht und recht wie die Stenotypistin sich selbst damit durchbringen, wird wahrscheinlich langsamer Maschine schreiben und mehr über die schlechte Bezahlung klagen. Einen Platz für die Rückkehr einer Frau in Heim und Familie wird er aber nicht schaffen können.
Aber selbst, wenn alle Männer im „Dritten Reich“ die Möglichkeit und die Gnade haben sollten, zu heiraten, wo werden die zweieinhalb Millionen Frauenüberschuß Unterkunft finden?

 

Die Vermögen und Stiftungen, durch die das Bürgertum früher unverheiratete Töchter sicherstellte, sind nicht mehr da. Die Hauswesen sind aufs äußerste vereinfacht. In der Küche einer Siedlungswohnung kann sich kaum die Hausfrau herumdrehen; in ihr ist kein Platz mehr für eine unverheiratete Tante oder Nichte oder Base, die man früher für ein bißchen Hilfe im Haushalt mitdurchfütterte. Schließlich haben sich auch die psychologischen Verhältnisse geändert oder genauer gesagt, die psychologischen Ursachen der Frauenbewegung bestehen in verstärktem Maße; für die meisten heutigen Frauen würde dieses Leben als in einem fremden Haushalt geduldete, vermögenslose Anverwandte die größte seelische Not bedeuten. Die wenigen Frauenberufe, die man noch beibehalten will – ein Herr Geisow erklärt in einem Vortrag, den er als Vertreter der nationalsozialistischen Partei am 3. 2. 32 in Frankfurt a. M. hielt, im „Dritten Reich“ werde es nur noch Säuglingspflegerinnen, Krankenschwestern und Fürsorgerinnen geben – werden zur Aufnahme des Frauenüberschusses von zweieinhalb Millionen nicht ausreichen können. Wir wollen doch nicht hoffen, daß uns das „Dritte Reich“ so auf den Hund bringt, daß etwa jeder vierundzwanzigste Deutsche eine Fürsorgerin oder Pflegerin für sich ganz allein braucht. Es scheint mir also, daß zwar die Vorschläge zur Entrechtung der Frau, die von den Nationalsozialisten gemacht werden, sehr bestimmt und eindeutig sind, daß es aber mit dem Ausgleich, den man den Frauen verspricht, sehr wenig vertrauenerweckend aussieht.

 

3. Die Hebung der Mädchenbildung
Es ist bekannt, daß es im Beginn des vorigen Jahrhunderts um die Mädchenbildung sehr schlecht bestellt war. Sie war durchweg recht dilettantisch und vermittelte auch den Mädchen der gebildeten Kreise nicht viel mehr als die Volkschulbildung. An einer wirklich gründlichen wissenschaftlichen oder hauswirtschaftlichen Ausbildung fehlte es. Es ist das Verdienst der Frauenbewegung, für eine allgemeine Hebung des Mädchenschulwesens gesorgt zu haben. Sie hat für die Gründung von Haushaltungs- und Fortbildungsschulen für Frauen gearbeitet und den Frauen, die nach einer wissenschaftlichen Ausbildung strebten, den Besuch von Mädchengymnasien und Universitäten ermöglicht.

 

Diese heutige Mädchenbildung wird in nationalsozialistischen Kreisen durchweg als ganz unmöglich und schädlich in Grund und Boden verdammt; sie soll Schuld tragen an der Vermännlichung der Frau und soll die Frau ihrem eigentlichen Beruf, dem der Hausfrau und Mutter, entfremden. Statt dessen, sagt Hitler, solle auch bei der Mädchenbildung im „Dritten Reich“ das Hauptgewicht auf die körperliche Ausbildung gelegt werden; erst dann komme die Förderung der seelischen und zuletzt der geistigen Werte. Das Ziel der weiblichen Erziehung habe unverrückbar die kommende Mutter zu sein. – In den „Nationalsozialistischen Monatsheften“ findet sich in einer Sondernummer über die Frauenfrage (Nr. 22 vom Januar 1932) ein Vorschlag für nationalsozialistische Frauenbildung. Die Redaktion bemerkt dazu, daß dieser Aufsatz nicht dogmatisch zu werten sei, doch gebe sie dieser Anregung einer Nationalsozialistin gerne Raum. Ich glaube nicht, daß sich das Abrücken der Redaktion gerade auf die Vorschläge über die Mädchenbildung bezieht; es bezieht sich wohl eher auf eine Bemerkung der Verfasserin, daß die Frau wie der Mann Staatsbürger und auf Grund ihrer Ausbildung werden müsse, die also in offenem Widerspruch zu Hitlers Auffassung steht. Jedenfalls können wir davon ausgehen, daß diese Vorschläge über die Mädchenbildung, die die einzigen sind, die ich bis jetzt finden konnte, in der Richtung der nationalsozialistischen Absichten liegen.

 

Es wird hier vorgeschlagen, daß alle Mädchen ebenso wie die Knaben bis zum 14. oder 15. Lebensjahre eine gemeinsame Grundschule ohne Scheidung nach Begabungsrichtungen und Begabungsgraden besuchen sollen. Für die Knaben baut sich auf diese gemeinsame Grundschule eine nach praktischer oder wissenschaftlicher Begabung gegabelte höhere Schule auf. Für die Mädchen wird am Anschluß an die Grundschule wiederum eine vierjährige gemeinsame Frauenschule vorgeschlagen, in der im wesentlichen Haushaltunsglehre, Säuglings- und Kinderpflege gelehrt wird, die also eine Vorbereitung auf den praktischen Beruf der Hausfrau und Mutter darstellt. – Über das Universitätsstudium wird in dem gleichen Heft bei Besprechung eines Buches von Rompel gesagt, daß die vom Verfasser empfohlene Einschränkung des Universitätsstudiums für die Frauen ein Weg zum Besseren wäre.
Das alles bedeutet einen Rückschritt um fast hundert Jahre.

 

Das einzige, was von der Arbeit der Frauenbewegung übrigbliebe, ist die hauswirtschaftliche Ausbildung der Frau. Aber hier scheint man mir doch des Guten zuviel zu tun. Wir haben Haushaltungs- und Frauenschulen, die in ein- und zweijährigen Kursen durchaus befriedigende Ergebnisse erreichen. Diese Beschränkung der gesamten Frauenbildung auf die gemeinsame Grundschule, deren Niveau naturgemäß durch die Rücksicht auf die weniger Begabten sehr niedrig gehalten wird, und auf diese vierjährige praktische Frauenschule, läßt die Befürchtung aufkommen, daß bei diesem Plan nicht nur das positive Ziel einer guten hauswirtschaftlichen Ausbildung ausschlaggebend ist. Vielleicht legt man gerade soviel Wert auf das negative Ergebnis, nämlich, daß man durch diese Ausbildung im entwicklungsfähigsten und aufnahmefähigsten Alter bei den Mädchen die Keime zu ernsteren geistigeren Interessen ertöten wird.

 

4. Stellung der verheirateten Frau
Als Ausgleich für diese Opfer an Rechten, an Ausbildungs- und Betätigungsmöglichkeiten, die der Nationalsozialismus von den Frauen fordert, wird der Frau eine verbesserte, gehobene Stellung in der Familie in Aussicht gestellt. Es ist da viel die Rede von der hohen Stellung der germanischen Mutter, von der Achtung, die ihr wieder entgegengebracht werden soll, von der Ritterlichkeit des Mannes, der man eine „Wiedergeburt“ verspricht für den Fall, daß die Frau ihre Tätigkeit wieder auf die Familie beschränkt. Ein nationalsozialistischer Redner verstieg sich kürzlich in Frankfurt a. M. kurzerhand zu der Forderung, daß die Frau wieder allein „Göttin und Priesterin“ werden müsse. Man spricht davon, daß hier eine neue Frauenbewegung aufgetreten ist, die mit fliegenden Fahnen die Rückkehr der Frau in ihr eigentliches Betätigungsfeld, die Familie, verkündet.

 

Wir wollen den Ernst dieser Bewegung trotz der wenig vertrauenerweckenden großen Worte nicht verkennen. Denn sie wird in einer gefährlichen Weise unterstützt durch die Berufsmüdigkeit vieler Frauen, besonders der Jugend, die die Aussichtslosigkeit ihrer Zukunft und die für viele so abstoßende Brutalität des Berufskampfes nach jedem Stohhalm greifen läßt. Gerade deshalb wollen wir die Versprechungen, die die nationalsozialistische Bewegung für eine Hebung der Stellung der verheirateten Frau macht, genauer nachprüfen.

 

Sicher hat die Frauenbewegung gerade für die Stellung der verheirateten Frau noch viele unerfüllte Wünsche. Es wird heute in weiten Kreisen anerkannt, daß z. B. das eheliche Güterrecht, das Recht der elterlichen Gewalt, die Bestimmungen über die Staatsangehörigkeit der verheirateten Frau eine Verbesserung zu Gunsten der Frau bedürfen. Aber ich konnte, obwohl ich viel nationalsozialistische Literatur über diese Frage nachgeprüft habe, für diese Punkte dort keine konkreten Vorschläge finden. Während alle Vorschläge zu Ungunsten der politischen und beruflichen Rechte der Frau an Bestimmtheit nichts zu wünschen übrig lassen, bleibt es zu Gunsten der Frau nur bei ganz allgemeinen, sehr unbestimmten, dafür aber sehr pathetischen Versprechungen.

 

Gleichzeitig hört man aber auch ganz andere Töne. Man hört viel von der natürlichen Abhängigkeit der Frau vom Manne, von der natürlichen Rangordnung der Geschlechter, die wieder eingeführt werden müsse (Emma Witte, Nat.-soz. Monatshefte, Heft 22, Seite 32), von dem Gehorsam, den die Frau dem Manne schuldet (Rompel, Die Frau im Lebensraum des Mannes). Das, was über die Stellung der verheirateten Frau immer wieder mit äußerster Breite und abwechselnd pathetisch und zynisch erörtert wird, ist ihre Verpflichtung, in möglichst großer Zahl dem Staat Kinder zu gebären und sie zu guten nationalsozialistischen Kämpfern zu erziehen. So läßt Goebbels in seinem Roman „Michael“ (München, 1931, S. 63) seinen Helden, der offensichtlich die Anschauungen des Verfassers ausspricht, sagen, „die Aufgabe der Frau beschränkt sich darauf, schön zu sein und Kinder zu gebären“. Weil er wohl Gefühl hat, daß dieser Ausspruch einer Entschuldigung bedarf, fährt er fort: „Das ist gar nicht so roh und unmodern, wie es sich anhört. Die Vogelfrau putzt sich auch für den Mann“. Ich muß gestehen, daß solche Tröstungen aus dem Tierreich (die, nebenbei bemerkt, von falschen Beobachtungen ausgehen, denn das Vogelmännchen schmückt sich in der Zeit der Liebe) wenig geeignet sind, mich den Verlust des Staatsbürgerrechts verschmerzen zu lassen. In gleicher Richtung liegt die Äußerung Rosenbergs, M.d.R., der Chefredakteur des Völkischen Beobachters ist, in seinem Buch „Der Mythos des zwanzigsten Jahrhunderts“ (München, 1931, S. 558): „Ein deutsches Reich der Zukunft wird gerade die kinderlose Frau - - gleich ob verheiratet oder nicht - - als ein nichtvollberechtigtes Glied der Volksgemeinschaft betrachten.“

 

Zu welchen grotesken Entgleisungen diese Überbetonung des bevölkerungspolitischen Moments führen kann, zeigt ein weiteres Zitat aus dem gleichen Buche Rosenbergs. Rosenberg behandelt hier die Frage der Rechtsstellung des unehelichen Kindes; nach Angriffen auf die Kirche, die bürgerliche Moral und die Sozialisten fährt er fort: „Vom rassekundlichen Standpunkt aus erscheinen die Dinge in einem ganz anderen Lichte. Gewiß ist die Einehe zu schützen und durchaus aufrecht zu erhalten als organische Zelle des Volkstums, aber schon Professor Wieth-Knudsen hat mit Recht darauf hingewiesen, daß ohne zeitweise Vielweiberei nie der germanische Völkerstrom früherer Jahrhunderte entstanden wäre, womit soviel gesagt ist, als daß alle Voraussetzungen für die Kultur des Abendlandes gefehlt hätten. Etwas, was diese geschichtliche Tatsache dem Moralisieren enthebt.“
Den in dem letzten Satz enthaltenen Gedanken hatte Rosenberg in der ersten Auflage seines Buches etwas klarer ausgedrückt durch den Vorschlag, den Ehebruch des Mannes, wenn aus ihm ein Kind hervorgegangen ist, juristisch nicht als Ehebruch zu werten. In den folgenden Auflagen hat R. diesen Satz zugunsten der etwas verklausulierten, aber inhaltlich übereinstimmenden oben wörtlich zitierten Fassung gestrichen.

 

Gewiß mag man diese letzten Äußerungen als Entgleisungen eines Einzelnen hinstellen, mit deren praktischer Verwirklichung man in einer Kultur, die wie die unsrige auf der Monogamie aufgebaut ist, nicht ernstlich zu rechnen braucht. Trotzdem sind solche Äußerungen kennzeichnend für die geistige Einstellung nicht nur Rosenbergs, sondern der nat.-soz. Bewegung überhaupt: Die Frau wird nicht als Persönlichkeit gewertet; es kommt nicht auf ihr eigenes, geistiges und seelisches Leben an. Sie hat Wert und Rechte nur auf Grund der leiblichen Mutterschaft. Es liegt mir fern, den Wert der Mutterschaft und des Muttererlebnisses für das Leben der Frau zu verkleinern. Aber ihren Wert hat sie nach meiner Meinung auf Grund ihrer Persönlichkeit, ihrer geistigen und seelischen Eigenschaften, die selbstverständlich u. a. auch auf dem Erlebnis der Mutterschaft, aber auch auf einer angeborenen Mütterlichkeit beruhen können.

 

II. Wie ist nun diese Einstellung des Nationalsozialismus zur Frauenfrage zu werten?
Bei einer so unausgegorenen Bewegung gibt es ja viele Programmpunkte, die einer Änderung fähig sind. Ja, ich glaube, unter den vielen Wählern der nationalsozialistischen Partei sind 80 %, die sie nur gewählt haben in der Hoffnung, daß sie wenigstens einen wesentlichen Punkt ihres Programms ändert. Ich glaube aber, daß wir Frauen uns hier keinen optimistischen Hoffnungen hingeben sollten; denn die Einstellung zur Frau, wie ich sie geschildert habe, scheint mir mit der ganzen geistigen Haltung der Bewegung unlösbar verknüpft zu sein. Ich finde in dem Ideenkreis, aus dem die nationalsozialistische Bewegung hervorgeht, vor allem drei Punkte, die einerseits unlösbar in die nationalsozialistische Gedankenwelt eingebaut sind, und die andererseits dem tiefsten Wesen der Frau, wie ich es verstehe, notwendig entgegengesetzt sind.

 

Da ist zunächst 1. Die Art, wie die Nationalsozialisten die bevölkerungspolitische Frage ansehen.
Ich habe die Stelle aus Alfred Rosenbergs Mythos zitiert, in der er eine gewisse Durchbrechung der Monogamie gutheißt, wenn sie nur der Bevölkerungspolitik dient. Hitler spricht immer wieder von der notwendigen Auswahl der „rassisch Tüchtigen“. Feder hat den schönen Ausspruch von der „Aufordnung unserer Rasse“ getan. Wenn ich solche Worte mit ihrem Anklang an die Aufforstung eines Waldes oder die Auffrischung einer Schafherde höre, schaudert es mich. Ich glaube, wir Frauen haben gefühlsmäßig einen etwas tieferen Einblick in die Kompliziertheit, in das dem Verstand Unzugängliche bei Zeugung, Geburt und Wachstum eines Menschen. Wir können nicht glauben, daß man Menschenkinder einer bestimmten Art „züchten“ kann, wie man Tannenbäume oder Schafe züchtet.

 

Wir empfinden zu tief, daß bei einem werdenden Menschen doch nicht nur die körperlichen Erbanlagen, die „rassische Tüchtigkeit“ der Eltern entscheiden, sondern viel kompliziertere Dinge, die seelische und geistige Atmosphäre des Elternhauses, die Eindrücke der Kindheit, die menschliche Beziehung zu den Eltern. Das alles sind Dinge, die mit der „rassischen“ Tüchtigkeit der Eltern weniger zu tun haben, und dazu kommt vielleicht auch noch etwas, was unserer Erkenntnis, bestimmt aber unserer Beeinflussung unzugänglich ist: Zufall, Schicksal, Gnade oder wie man es nennen mag. Deshalb glaube ich, daß wir gerade als Frauen dieses Wiederaufleben eines Überwundenen, ganz platten Materialismus aus unserem weiblichen Empfinden heraus ablehnen müssen.

 

2. Eine zweite Grundidee der nat.-soz. Bewegung tritt besonders klar in dem Rosenbergschen Buch „Mythos des zwanzigsten Jahrhunderts“ hervor, findet sich aber auch in anderen nationalsozialistischen Schriften. Durch dieses Buch zieht der Grundgedanke, daß die Idee der Liebe, der Humanität, der Menschlichkeit zu verwerfen ist, weil sie dem „jüdischen Christentum“ entstammt, weil sie schwächend, weiblich, jüdisch sei. An ihrer Stelle soll als „neue ethische Idee“ das germanische, männliche Ideal der Gefolgschaftstreue Gesetz werden.

 

Ich glaube, daß die Liebe, die Humanität, das Streben nach Befriedung und Gesittung zu den Daseinsbedingungen der Frau gehört. Denn ein gewisses Maß von Befriedung ist Voraussetzung für jede Kultur. In einem Gemeinwesen, in dem die Brutalität, die Muskelkraft, der Terror herrschen, kann keine Kultur gedeihen; hier werden die Frauen die ersten sein, die unter die Räder kommen. Außerdem glaube ich, daß die Frau gerade als Hüterin des Wachstums, des Lebens, des lebenden Menschen für die Liebe, die Menschlichkeit, einstehen und dem brutalen Kampf, der den Tod und die Hinderung ungestörten Wachstums bringt, widerstreben muß.

 

3. Neben dem Materialismus, der die nationalsozialistische Bevölkerungspolitik durchzieht, und der Bekämpfung der Humanität hat der Nationalsozialismus noch eine weltanschauliche Grundlage, die gerade die liberalen bürgerlichen Frauen angeht. Fast ebenso verwerflich wie die Idee der christlichen Liebe erscheint einem richtigen Nationalsozialisten der Individualismus, die liberale Hochbewertung der Persönlichkeit und der Freiheit. Statt dessen predigt man die bedingungslose Unterordnung des Mannes unter den Führer, eine militärische Disziplin, die auf jede eigene Entscheidung, auf jedes eigene Nachprüfen verzichtet. Diese Unterdrückung des Individuellen, zugunsten des Typischen, des Allgemeinen, in dieser übertriebenen Form widerspricht dem Ideal der Freiheit des Einzelnen, der Entwicklungsmöglichkeit für die individuellen, besonderen Formen des Lebens. Die Frauenbewegung war ein Kampf um die Wertung der Persönlichkeit in diesem liberalen Sinn. Ihr verdanken wir unsere heutige Stellung als grundsätzlich gleichberechtigte Staatsbürgerinnen. – Schließlich glaube ich auch, daß diese Uniformierung und Militarisierung unseres Gemeinschaftslebens dem Wesen der Frau nach seiner tiefsten Anlage widerspricht. –

 

Zusammenfassend muß also festgestellt werden, daß die nationalsozialistische Bewegung die Interessen der Frauen auf allen Gebieten, in der politischen und beruflichen Stellung, in der Mädchenbildung und in der Stellung als Frau und Mutter gefährdet, daß sie außerdem in ihren weltanschaulichen Grundlagen unserem Empfinden fremd ist. Mein Ruf an die Frauen ist deshalb der: wir berufstätigen Frauen wollen uns von der augenblicklichen Berufsmüdigkeit nicht unterkriegen lassen. Wir wollen uns vor Augen halten, das, was man uns an Stelle der schwer errungenen Gleichberechtigung bietet, leere, unhaltbare, vielleicht nicht einmal aufrichtige Versprechungen sind. Die Hausfrauen und Mütter bitte ich zu bedenken, daß keiner der Vorschläge zur Verbesserung ihrer Stellung, die die Frauenbewegung gemacht hat, von den Nationalsozialisten aufgegriffen wird, und daß der platte Materialismus, die Bewertung der Frau nur nach ihrer Gebärfähigkeit keine Hebung ihrer Stellung bedeutet, sondern die tiefste Herabwürdigung gerade der wirklichen mütterlichen Frau.

 

Wir alle wollen nicht vergessen, daß die heutige Stellung der Frau als gleichberechtigte Staatsbürgerin ihre tiefen, wirtschaftlichen und geistigen Grundlagen hat, daß ein Versuch, das Rad der Geschichte zurückzudrehen, nachdem sich die wirtschaftlichen und die psychologischen Verhältnisse geändert haben, unendlich viel Enttäuschung, seelische und wirtschaftliche Not für viele Frauen bedeuten wird. Deshalb wollen wir der Idee, die die Frauenbewegung emporgetragen hat, der Idee der Freiheit, dem Liberalismus, die Treue halten, auch in einer Zeit, in der sie von beiden Seiten, links vom Bolschewismus und rechts vom Faszismus heiß bekämpft wird.

 

Der Weg

der deutschbewußten, christlichen Frau,

die sich nicht für ihr Geschlecht, sondern für ihr ganzes Volk verantwortlich fühlt

führt zur

Deutschen Volkspartei.

In einer Publikation aus dem Jahre 1932 analysierte Elisabeth Schwarzhaupt (damals in der Deutschen Volkspartei engagiert, nach dem Kriege CDU-Gesundheitsministerin von 1961–1966) kritisch die NS-Politik im Hinblick auf Geschlechterdifferenz, Familienkonzept und Rassendiskriminierung.


erstellt am 01.01.2010
 

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