„Bayreuth der deutschen Klassik“? Frankfurt und die Römerberg-Festspiele

 

Die Römerberg-Festspiele wurden 1932 als mehrwöchiges Theaterfestival gegründet und von 1933 bis 1939 vom NS-Regime weitergeführt. Aufgeführt wurden auf der Freilichtbühne jeweils etwa 50 Stücke meist klassischer Autoren, die Schauspieler kamen von den Städtischen Bühnen, hinzu kamen für Massenszenen bis zu 1.000 Statisten aus der Bevölkerung.

 

„Wo aber berühren sich die gesunden Kräfte des Volkslebens und die Darstellung seines künstlerischen Wirkens tiefer als in der Begegnung auf jenem Platz, auf dem das Schicksal des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation jahrhundertelang seine festliche Weihe empfangen hat, auf dem Römerberg der Kaiser- und Krönungsstadt Frankfurt.“ (Hans Meissner, 1934)

Im Juni 1933 wird die Generalintendanz der Städtischen Bühnen nach kurzem Interim Hans Meissner übertragen. Der gebürtige Frankfurter ist ein erfahrener Theatermann und langjähriger Bekannter von Oberbürgermeister Friedrich Krebs. Ihm – vormals Sozialdemokrat, ab 1933 NSDAP-Mitglied – unterstehen jetzt Oper, Großes Schauspielhaus, Kleines Haus (früher Neues Theater) und die Römerberg-Festspiele. Frankfurt – so Meissners Ehrgeiz – soll als „Bayreuth der deutschen Klassik“ in die Theatergeschichte eingehen.

 

„Architektonisches Theater“

 

Rasch erklärt Meissner die Römerberg-Festspiele zu seinem Steckenpferd. Das Freilichttheater war im Juni 1932 zum 100. Todestag Johann Wolfgang von Goethes unter Intendant Alwin Kronacher und dem später nicht nur politisch verfolgten Kulturstadtrat Max Michel (SPD) mit großem Erfolg ins Leben gerufen worden. „Urgötz“ und „Egmont“ standen auf dem ersten Programm. Die Namen der Initiatoren unterschlagen die Nationalsozialisten bei der Wiederaufnahme 1933, denn sowohl Kronacher als auch Michel sind Juden, werden nach Hitlers Regierungsantritt – wie so viele andere Bühnenmitarbeiter – sofort zwangsbeurlaubt und ins Exil getrieben.

Bis 1939 bietet das etwa achtwöchige Spektakel zur „Volksbelehrung“ jeden Sommer jeweils zwischen 45 und 50 Vorstellungen vor der historischen Römer-Fassade und Altstadtkulisse. Die Tribüne bietet annähernd 2.000 Zuschauern Platz. Auf dem Programm stehen vorwiegend Werke klassischer Autoren wie Goethe, Schiller und Shakespeare, aber auch die zeitgenössischen Stücke Gerhard Hauptmanns erhalten großen Beifall. Bei den Besuchern aus dem In- und Ausland sollen wieder „Quellen echt völkischen Gefühls“ geweckt werden, so jedenfalls wünscht es sich der Oberbürgermeister. Die Sprechrollen übernimmt das Ensemble der Städtischen Bühnen. Für die Massenszenen verpflichtet Meissner regelmäßig bis zu 1.000 Statisten aus der Frankfurter Bevölkerung; diese mimen dann Soldaten oder rebellierende Bauern. Auch die Polizei ist eingebunden: Sie stellt – wenn benötigt – ihre Pferdestaffel für die Darbietung zur Verfügung und sichert während der zeitintensiven Proben und Aufführungen das Areal rund um den Römer.

Die Festspiele werden häufig von Veranstaltungen begleitet. So verantworten das Theaterwissenschaftliche Institut und das Theatergeschichtliche Museum in Köln im Juli 1937 zum fünfjährigen Jubiläum – parallel zur Saison und noch einen Monat darüber hinaus – im Karmeliterkloster die Ausstellung „Theater im Freien“. Prominent präsentiert sich im Refektorium die Abteilung „Freilichtbühnen im neuen Deutschland“. Kurator Franz Moraller, Kulturwalter im Reichsbund der deutschen Freilicht- und Volksschauspiele, vereinnahmt dort selbstverständlich auch die Römerberg-Festspiele ideologisch für den Nationalsozialismus. Im selben Monat wird erstmals der von der Stadt Frankfurt am Main gestiftete und von Hans Warnecke entworfene „Römerberg-Ring“ an die beliebten Schauspieler und Festspiel-Darsteller Ellen Daub und Robert Taube verliehen. Der Frankfurter „Chefdramaturg“ Friedrich Bethge, erfolgloser Autor meist militärischer Stücke, NSDAP-Funktionär und „SS-Führer“, plädiert 1943 dafür, Hans Meissner zu seinem zehnjährigen Dienstjubiläum einen mit Brillanten besetzen Römerberg-Ring zu verleihen.

Trotz intensiven Werbens bei Reichspropagandaminister Goebbels gelingt es Oberbürgermeister Krebs nicht, für die Veranstaltung das Prädikat „Reichsfestspiele“ zu erwirken. Diese Auszeichnung bleibt Heidelberg vorbehalten; die Frankfurter Spiele müssen sich mit der Einstufung „reichswichtig“ begnügen. Auch die Einwerbung zusätzlicher Geldmittel für die Römerberg-Festspiele etwa beim Regierungspräsidium in Wiesbaden bleibt erfolglos. In der letzten Vorstellung am 26. August 1939 gibt Meissner noch einmal Friedrich Hebbels Trauerspiel „Die Nibelungen“. Wegen des drohenden Zweiten Weltkrieges, der wenige Tage später mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen beginnt, unterbrechen die Veranstalter die Spielsaison und bauen die Zuschauertribüne ab. Die Freilichtspiele werden nicht wieder aufgenommen; wenige Jahre später liegt der Römerberg in Trümmern, die traditionsreiche Kulisse existiert nicht mehr.

 

Epilog

 

Der Schauspieler Joachim Gottschalk, ein von Publikum und Presse gefeierter Festspiel-Darsteller, begeht 1941 in Berlin mit seiner Familie Selbstmord. Seit 1935 wird er ständig diffamiert und erhält kaum noch Engagements, weil er in mit einer jüdischen, später zum Protestantismus konvertierten Frau verheiratet ist.

Im Juni 1993 gründet sich der Verein „Römerbergfestspiele Frankfurt e. V.“ der sich für eine Wiederbelebung der Freilichtaufführungen engagiert – einer kritischen Auseinandersetzung mit der NS-Tradition stellt sich die Initiative bislang nicht.

 

Übersicht 1932-1939

 

Festspielsommer 1932

Johann Wolfgang von Goethe: Urgötz. Die Geschichte Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand und

Egmont

 

Festspielsommer 1933

Friedrich von Schiller: Die Jungfrau von Orléans

Hans Sachs: Schwänke

Wiederaufnahmen als Neuinszenierungen:

Johann Wolfgang von Goethe: Urgötz. Die Geschichte Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand

Johann Wolfgang von Goethe: Egmont

 

Festspielsommer 1934

Friedrich von Schiller: Wallenstein-Trilogie

Wiederaufnahme als Neuinszenierung:

Friedrich von Schiller: Die Jungfrau von Orléans

 

Festspielsommer 1935

Johann Wolfgang von Goethe: Faust I

Wiederaufnahmen als Neuinszenierungen:

Johann Wolfgang von Goethe: Urgötz. Die Geschichte Gottfriedens von Berlichingen mit der eisernen Hand

Friedrich von Schiller: Die Jungfrau von Orléans

Friedrich von Schiller: Wallenstein-Trilogie

 

Festspielsommer 1936

Friedrich von Schiller: Die Verschwörung des Fiesco zu Genua

Wiederaufnahmen als Neuinszenierungen:

Johann Wolfgang von Goethe: Faust I

Friedrich von Schiller: Die Jungfrau von Orléans

 

Festspielsommer 1937

Gerhart Hauptmann: Florian Geyer

William Shakespeare: König Heinrich IV.

Wiederaufnahmen als Neuinszenierungen:

Johann Wolfgang von Goethe: Faust I

Friedrich von Schiller: Die Verschwörung des Fiesco zu Genua

 

Festspielsommer 1938

William Shakespeare: Hamlet

Wiederaufnahmen als Neuinszenierungen:

Johann Wolfgang von Goethe: Faust I

Friedrich von Schiller: Die Verschwörung des Fiesco zu Genua

Gerhart Hauptmann: Florian Geyer

William Shakespeare: König Heinrich IV.

 

Festspielsommer 1939

Friedrich Hebbel: Die Nibelungen, Teil I

Wiederaufnahmen als Neuinszenierungen:

Johann Wolfgang von Goethe: Faust I

William Shakespeare: Hamlet

 

Literatur und Quellen

 

Heike Drummer, Stadt des deutschen Handwerks, in: Lothar Gall (Hg.), FFM 1200. Traditionen und Perspektiven einer Stadt, Sigmaringen 1994, S. 315–340.

Albert Richard Mohr, Hans Meissner und das Frankfurter Theater, Frankfurt am Main 1968.

ders. (Hg.), Die Römerberg-Festspiele Frankfurt am Main 1932-1939, Frankfurt am Main 1968.

E. P. Moosmann (Hg.), Römerbergfestspiele 1932-1939. Begleitheft zur Ausstellung in den Römerhallen. 19. bis 30 August 1994, Frankfurt am Main 1994.

Hans Riebsamen, Über Götz der Graf Zeppelin. Von 1932 bis 1939 großes Theater auf dem Römerberg, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 10. April 2000.

Bettina Schültke, Theater oder Propaganda? Die Städtischen Bühnen Frankfurt am Main 1933-1945, Frankfurt am Main 1997, S. 113 ff.

Institut für Stadtgeschichte, Magistratsakten 4.384 und 4.385

Die Römerberg-Festspiele wurden 1932 als mehrwöchiges Theaterfestival gegründet und von 1933 bis 1939 vom NS-Regime weitergeführt. Aufgeführt wurden auf der Freilichtbühne jeweils etwa 50 Stücke meist klassischer Autoren, die Schauspieler kamen von den Städtischen Bühnen, hinzu kamen für Massenszenen bis zu 1.000 Statisten aus der Bevölkerung.



Autor/in: Heike Drummer / Jutta Zwilling
erstellt am 01.01.2010
 

Verwandte Personen

Krebs, Friedrich


Meissner, Hans

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