Der Anfang vom Ende - Die Royal Air Force fliegt am 4. Juni 1940 den ersten Angriff auf Frankfurt

Durch Sprengbomben beschädigte Wohnhäuser Rebstöcker Straße 125 (li.) und Schlossborner Straße 66 (re.) von der Idsteiner Straße aus gesehen, 5. Juni 1940.

Rückseite des Gebäudes Schlossborner Straße 66, 5. Juni 1940.

Gesicherte Hausfassade Schlossborner Straße 61, 5. Juni 1940.

Der erste Luftangriff auf Frankfurt am 4. Juni 1940 fordert fünf Menschenleben. Beim Entschärfen einer Sprengbombe mit Langzeitzünder im Bahndamm an der Schlossborner Straße sterben sieben Mitglieder des Instandsetzungsdienstes und eine unbekannte Anzahl Strafgefangene.

Einen Tag bevor die tief in Frankreich stehenden deutschen Armeen mit dem Vorstoß auf Paris begannen, fielen die ersten Bomben auf Frankfurt am Main. Zwei leichte Hampden-Bomber der Royal Air Force, die eigentlich die Öltanks im Osthafen ins Visier nehmen sollten, klinkten am 4. Juni 1940 zu nachtschlafender Zeit ihre tödliche Fracht irrtümlich über Nied und über dem Gallusviertel aus.

Während ein durch Stabbrandbomben in der Schmidtbornstraße 34 verursachter Dachstuhlbrand vom Sicherheits- und Hilfsdienst (SHD) mit Unterstützung der Freiwilligen Feuerwehr Nied rasch unter Kontrolle gebracht und gelöscht werden konnte, herrschten im Gallus in der Schloßborner und in der Rebstöcker Straße blankes Entsetzen: "Durch den Fliegerangriff (Abwurf von 2 Bomben)", berichtete ein Mitarbeiter der Obdachlosenpolizei vom Unglücksort, "sind 4 Häuser zum Teil schwer beschädigt. Es hat 4 Tote und 3 Schwerverletzte gegeben. Im Hause Schlossbornerstr. 64-66 sind die Rückseiten völlig aufgerissen, die Möbel sind in die Tiefe gestürzt, zum Teil hängen sie noch auf schwankenden Bodenresten. Die Bewohner befinden sich nach Aussagen der Hausbewohner zum Teil schwerverletzt im Krankenhaus, zum Teil sind sie bei fremden Leuten untergekommen. Am schwersten heimgesucht ist Frau Sophie Thiemer geb. 8.2.86, Schlossbornerstr. 61, die ihren Ehemann, den 50-jährigen Rangiermeister in dieser Nacht durch Bombensplitter verloren hat. Die Frau ist völlig gebrochen."1

Die ersten drei Frankfurter Luftkriegsopfer, der Arbeiter Wilhelm Fackler, der pensionierte Oberpostschaffner Philipp Merten und der erwähnte Rangiermeister Edmund Thiemer, wurden am 8. Juni 1940 im Rahmen einer vom Bestattungsamt ausgerichteten Trauerfeier beim "Ehrenfeld" auf dem Oberräder Waldfriedhof beigesetzt. Als Vertreter von Oberbürgermeister Friedrich Krebs legte Stadtrat Bruno Müller im Namen der Stadt Frankfurt an jedem Grab einen Kranz nieder. Eine Frau, die während des Angriffs an einem Herzinfarkt gestorben war, galt den Behörden nur als indirektes Opfer des Luftkriegs und wurde nicht mit den drei Schicksalsgenossen beim Ehrenfriedhof bestattet. Der in der Schloßborner Straße 66 wohnhafte und am 4. Juni schwer verletzte Metalldreher Christian Schmid verstarb drei Tage später im Krankenhaus Sachsenhausen, so dass der erste Luftangriff auf Frankfurt am Main tatsächlich fünf Menschenleben forderte.

Die Anzahl der Opfer des Angriffs vom 4. Juni 1940 sollte weiter ansteigen. Beim Absuchen der bombardierten Straßenzüge nach Blindgängern entdeckte der von Mitgliedern der Technischen Nothilfe gebildete Luftschutz-Instandsetzungsdienst eine nicht detonierte 250-Pfund-Sprengbombe, die im Bahndamm hinter der Schloßborner Straße 66 steckte. Nach der Evakuierung sämtlicher Anwohner im Umkreis von 100 Metern begann am 7. Juni 1940 der Instandsetzungsdienst unter Leitung des Oberfeuerwerkers des Fliegerhorstes Erbenheim und mit Hilfe eines Bautrupps der Bahnmeisterei Griesheim damit, den vermeintlichen Blindgänger mit aller Vorsicht auszugraben. Bevor die Bombe kontrolliert gesprengt werden konnte, kam es zur Katastrophe: Urplötzlich explodierte der freigelegte Sprengsatz, bei dem es sich offenbar um einen Langzeitzünder handelte, und tötete den Oberfeuerwerker, fünf Mitglieder des Technischen Notdienstes, einen Mitarbeiter der Bahnmeisterei und eine unbekannte Anzahl Strafgefangene. Die für "Führer, Volk und Vaterland" gefallenen Angehörigen des SHD wurden am 11. Juni 1940 mit militärischen Ehren auf dem Waldfriedhof in Oberrad beigesetzt. Im Kalenderjahr 1940 kamen bei 17 kleineren Luftangriffen auf die Gauhauptstadt insgesamt 31 Frankfurter ums Leben, 58 wurden verletzt.2

Anmerkungen:
1 "Bericht über die Besichtigung der Schadensstellen Schlossbornerstrasse 64-66-59-61 anlässlich des Fliegerangriffes am 4.6.40", ISG, Luftschutz 151, fol. 25r.
2 Vgl. Luftschutz-Kriegstagebuch der örtlichen Luftschutzleitung, Bd. 2, S. VII f. u. XI, ISG, Luftschutz 306; Vermerke, Entwürfe, Berichte und Todesanzeigen zum ersten Luftangriff auf Frankfurt im Juni 1940, ISG, Magistratsakte 3808, fol. 3r.-21r.

Literatur:
Bauer, Thomas, "Terror in Quelle Siegfried 5" - Luftschutz und Luftkrieg in Frankfurt am Main 1933-1945, in: HEIMAT/FRONT. Frankfurt am Main im Luftkrieg, hrsg. von Michael Fleiter, Frankfurt a. M. 2013, S. 26-47
Lerch, Gustav K., Frankfurt am Main im Luftkrieg, Bd. 1: Der Anfang, Frankfurt a. M. 1998
Schmid, Armin, Frankfurt im Feuersturm. Die Geschichte der Stadt im Zweiten Weltkrieg, Frankfurt a. M. 1965



Autor/in: Thomas Bauer
erstellt am 28.08.2019
 

Verwandte Personen

Müller, Bruno

Verwandte Begriffe

Royal Air Force


Sicherheits- und Hilfsdienst (SHD)

Verwandte Orte

Waldfriedhof Oberrad

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