Die „Arisierung“ der Matra-Werke

Ansicht der Matra-Werke, Fotografie um 1938

Der Verkaufsraum der Matra-Werke mit einem Porträt Hitlers als Wandschmuck, Fotografie um 1938

Der Firmengründer Erich Marx verkauft 1935 seine Geschäftsanteile, weil ein Großauftrag der Wehrmacht nur an eine „arische“ Firma vergeben wird.

 

Die im Frühjahr 1919 gegründete Firma Marx & Traube GmbH widmete sich ab Mitte der 20er Jahre dem Import typisierter Spezialwerkzeuge und Werkzeugprogramme für die Kraftfahrzeuginstandsetzung aus den USA. Erich Marx, seit 1925 alleiniger Geschäftsinhaber, sah voraus, dass auch die Automobilisierung in Europa und in Deutschland die Entwicklung neuer Märkte für Instandsetzung und Reparaturen anstoßen würde. Die Weltwirtschaftskrise 1929/30 brachte das Importgeschäft zum Erliegen. Erich Marx suchte und fand im Frühjahr 1931 mit der Linde AG einen Investor, der die Produktion von Werkzeugen und Maschinen in Deutschland ermöglichte.

 

1933 führte die Firma den von Erich Marx inspirierten Prototyp einer auf einem Lastkraftwagen installierten Werkstatt auf der Berliner Automobilausstellung vor. Die Wehrmacht zeigte sich am Erwerb von 58 fahrbaren Werkstätten interessiert. Angesichts der marktmäßig noch nicht gefestigten Situation der Firma war ein Großauftrag dieser Dimension eine einmalige Chance. Die Wehrmacht teilte mit, dass der Auftrag nur an eine arische Firma vergeben werde. Erich Marx verkaufte der Linde AG seine Geschäftsanteile, die am 29. Oktober 1935 dem Oberbefehlshaber des Heeres das Ausscheiden des Firmengründers mitteilte: „Die Firma (...) gilt deshalb von jetzt ab hinsichtlich ihres Kapitals sowie ihrer Geschäftsführung als arisch.“ Die Linde AG zahlte Erich Marx den von diesem geforderten Preis. Vor 1938 war Arisierung zu angemessenen Preisen kein Einzelfall.

 

Erich Marx schloss 1935 mit dem neuen Eigentümer der von ihm gegründeten Firma einen Beratervertrag und richtete im Frankfurter Hotel Englischer Hof ein Büro mit zwei „arischen“ Kräften ein. Im Januar 1938 emigirierte er nach London und war bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs weiterhin als Berater in Exportfragen tätig. Die Weiterbeschäftigung ehemaliger jüdischer Besitzer als Berater und Vertreter wurde bis 1938 von staatlichen Stellen aus ökonomischen Gründen geduldet. Der 1935 von Erich Marx geäußerte Wunsch, Aktien eines niederländischen Unternehmens im Gegenwert des Verkaufspreises zu erhalten, wurde untersagt, weil damit „jüdisches Vermögen“ dem Zugriff des NS-Staates entzogen worden wäre.

 

1937, nach dem Verbot der Weiterführung jüdischer Firmennamen, erfolgte die Umbenennung in MATRA-Werke GmbH. Der Antrag der Firma wurde zunächst abgelehnt, weil der neue Name die Anfangsbuchstaben der „jüdischen Namen“ (MA)rx und (TRA)ube nutze. Nach langwierigen Verhandlungen genehmigte das Reichsjustizministerium den Namen. Ausschlaggebend für die Firma war das kaufmännische Interesse, einen auch im Ausland eingeführten und inzwischen respektablen Markennamen möglichst beizubehalten.

 

Die MATRA-Werke expandierten. In 9 deutschen Großstädten, 16 europäischen Ländern und in Südamerika wurden Büros eingerichtet oder Vertreter verpflichtet. Im zivilen Inlandsgeschäft stieg der Umsatz wischen 1935 und 1942 von 886.545 RM auf 10.082.000 RM. Das Rüstungsgeschäft erbrachte zwischen 1935 und 1943 eine Umsatzsteigerung von 97.600 RM auf 34.245.000 RM. Bei Kriegsende beliefen sich die Forderungen an die Wehrmacht auf 15.841.660,86 RM. Die Verfügungskonten der MATRA–Werke verzeichneten etwa 6.000.000 RM. Trotz erheblicher Kriegsschäden an Produktionsanlagen und Verwaltungsgebäuden verzeichnete der Umsatz 1948 bereits wieder 7.480.500 RM.

 

Die Geschäftsführung suchte 1948 in einer 43 Seiten langen Denkschrift den Nachweis zu führen, dass nur mit dem Ausscheiden von Erich Marx 1935 die wirtschaftliche Expansion des Unternehmens möglich geworden sei, weil Marx die Mittel, der unternehmerische Elan und der Weitblick gefehlt hätten. Unbeeindruckt vom Zusammenbruch des NS-Systems und dem Ende des Zweiten Weltkriegs wiederholte die Denkschrift das antisemitische Klischee, Juden seien rassisch zu wirklichem Unternehmertum unfähig. Der durch Terror und Verfolgung erzwungene Verkauf der Geschäftsanteile passte so zum anderen Klischee, dem der besonderen Geldgier.

 

Literatur

 

Benno Nietzel, Handeln und Überleben: Jüdische Unternehmer aus Frankfurt am Main (1924-1964), Göttingen 2012

Der Firmengründer Erich Marx verkauft 1935 seine Geschäftsanteile, weil ein Großauftrag der Wehrmacht nur an eine „arische“ Firma vergeben wird.



Autor/in: Janine Burnicki/ Jürgen Steen
erstellt am 01.01.2003
 

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