Die Komponistin Rosy Geiger-Kullmann

Titelblatt der Ausgabe der „Fünf Lieder nach Gedichten des Rabindranath Tagore“, Verlag Ries & Erler, Berlin 1927.

Programmankündigung in den Monatsblättern des jüdischen Kulturbundes Rhein Main/Frankfurt am Main, März 1937. Die Uraufführung der Kantate „Jakob und Esau“ war eine der letzten Aufführungen von Werken Rosy Geiger-Kullmanns in Frankfurt

Die 1886 in Frankfurt geborene Rosy Geiger-Kullmann war eine der wenigen Komponistinnen in der Musikszene der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1933 wurde sie als Jüdin aus dem öffentlichen Musikleben ausgeschlossen und konnte nur noch im Rahmen eines immer mehr ghettoisierten jüdischen Kulturlebens wirken. 1938 gelang ihr mit ihrer Familie die Auswanderung nach New York, wo sie aber als Komponistin nicht mehr Fuß fassen konnte.

 

Rosy Kullmann wurde am 20. Juni 1886 in Frankfurt am Main geboren. Ihre Eltern Hermann Kullmann und Anna geb. Dreyfuss entstammten alteingesessenen Frankfurter jüdischen Familien. Die Vorfahren der Mutter waren zumeist Großkaufleute, die des Vaters Ärzte und Weinbergbesitzer bzw. Weingroßhändler. Der Vater betrieb gemeinsam mit seinen Brüdern den vom Großvater Heinrich gegründeten Weingroßhandel „H. I. Kullmann & Co.“.

 

In ihren 1961 verfassten und als Manuskript überlieferten Lebenserinnerungen berichtet Rosy Geiger-Kullmann von ersten Kompositionsversuchen auf dem Klavier, die sie bereits im Alter von drei Jahren unternahm. Der Vater wurde zwar auf das musikalische Talent seiner Tochter aufmerksam, ließ ihr aber – da er kein Wunderkind aus ihr machen wollte – erst im Alter von sieben Jahren geregelten Klavierunterricht zukommen. Mit 15 Jahren vertonte Rosy Kullmann ein Gedicht von Nikolaus Lenau, „Abendbild“, das ein Jahr später, 1902, bei einem Konzert im Saalbau uraufgeführt und 1907 auch veröffentlicht wurde. Dies war Rosy Kullmanns erster Schritt als Komponistin in die Frankfurter Öffentlichkeit. Um sich die nötigen Fähigkeiten zur Orchestrierung größerer Werke anzueignen, nahm Rosy Kullmann zunächst bei Iwan Knorr und später bei Bernhard Sekles Harmonielehre- und Kontrapunktstunden und ließ sich ab 1911 von Carl Schuricht in Orchestration unterweisen.
Auch nach ihrer Heirat mit dem Frankfurter Rechtsanwalt Rudolf Geiger (1906) und der Geburt der Kinder Hermann (1907-1976, heute unter dem Namen Hermann Geiger-Torel bekannt als Opernregisseur und Begründer des Opernhauses in Toronto) und Ruth (geb. 1914) setzte Rosy Geiger-Kullmann ihre musikalischen Aktivitäten fort. 1917 wurde erstmals in Wiesbaden unter Carl Schuricht eine Orchesterkomposition von ihr aufgeführt, Konzerte in Baden-Baden und Frankfurt folgten. Ein weiteres Orchesterwerk sowie mehrere Liederzyklen fanden ebenfalls ihren Weg in die Öffentlichkeit, während einige seit Mitte der 20er Jahre entstandene größere Vokalwerke, die beiden Opern „Emanuela“ und „Ritter Lanzelot vom See“ sowie das Oratorium „Moses“, nie zur Aufführung gelangten. Lediglich der letzte Teil des Oratoriums konnte in der Westend-Synagoge in verkleinerter Besetzung realisiert werden.
Ausgerechnet ihr erster und einziger Publikumserfolg außerhalb Frankfurts, die Märchenvertonung „Tischlein deck’ dich!“ (Uraufführung 1929 in Basel) bescherte Rosy Geiger-Kullmann ein ernüchterndes Erlebnis, das sie daran erinnerte, dass es für eine Frau keineswegs selbstverständlich war, als Komponistin in der Öffentlichkeit ernst genommen zu werden. In Leipzig wurde sie nach langer Wartezeit von Generalmusikdirektor Gustav Brecher mit den Worten empfangen: „Ich muss mir doch erst einmal die Frau anschauen, die Opern komponiert.“ Zu einem fachlichen Austausch über Geiger-Kullmanns Werk kam es nicht.

 

1933 erfolgte das jähe Ende der Karriere der Komponistin. 23 Opernhäuser, die konkretes Interesse an „Tischlein deck’ dich!“ gezeigt hatten, zogen ihre Anfragen zurück, beigefügt lag ein Bogen, auf dem Rosy Geiger-Kullmann ihre arische Abstammung darlegen sollte. Der erzwungene Ausschluss aus der Öffentlichkeit und die gleichzeitige Ghettoisierung des jüdischen Kulturlebens innerhalb der Kulturbünde führten paradoxerweise zu einer Situation, in der sich den Komponisten mehr Aufführungsmöglichkeiten für ihre Werke boten als jemals zuvor. Im Zuge der von den nationalsozialistischen Machthabern forcierten, aber gleichzeitig auch innerhalb des Jüdischen Kulturbunds diskutierten „Judaisierung“ des Repertoires richtete sich die Aufmerksamkeit nun auch auf Rosy Geiger-Kullmann als „jüdische Komponistin“. Sie reagierte darauf mit einer verstärkten Beschäftigung mit jüdischen Themen in ihren Kompositionen, beispielsweise in den „Fünf jüdische Volkslieder“ für vierstimmigen Chor (1933) und den beiden Kantaten „Ruth und Boas“ (1935) und „Jakob und Esau“ (1936). Rosy Geiger-Kullmann engagierte sich auch auf institutioneller Ebene: in der Vereinigung Jüdischer Tonkünstler Frankfurts, die regelmäßig kammermusikalische „Mittwochs-Konzerte“ organisierte, und in der Arbeitskommission für Musik des Jüdischen Kulturbunds Rhein-Main/Frankfurt am Main. Darüber hinaus gründete sie die „Jüdische Tonkünstlerhilfe“, die durch das Berufsverbot in Not geratene Musiker und deren Familien unterstützte.

 

Am 10. November 1938 fasste die Familie Geiger-Kullmann den Entschluss, Deutschland zu verlassen, nachdem Rudolf Geiger nach kurzer Inhaftierung aufgrund seines Alters wieder freigelassen worden war. Nach monatelangem Zwangsaufenthalt in Kuba traf die Familie am 27. September 1940 in New York ein. Rosy Geiger-Kullmann arbeitete im Exil zwar intensiv weiter an ihren Kompositionen, aber abgeschnitten von gewohnten Kontakten innerhalb des Frankfurter Musiklebens machte sich hier bemerkbar, dass sie nie an der Diskussion und Erprobung zeitgenössischer kompositorischer Entwicklungen teilgenommen hatte, sondern isoliert davon ihre eigenen Wege gegangen war. Zum einen hing dies sicher damit zusammen, dass sie während ihrer privatmusikalischen Ausbildung nie die Anregung und auch die Kritik im Kreise einer Kompositionsklasse erfahren hatte, zum anderen wohl aber auch damit, dass sie an diesem Diskurs nicht interessiert war: „Ich schreibe zwar modern, aber melodiös, also gegen die Mode unserer Zeit. […] Für mich bedeutet Musik, Kunst und Poesie der Ausdruck der Seele und Schönheit und nicht der der kalten Experimente und Hässlichkeit.“ Nach einigen anfänglichen Aufführungen versiegte das Interesse der jüdischen New Yorker Kreise an Geiger-Kullmanns Werken und es gelang der Komponistin auch nicht, das amerikanische Publikum außerhalb dieser Kreise zu erreichen. Rosy Geiger-Kullmann starb am 4. Januar 1964 in Monterey/California.

 

Literatur und Quellen

Peri Arndt, Rosy Geiger-Kullmann, in: Arbeitsgruppe Exilmusik Hamburg (Hg.), Lebenswege von Musikerinnen im „Dritten Reich“ und im Exil, Hamburg 2000, S. 32-61.

Judith Freise/JoachimMartini, Jüdische Musikerinnen und Musiker in Frankfurt 1933-1942, Frankfurt 1990.

Rosy Geiger-Kullmann, Lebenserinnerungen (Manuskript), Institut für Stadtgeschichte, Chroniken S5, Signatur 252.

Die 1886 in Frankfurt geborene Rosy Geiger-Kullmann war eine der wenigen Komponistinnen in der Musikszene der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1933 wurde sie als Jüdin aus dem öffentlichen Musikleben ausgeschlossen und konnte nur noch im Rahmen eines immer mehr ghettoisierten jüdischen Kulturlebens wirken. 1938 gelang ihr mit ihrer Familie die Auswanderung nach New York, wo sie aber als Komponistin nicht mehr Fuß fassen konnte.



Autor/in: Kathrin Massar
erstellt am 01.01.2009
 

Verwandte Personen

Geiger-Kullmann, Rosy


Sekles, Bernhard

Verwandte Begriffe

Jüdischer Kulturbund

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