Nach der Abtretung von Elsass-Lothringen an Frankreich als Folge des Ersten Weltkrieges gründeten Flüchtlinge und Ausgewiesene 1921 in Frankfurt das „Wissenschaftliche Institut der Elsass-Lothringer im Reich“, das eine enge Bindung zur Universität hatte und bis 1960 bestand.
Der Abtretung des Reichslandes Elsass-Lothringen an Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg folgten Flucht und Vertreibung insbesondere von Reichsdeutschen, die nach 1871 dort ihren Wohnsitz genommen hatten. Frankfurt war ein erstes Ziel von vielen Flüchtlingen und Ausgewiesenen. Diese gründeten einen „Hilfsbund für die Elsass-Lothringer im Reich“, die unter anderem ein wissenschaftliches Institut einrichten wollten und hierfür eine der Westgrenze des Reiches nahe Universität suchten. Am 12. November 1921 wurde in Frankfurt feierlich das vom gleichnamigen Verein getragene „Wissenschaftliche Institut der Elsass-Lothringer im Reich“ gegründet, dessen Satzung eine rein wissenschaftliche und kulturelle Zielsetzung einschließlich der Lehre formulierte und politische Aktivitäten und damit revanchistische Ziele ausschloss.
Frankreich beobachtete das Institut zunächst mit Misstrauen, das später durchaus Anerkennung und Annäherung Platz machte. Mit Hilfe der Stadt, der Universität und des Trägervereins erhielt das Institut in der Bockenheimer Landstraße 127 ein Gebäude, das insbesondere die bald recht umfangreiche Institutsbibliothek aufnehmen sollte. Die Öffnung der Bibliothek und ein Lehrauftrag für den Leiter des Instituts unterstrichen die enge Bindung an die Universität, dessen Vorstand der Rektor und zwei Professoren angehörten. Die Stadt war ab 1925 mit einem hauptamtlichen Magistratsmitglied im Verwaltungsrat vertreten und unterstützte das Institut finanziell. Die Frankfurter Universität übernahm auch eine gewisse Nachfolge der Straßburger Reichsuniversität (Kaiser-Wilhelms-Universität), die 1872 nach dem Deutsch-Französischen-Krieg gegründet worden war. Das Institut betrieb eigene Forschungsarbeit in verschiedenen Disziplinen, veranstaltete öffentliche Vorträge und gab wissenschaftliche, ebenso wie unterhaltende Schriften und das Elsass-Lothringische Jahrbuch heraus.
Erster Generalsekretär war Georg Wolfram (1858-1940), der 1887 zum Leiter des Bezirksarchivs Metz und 1909 zum Leiter der Universitäts- und Landesbibliothek Straßburg ernannt worden war. Nach seinem Ausscheiden wurde der bisherige Direktor des Düsseldorfer Stadtarchivs Paul Wentzcke (1879-1960) 1935 mit besten Empfehlungen als Leiter des Instituts berufen. Wentzcke war in Straßburg aufgewachsen, war mit dem Elsass auch wissenschaftlich verbunden und gehörte vor 1933 der Deutschen Volkspartei an. Er trat nie der NSDAP bei und beschäftigte sich bis zu seinem Wechsel nach Frankfurt vornehmlich mit historischen und politischen Fragen des Rheinlandes und auch des Ruhrkampfes. Der 1934 amtierende Generaldirektor der preußischen Staatsarchive, Albert Brackmann, schrieb am 23. April 1934 über seine Eignung: „… nicht nur als Forscher und Gelehrter … sondern auch als lebensvolle Persönlichkeit, die sich gegenüber allen Schwierigkeiten behauptet und stets im Kampf und vor allem im Kampf der westlichen und östlichen Grenzlande auf nationaler Seite gestanden hat“.
Nach 1933 zielten die neuen Machthaber weniger auf solide Wissenschaft als auf Propaganda in der Forschungsstelle für die „Westmark“. Bereits im April 1933 kam es aus den Reihen des Trägervereins zu scharfen Angriffen gegen jüdische Mitglieder und Referenten auf den Veranstaltungen. Oberbürgermeister Krebs, der seine Schul- und Studienzeit im Elsass verbracht hatte, setzte die städtische Förderung des Instituts fort.
Ende 1940 wurde die Übersiedlung des Instituts nach Straßburg, seine Angliederung an die wiedererstandene Reichsuniversität Straßburg und sein Ausbau zu einem Institut des Westens erwogen, während Krebs das Institut in Frankfurt behalten wollte, aber im Juni 1942 erkennen musste, dass die Verlegung nicht aufzuhalten war. Als Ersatz wurde ab Sommer 1941 mit Unterstützung von Krebs die Gründung einer „Forschungsstelle für politische Grenzfragen des Westens“ der Westdeutschen Forschungsgemeinschaft als „Publikationsstelle Frankfurt a. M.“ unter der Leitung von Wentzcke betrieben und vom Reich finanziert. Zu Beginn des Jahres 1943 wurden die Umzugspläne des Instituts vorerst auf Eis gelegt. Die „Publikationsstelle West“ hatte inzwischen ihren Betrieb aufgenommen und wurde Ende 1944 nach Neustadt bei Coburg verlegt.
1944 wurden Teile der Bibliothek wegen des drohenden Bombenkrieges nach Mitwitz in Oberfranken ausgelagert, das auch anderen Frankfurter Kulturinstituten als Ausweichort diente. Im Sommer 1945 war Wentzcke vorübergehend Leiter des Frankfurter Stadtarchivs. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte das Institut trotz des Verlustes seiner Räume weiter. Nach wiederholten französischen Versuchen zur Übernahme der von der Universität in treuhänderische Verwaltung genommenen Bibliothek blieb diese Teil der Stadt- und Universitätsbibliothek. Wentzcke unternahm 1957 noch einmal den Versuch, Institut und Bibliothek zusammenzuführen. Eine neue Prüfung der Rechtsverhältnisse hatte 1960 die Gründung der Erwin-von-Steinbach-Stiftung und die Auflösung des Instituts zur Folge.
Literatur und Quellen::
Institut für Stadtgeschichte, Magistratsakten, S 1.551 Bd. 1 u. 2, 8.248-8.249, 2.406.
Institut für Stadtgeschichte, Kulturamt, 1.101 (Auslagerung der Bibliothek), 1.550, Übergang der Bibliothek an die Stadt- und Universitätsbibliothek).
Altakten des Stadtarchivs, 25, ff. 5-7 (Auslagerung von Institut und Publikationsstelle).
Paul Kluke, Die Stiftungsuniversität Frankfurt am Main 1914-1932, Frankfurt 1972, S. 43-422.
Notker Hammerstein, Die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Von der Stiftungsuniversität zur staatlichen Hochschule, 1, 1914-1950, S. 69-71, 400-403, 529f., 661-664.
Irmgard Grünwald, Die Elsaß-Lothringer im Reich 1918-1933, Frankfurt u. a., 1984
Nach der Abtretung von Elsass-Lothringen an Frankreich als Folge des Ersten Weltkrieges gründeten Flüchtlinge und Ausgewiesene 1921 in Frankfurt das „Wissenschaftliche Institut der Elsass-Lothringer im Reich“, das eine enge Bindung zur Universität hatte und bis 1960 bestand.