Die katholische Herz-Jesu-Gemeinde war zwischen 1933 und 1945 schweren Repressionen von Seiten des NS-Regimes ausgesetzt; zwei Pfarrer wurden von der Gestapo verhaftet, einer davon im Rahmen des „NS-Euthanasieprogramms“ ermordet.
Die katholische Herz-Jesu-Gemeinde in Oberrad, 1873 als Missionsstation errichtet und 1900 zur Pfarrei erhoben, zählte in den dreißiger Jahren circa 2.200 Mitglieder. Geistliches Haupt der Gemeinde war seit April 1932 Jakob Bentz. Bis zum Mai 1933 schien es, als sei die Herz-Jesu-Gemeinde von den Auswirkungen des Sieges der Nationalsozialisten auf die katholische Glaubensgemeinschaft nicht betroffen. Doch schon die erste Mai-Prozession der katholischen Gemeinde Oberrads wurde von den Mitgliedern der evangelischen Gemeinde, aufgehetzt durch den protestantischen regimetreuen Pfarrer Probst, gestört. In den folgenden Monaten verloren die katholischen Laienorganisationen des Stadtteils viele Mitglieder an die verschiedenen Gliederungen und Verbände der NSDAP wie HJ, BDM und NSV. Dieser Aderlass an Mitgliedern war aber auch darin begründet, dass den Oberräder Katholiken Nachteile bei der Vergabe von Lehrstellen oder Arbeitsplätzen drohten.
Pfarrer Bentz war in der Gemeinde dafür bekannt, dass er in seine Predigten politische Stellungnahmen einfließen ließ, die ihn als Gegner der Hitler-Bewegung kennzeichneten. Im Juni 1935 äußerte Bentz beispielsweise sein Missfallen über die staatlichen Geldsammlungen für das Winterhilfswerk und den „Eintopfsonntag“. Im gleichen Jahr geriet Bentz in direkten Konflikt mit Staat und Partei, als er zum Tag der Gefallenen des 9. Novembers 1923 die Beflaggung der Kirche mit Hakenkreuzfahnen verweigerte. Bentz wurde wegen des Verstoßes gegen das Reichsflaggengesetz angezeigt und musste sich vor Gericht verantworten. 1936 wurde das Verfahren eingestellt. Doch als sich der Pfarrer im Oktober 1936 lautstark gegen seine politisch begründete Entlassung als Religionslehrer zur Wehr setzte und demonstrativ als Ersatz einen Katechismusunterricht anbot, wurde Bentz während der Fronleichnamsprozession von der Frankfurter Gestapo verhaftet. und wegen „Unzucht mit Minderjährigen“ angeklagt.
Im ganzen Reich wurden 1937 gegen katholische Geistliche Sittlichkeitsprozesse angestrengt, um die Kirche in der Öffentlichkeit in Misskredit zu bringen. Der Prozess gegen Bentz begann am 17. Juli 1937 vor dem Amtsgericht Koblenz. Das Verfahren zog sich über zwei Jahre hin. Am 2. August 1939 wurde Pfarrer Bentz – ganz im Sinne der Anklage – zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt und drei Jahre späger im Frühjahr 1942 als „Schutzhäftling“ der Gestapo in das Konzentrationslager Dachau eingeliefert.
Bald nach seiner Internierung brachte man den Häftling Nummer 29.872 mit dem so genannten „Invalidentransport“ nach Schloss Hartheim bei Linz, das als Vernichtungsanlage im Rahmen der organisierten Krankenmorde genutzt wurde. Hier wurde Pfarrer Bentz am 15. September 1942 durch Gas ermordet. Als Todesursache wurde, wie in diesen Fällen üblich, „Versagen von Herz und Kreislauf bei Hirnschlag“ angegeben.
Nach der Verhaftung von Jakob Bentz blieb die Pfarrei in Oberrad lange Zeit unbesetzt. Am 1. März 1938 übernahm Pfarrer Karl Bernhardt das Amt. Die Zeit von Pfarrer Bernhardt in Oberrad war zunächst durch dessen Kampf gegen die Auflösung der katholischen Strahlenbergschule im Zuge der reichsweiten Umwandlung von Bekenntnis- in Gemeinschaftsschulen geprägt. Trotz massiver Proteste Bernhardts bei Oberbürgermeister Krebs, beim Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung sowie beim Verwaltungsgerichtshof in Wiesbaden wurde die Strahlenbergschule im März 1939 geschlossen und die Kinder in die frühere evangelische Gruneliusschule umgeschult.
Bernhardt setzte sich auch nach Beginn des Zweiten Weltkriegs mutig gegen die zunehmenden Repressionen des Staates gegen seine Gemeinde zur Wehr, ohne jedoch z. B. die Schließung und Übernahme des katholischen Kindergartens durch die NSV, die Auflösung der Gemeindebibliothek oder das Verbot von Fronleichnamsprozessionen verhindern zu können.
Die Wahrnehmung der Repressionen des Staates gegen die katholische Kirche rückte schließlich im Laufe des Krieges in den Hintergrund, denn dessen Auswirkungen wurden durch sich intensivierende Fliegerangriffe auch in Oberrad spürbar. Die ersten Schäden an den Kirchengebäuden entstanden bei einem Luftangriff vom 10. auf den 11. April 1943, als zwei schwere Bomben in deren Nähe explodierten. Vollständig zerstört wurden Pfarrkirche, Pfarr- und angegliedertes Schwesternhaus während des Bombardements vom 4. auf den 5. Oktober 1943. Nach der Räumung des Luftschutzkellers unter dem brennenden Pfarrhaus retteten der Pfarrer und zwei holländische Fremdarbeiter die in dem Keller des Schwesternhauses untergebrachten Alten, Kranken und gehbehinderten Pflegefälle, bargen das „Allerheiligste“ sowie Kirchenchronik, Mess- und Totenbuch aus Kirche und Pfarramt und gaben die erfolglosen Löschversuche auf. Kurz darauf besichtigte eine städtische „Sofortkommission“ zur Feststellung der Schäden die Trümmer der Kirchengebäude. Die Beauftragten der Kommission waren zwar bereit, Material zur Rekonstruktion der Decken der Gebäude bereitzustellen, doch dies nur, wenn „alle Räume den Volksgenossen zu Wohnzwecken zur Verfügung gestellt“ würden. Für „Kultzwecke“ gäben sie jedoch keinen Raum frei.
Am 23. Oktober 1943 musste sich Pfarrer Bernhardt ohne Angabe von Gründen bei der Gestapo Frankfurt melden. Dort wurde er wegen angeblicher defätistischer Äußerungen festgenommen und blieb bis Mitte November 1943 in Haft. Nach Hinterlegung von 3.000 Reichsmark Sicherungsgeld und auf Betreiben des Frankfurter Stadtpfarrers Jakob Herr wurde Bernhardt aus der Haft entlassen, doch nahm er seinen Dienst in der Herz-Jesu-Gemeinde nicht mehr auf, weil die Gestapo mit weiteren Repressalien drohte, falls er zurückkehre. Erst am 21. Januar 1944 übernahm der neue Pfarrer Otto Syre die verwaiste Pfarrstelle in Oberrad. Bis dahin besuchte die wegen Wehrdienst und Evakuierungen stark geschrumpfte Gemeinde die Gottesdienste des nahe gelegenen Jesuitenordens St. Georgen. Syre begleitete die durch den Krieg schwer betroffene Gemeinde bis zum Ende der Kampfhandlungen.
Literatur
Hockerts, H. G., Die Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Ordensangehörige und Priester 1936/37, Mainz 1977.
Hürten, H., Deutsche Katholiken - 1918 bis 1945, Paderborn 1992.
Schatz, K., Die Geschichte des Bistums Limburg, Mainz 1983.
Die katholische Herz-Jesu-Gemeinde war zwischen 1933 und 1945 schweren Repressionen von Seiten des NS-Regimes ausgesetzt; zwei Pfarrer wurden von der Gestapo verhaftet, einer davon im Rahmen des „NS-Euthanasieprogramms“ ermordet.