Die Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main

Gebäude der IHK Frankfurt am Main am Platz der SA (heute: Börsenplatz 4)

Dr. Carl Lüer, Präsident der IHK für das Rhein-Mainische Wirtschaftsgebiet von 1933 bis 1943, Aufnahme um 1940

Die 1808 gegründete Kammer, die seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert immer mehr eine demokratische Verfassung entwickelte, wurde 1933 vom NS-Regime „gleichgeschaltet“. Nach dem Krieg gehörte neben dem wirtschaftlichen Neuanfang die Entnazifizierung zu einer ihrer wichtigsten Aufgaben.

 

Die Handelskammer Frankfurt am Main wurde durch ein Dekret des Fürstprimas Carl von Dalberg vom 27. April 1808 ins Leben gerufen, um Regierung und Magistrat in handelspolitischen Angelegenheiten zu beraten. Orientierte sich ihre Organisation zunächst noch stark an ständischen Vorstellungen, so setzten sich seit dem preußischen Handelskammergesetz von 1870 schrittweise moderne demokratische Strukturen durch. Für die Wahl der 20 Handelskammermitglieder galt seit 1917/19 das gleiche und geheime Wahlrecht. Wahlberechtigt waren alle Geschäftsinhaber und Unternehmen, sofern sie ins Handelsregister eingetragen waren.

 

Am 1./22. Juni 1922 erfolgte der Zusammenschluß mit der Handelskammer Hanau (zu der auch der Bezirk der heutigen IHK Fulda gehörte) zur Industrie- und Handelskammer Frankfurt a.M.-Hanau. Mit der Angliederung des Bezirks der IHK Wetzlar Ende 1930 kehrte man zum alten Namen IHK Frankfurt am Main (mit den Bezirksstellen Hanau, Fulda und Wetzlar) zurück. Kammerpräsident war seit 1921 der Bankier Otto Hauck.

 

 

Die „nationalsozialistische Machtergreifung“ machte den Industrie- und Handelskammern als demokratisch verfassten Vertretungen der regionalen Wirtschaft schnell ein Ende. Am 31. März 1933 trat das elfköpfige Präsidium der IHK Frankfurt am Main, in dem mit Paul Hirsch und Werner Canthal auch zwei jüdische Geschäftsleute saßen, geschlossen zurück. Zunächst übernahmen zwei Mitglieder der NSDAP die kommissarische Leitung der Kammer, bis mit dem „Alten Kämpfer“ Carl Lüer, Geschäftsführer der Ernst-Würfel-Zucker-Fabriken GmbH, ein überzeugter Nationalsozialist, noch 1933, von der Vollversammlung zum Präsidenten gewählt wurde. Von einer „Wahl“ freilich kann man angesichts der massiven Einflußnahme von Gauleiter Sprenger nicht mehr sprechen. Ohnehin galt ab 1934 auch für die Kammern das „Führerprinzip“, wonach dem preußischen Wirtschaftsminister die Ernennung des Präsidenten oblag.

 

Dem geschäftsleitenden Syndikus der IHK Frankfurt am Main, Hans Trumpler, der seit 1905 diese Position bekleidete, wurde ein zweiter, gleichberechtigter Syndikus zur Seite gestellt. Trumpler war mit einer Jüdin verheiratet und deshalb für die neuen Machthaber nicht tragbar. Er schied 1935 als Angestellter der IHK für das Rhein-Mainische Wirtschaftsgebiet, wie sie sich inzwischen nannte, aus, und erhielt einen Beratervertrag. 1940 nutzten er und seine Frau eine Reise in die USA, um sich aus Deutschland abzusetzen.

 

Der Prozess der Gleichschaltung endete schließlich 1942 mit der formellen Auflösung der Industrie- und Handelskammern und Handwerkskammern. Die IHK für das Rhein-Mainische Wirtschaftsgebiet ging, wie auch die Handwerkskammern und die zahlreichen regionalen Wirtschaftsgruppen und -untergruppen, mit Wirkung vom 1. Januar 1943 in der Gauwirtschaftskammer Rhein-Main auf. Damit verschwand der letzte Rest des ursprünglichen Selbstverwaltungsprinzips der Wirtschaft. Die Gauwirtschaftskammern waren zwar ein Bestandteil der Organisation der gewerblichen Wirtschaft, aber ihre Organisation war ausschließlich staatlicher Herkunft, sie entsprang nicht mehr privater Initiative. Zudem sahen sich die Gauwirtschaftskammern als Träger staatlicher Funktionen.

 

Konsequenterweise wurden die Gauwirtschaftskammern von der amerkanischen Militärregierung als nationalsozialistische Institutionen umgehend aufgelöst. In den Aufgabenbereich der Gauwirtschaftskammer Rhein-Main trat bereits Ende April 1945 mit Genehmigung der Militärregierung die wieder gegründete Industrie-, Handels- und Handwerkskammer Frankfurt am Main ein. An ihrer Spitze standen mit Kammerpräsident Alfred Petersen, Vorstandsvorsitzender der Metallgesellschaft AG, und Werner Hilpert, der mehrere Jahre im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert gewesen war, zwei ausgewiesene Gegner des Nationalsozialmus. In Zusammenarbeit mit den kommunalen Behörden, der hessischen Landesregierung und der amerikanischen Militärregierung leistete die Industrie-, Handels- und Handwerkskammer Frankfurt am Main (die seit 1946 als Industrie- und Handelskammer Frankfurt am Main und Handwerkskammer Rhein-Main wieder getrennte Wege gingen) einen wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau. Neben Bewirtschaftungsfragen und der Wiederinbetriebnahme von Industrie- und Handelsunternehmen zählte bis 1947 die Entnazifizierung der Wirtschaft zu ihren wichtigsten Aufgaben.

Die 1808 gegründete Kammer, die seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert immer mehr eine demokratische Verfassung entwickelte, wurde 1933 vom NS-Regime „gleichgeschaltet“. Nach dem Krieg gehörte neben dem wirtschaftlichen Neuanfang die Entnazifizierung zu einer ihrer wichtigsten Aufgaben.



Autor/in: Ulrich Eisenbach
erstellt am 01.01.2003
 

Verwandte Personen

Hilpert, Werner


Lüer, Carl

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