Unter dem Vorwand, „jüdische Greuelpropaganda“ des Auslands abzuwehren, organisiert die NSDAP den Boykott „jüdischer“ Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte.
Am 30. März 1933 fand um 20 Uhr in der Gastwirtschaft "Zum Reichsapfel" eine Besprechung des Kreisleiters der NSDAP mit den Ortsgruppenleitern statt. Gegenstand war die Vorbereitung des Boykotts jüdischer Geschäfte, Rechtsanwälte und Zahnärzte am 1. April. Die Ortsgruppenleiter wurden mit der Einladung zum Treffen angewiesen, Listen zusammenzustellen und zum Treffen mitzubringen.
Am 31. März veranstaltete die NSDAP auf dem Römerberg die vorbereitende Kundgebung. Hauptredner war Roland Freisler, der als Sonderbeauftragter des Preußischen Justizministers nach Frankfurt gekommen war, um die Justiz gleichzuschalten. Seine Rede sollte dem Boykott, der nach geltendem Recht nichts anderes als Rechtsbruch war, Legitimität verleihen. Alibi des Boykotts war die Behauptung, das Judentum des Auslands betreibe Gräuelpropaganda gegen das national erwachte Deutschland. Die Anordnungen des "Zentralkomitees zur Abwehr der jüdischen Greuel- und Boykotthetze", das die reichsweiten Aktionen unter einheitliche Verhaltensregeln stellte, hoben hervor, dass die Aktion gegen alle Juden gerichtet sei und Religionszugehörigkeit keine Rolle spiele. Durch halbfetten Druck hervorgehoben und typografisch in der Bedeutung betont, wiesen sie darauf hin, dass Warenhäuser und Einheitspreisgeschäfte, die sich in deutschem Besitz befänden, nicht betroffen seien. Lezteres war notwendig, weil die nationalsozialistische Propaganda bisher den Eindruck erweckt hatte, große Warenhäuser seien stets in jüdischem Besitz. Die Betonung, dass Religionszugehörigkeit keine Rolle spiele, war offenbar als notwendig erachteter Nachhilfeunterricht in nationalsozialistischem Rassismus. Juden mit fremder Staatsbürgerschaft wiederum waren nachdrücklich vom Boykott ausgenommen, um außenpolitische Verwicklungen zu vermeiden. Jeder Deutsche wurde ausdrücklich vor Gewalttätigkeiten oder Plünderungen gewarnt.
Auch in Frankfurt wurde das doppelseitige Flugblatt des Zentralkomitees und seines Vorsitzenden Julius Streicher verteilt. Unter dem Titel „Juden hetzen gegen Deutschland“ behauptete es, das „Weltjudentum“ hetze gegen die „nationale Revolution“ und fordere zum Boykott deutscher Waren auf, um so die „deutsche Freiheitsbewegung“ zu ruinieren. Tatsächlich hatten vor allem im westeuropäischen Ausland Organisationen der sozialistischen Arbeiterbewegung und sozialistische Parteien Kundgebungen und Demonstrationen gegen den Nationalsozialismus organisiert. In der Darstellung der „Gräuelpropaganda“ des Flugblattes ist der einzige Beleg ein Zitat aus dem Jahre 1897. Alles andere, was unter dem stereotypen Titel „Der Jude lügt(...)“ dargeboten wird, sind Erfindungen des Zentralkomitees. Die Rückseite des Flugblattes erklärt den Boykott am 1. April als Abwehrmaßnahme und fordert die deutschen Volksgenossen und Volksgenossinnen auf, nicht in jüdischen Geschäften und Warenhäusern zu kaufen und jüdische Rechtsanwälte und Ärzte nicht zu konsultieren. Mit allen Mitteln sollte verhindert werden, dass der Boykottag als Aufforderung zum Marodieren und Plündern verstanden wurde. Der im „Frankfurter Volksblatt“ abgedruckte Aufruf des Frankfurter SA-Gruppenführers gab dies trotz des SA-typischen Kampf-Jargons in aller Deutlichkeit zu verstehen.
Am 1. April 1933, einem Samstag, begann der Boykott pünktlich um zehn Uhr. Am gleichen Tag trat der Parteibefehl in Kraft, der Mitgliedern der NSDAP verbot, in jüdischen Geschäften einzukaufen. Die „Frankfurter Zeitung“ berichtet, „die Boykottbewegung gegen die jüdischen Geschäfte ist in Frankfurt, soweit es sich feststellen laßt, völlig ruhig verlaufen. Zu Zwischenfällen ist es nicht gekommen. Die Innenstadt vor allem bot seit den frühen Vormittagsstunden ein verändertes Bild. Die großen Warenhäuser und auch größere Spezialgeschäfte öffneten nicht, sondern ließen Tore und Gitter geschlossen (...) Punkt 10 (Uhr) erschienen dann in den Straßen der Innenstadt, aber auch in den Außenbezirken geschlossene Trupps SA. Die Führer hatten Listen mit den Namen der jüdischen Geschäfte, vor deren Eingängen dann SA-Leute sich aufstellten ... Während all dieser Vorgänge stauten sich vor allem auf der Zeil und in einigen anderen Straßen dichtgedrängte Menschenmassen, ohne jedoch an den Maßnahmen ein besonderes Interesse zu bekunden (...) Bis zu den Mittagsstunden hin flaute aber auch das Gedränge (...) schon wieder merklich ab. Schilder und Plakate wurden an den jüdischen Geschäften nicht angebracht (...) Vereinzelt wurden auch Flugblätter verteilt.“
Beim Rundfunk durften jüdische Angestellte nicht an ihre Arbeitsplätze. In der Universität kontrollierte SA Studentenausweise und durchsuchte die Universität nach Juden und Marxisten. Jüdische Dozenten und Studenten wurden nach Hause geschickt. Der Oberbürgermeister hatte durch die rechtzeitige Beurlaubung jüdischer Beamter und Angestellter für ein am 1. April judenfreies Rathaus gesorgt. Da er zugleich Kreisleiter der Frankfurter NSDAP und höchster örtlicher Nationalsozialist war, ersparte der Oberbürgermeister dem Kreisleiter entsprechende SA-Aktionen am und im Rathaus. Im Vergleich zum April 1932 sank der Umsatz der jüdischen Geschäfte und Warenhäuser im April 1933 um 20 Prozent.
Unter dem Vorwand, „jüdische Greuelpropaganda“ des Auslands abzuwehren, organisiert die NSDAP den Boykott „jüdischer“ Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte.