Die „Gleichschaltung“ der Johann Wolfgang Goethe-Universität

Leo Gans (Mitte), der kaufmännische Direktor Carl Weinberg (links) und Chefchemiker Arthur Weinberg (rechts) bei der Begutachtung von Färbungsproben, Fotografie 1895

Wilhelm Merton (1848–-1916), Fotografie um 1914

Die Zusammenlegung von Großem Rat und Kuratorium und den erzwungenen Rücktritt der „jüdischen“ Stifter und Stiftungen beendet nach weniger als 20 Jahren das Modell der Stiftungsuniversität.

In der Stiftungsuniversität von 1914 sind Großer Rat und Kuratorium die Gremien, in denen Stiftungen und Stifter der Universität vertreten sind. Vorsitzender des Kuratoriums ist von Amts wegen der Frankfurter Oberbürgermeister. Die Stadt ist außerdem durch Mitglieder des Magistrats vertreten. Wohl schon im Februar 1933 hat das Preussische Kultusministerium einen Beamten als Staatskommissar nach Frankfurt geschickt, der in Geheimgesprächen mit dem am 13. März 1933 ernannten nationalsozialistischen Oberbürgermeister sowie nationalsozialistischen und als zuverlässig geltenden Angehörigen der Universität die Gleichschaltung vorbereitet.

Statt der beurlaubten Magistratsmitglieder rücken Nationalsozialisten in das Kuratorium ein. Geschäftsführender Vorsitzender ist seit dem 5. April 1933 der Nationalsozialist August Wisser. Dem Vorschlag, den Großen Rat und das Kuratorium zusammenzulegen und nur noch die großen Stifter im Kuratorium zu belassen, stimmen die Stiftungen am 7. Juli zu. Zahlreiche jüdische Mitglieder fehlen auf dieser letzten Sitzung des Großen Rates. Wahrscheinlich ist „gezielt“ eingeladen worden. Der Große Rat ist abgeschafft, das Kuratorium wird verkleinert. Zur Kosmetik des glatten Rechtsbruchs gehört, dass mit Richard Merton, dessen Vater mit der Familie zur Reformierten Kirche übertrat, und Arthur von Weinberg, der sich als junger Mann taufen ließ, „jüdische“ Stiftungen im entmachteten Kuratorium vertreten sein dürfen. Der 90-jährige Leo Gans legt sein Ehrenamt auf Grund seines hohen Alters nieder. Fortan entscheiden Rektor und Oberbürgermeister. Einflussreich sind der Geschäftsführende Vorsitzende und die Gauleitung. Der Gauleiter beschwert sich 1937, dass immer noch Juden im Kuratorium der Universität Sitz und Stimme hätten. Kurator Adolf Wisser teilt Richard Merton und Arthur von Weinberg mit, sie müssten mit dem Ende ihrer Zugehörigkeit zum Kuratorium zum 1. April 1937 rechnen und empfiehlt „freiwillig“ zu demissionieren. Arthur von Weinberg bittet daraufhin, ausscheiden zu dürfen. Er schreibt, die Gründungsziele der Universität zur Förderung deutscher Wissenschaft seien durch die Fortentwicklung der letzten Jahre sichergestellt.

Richard Merton erinnert in einem längeren Schreiben an den Oberbürgermeister an die Verdienste seines Vaters Wilhelm Merton um die Universität und verweigert ein „freiwilliges“ Ausscheiden. Es ist eine Frage der Ehre, auch nicht den leisesten Anschein zu erwecken, er billige die absehbare Maßnahme. Der Oberbürgermeister hält in einer Aktennotiz fest, mit dem Schreiben Mertons sei dessen Mitgliedschaft im Kuratorium beendet.

Die Zusammenlegung von Großem Rat und Kuratorium und den erzwungenen Rücktritt der „jüdischen“ Stifter und Stiftungen beendet nach weniger als 20 Jahren das Modell der Stiftungsuniversität.



Autor/in: Janine Burnicki/ Jürgen Steen
erstellt am 01.01.2003
 

Verwandte Personen

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