Die Frankfurter Bezirksstelle der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland

Nachdem 1938 die jüdische Gemeinde ihren Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts verloren hatte, wurden organisatorische Aufgaben auf die Bezirksstelle der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ übertragen, die der Gestapo unterstellt war und ihr bei Erfassung, Ausplünderung und Verschleppung der Juden dienen musste. Mit dem Ende jüdischen Lebens in Frankfurt nach den großen Deportationen endete 1942 auch die Funktion der Bezirksstelle.

 

„Die Abwicklungstätigkeit der Bezirksstelle Hessen-Nassau wurde im Hermesweg mit sehr wenig Enthusiasmus betrieben. Erstens war die Tätigkeit selbst sehr deprimierend und emotional zerstörend. […] Die verbliebenen Gemeindebearbeiter waren sich vollkommen bewußt, daß ihr eigenes weiteres Verbleiben in Frankfurt engstens mit der dort vorhandenen Arbeit verbunden war. Die Versuchung lag nahe, nachts die am Tage geleistete Arbeit zu zerstören.“ (Charlotte Opfermann, 1999)

 

Die in Frankfurt angesiedelten Bezirksstellen der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ dienen der Geheimen Staatspolizei zwangsweise als Helfer bei der Erfassung, Ausplünderung und Deportation der Frankfurter Juden. Sie haben faktisch die Jüdische Gemeinde Frankfurt „abzuwickeln“, die zum 1. Januar 1938 ihren Status als Körperschaft öffentlichen Rechts verloren hat, und sämtliche Vereinigungen (Vereine, Stiftungen und Körperschaften), die zeitgleich aufgelöst werden müssen. Zudem übernimmt sie die Aufgaben der Jüdischen Wohlfahrtspflege und muss zahlreiche Verordnungen der Gestapo umsetzen, etwa bei der Spinnstoffsammlung. Auch den Abschluss der Heimeinkaufverträge müssen sie verwalten. Schon die im Februar 1939 ins Leben gerufene „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ überträgt Aufgaben „lokaler oder bezirklicher Natur“ den örtlichen Gemeinden oder so genannten Bezirksstellen. Gemäß der Satzung der Reichsvereinigung vom 7. Juli 1939 kann der Vorstand der Reichsvereinigung Aufgaben für den Bezirk mehrerer Kultusvereinigungen bei einer Bezirksstelle zusammenfassen. In kleinen Orten kann ein Vertrauensmann bestellt werden. Auch Kultusgemeinden können als Zweigstellen fungieren, wie das in Frankfurt der Fall ist. Sie sind jeweils an die Weisungen des Vorstands gebunden. In Frankfurt am Main sind die Zweigstelle Hessen-Nassau und die hiesige Jüdische Gemeinde als „Zweigstelle Frankfurt a. M.“ tätig. Anfang 1940 zeichnet diese Zweigstelle mit Büro in der Friedrichstraße 29 für die Stadt Frankfurt und die Bezirksstelle Hessen-Nassau, Unterlindau 20-21, für den Regierungsbezirk Wiesbaden mit Ausnahme der Jüdischen Gemeinde Frankfurt sowie vom Regierungsbezirk Kassel für die Landkreise Fulda, Gelnhausen, Frankenberg, Hanau, Hersfeld, Hünfeld, Marburg/L., Schlüchtern und Ziegenhain/Schwalm verantwortlich. Am 1. Mai 1941 betreut die Zweigstelle Frankfurt a. M. 13.927 Personen. Am 31. Mai 1941 ist sie noch für 11.045 Menschen verantwortlich. Die Reichsvereinigung führt eine Kartei mit 62.000 Karten über die in ihrem Bezirk lebenden Juden, aus der sie der Geheimen Staatspolizei und anderen Behörden Auskunft erteilen muss. Sie dient unter anderem dazu, die Deportationslisten zusammenzustellen. Bis Ende 1942 sind darin nur die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde beziehungsweise der Reichsvereinigung aufgenommen. Die Bezirksstelle Hessen/Hessen-Nassau nimmt jedoch alle „Rasse-, Geltungs- und Glaubensjuden“ in die Registratur auf. Die zuletzt in der Bezirksstelle im Hermesweg 5-7 gelagerte Kartei wird 1944 durch Kriegseinwirkung vernichtet.

 

Nach der Deportation eines Großteils der im Rhein-Main-Gebiet lebenden Juden werden Mitte 1942 die jüdischen Wohlfahrtseinrichtungen in Frankfurt wie Jugend- und Altersheime oder das Krankenhaus aufgelöst. Damit entfällt auch für eine aufgegliederte örtliche Verwaltung der Reichsvereinigung die Existenzgrundlage. Bis auf den Leiter der Bezirksstelle Hessen-Nassau, die am 1. September 1942 noch elf Mitarbeiter hat, sind alle übrigen Beschäftigten im September 1942 „abgewandert“, das heißt in Lager verschleppt worden.

 

 

Nachlassverwalter des Vermögens der Jüdischen Gemeinde
Die Reichsvereinigung muss viele Liegenschaften der Jüdischen Gemeinde und Wohlfahrtspflege an die Stadt Frankfurt verkaufen. So schließt sie im November 1942 – „gehalten … ihren Grundbesitz in kürzester Zeit zu liquidieren“ – einen Kaufvertrag über die Immobilien der Israelitischen Versorgungsanstalt (Röderbergweg 77), der Israelitischen Waisenanstalt (Röderbergweg 87), des Ärztehauses des Rothschild’schen Krankenhauses (Röderbergweg 93), die Rothschild’sche Stiftung für erkrankte fremde Israeliten (Röderbergweg 97), das Rothschild’sche Kinderhospital (Röderbergweg 109) samt Garten an der Habsburger Allee, das Rothschild’sche Stammhaus, wo bis zum November-Pogrom das Museum Jüdischer Altertümer untergebracht war (Großer Wollgraben 26), sowie die Jüdischen Friedhöfe in Rödelheim, Heddernheim und Niederursel. Anfang 1943 folgen der Verkauf der Liegenschaften Ostendstraße 18, Uhlandstraße 46, Rückertstraße 53 und Hermesweg 5-7 an die Kommune, wobei die Reichsvereinigung die Gebäude Hermesweg 5-7 und Ostendstraße 18 weiter nutzen kann. Der Verkauf dient laut Magistratsvorlage zur „weiteren Sicherung dringlichen Raumbedarfs der Stadt“. Die Verwertung der Einrichtung übernehmen Gerichtsvollzieher. Das Grundstück Zeil 92 kann die Stadt allerdings nicht zum anvisierten Kaufpreis von 200.000 Reichsmark erwerben, da der Chef der Sicherheitspolizei und des SD im April 1942 einwendet „allein der Grund und Boden ist durch ein dortiges Gutachten auf RM 284.400,-- geschätzt“. Er weist die Reichsvereinigung zu neuen Verhandlungen auf Grundlage des Einheitswertes von 300.000 Reichsmark an. Weitere Veräußerungen folgen.

 

Umstrukturierung nach den Massendeportationen und Beschlagnahme des Restvermögens
Zum 1. Januar 1943 werden die Verwaltungsstellen der Jüdischen Gemeinde Frankfurt (Gemeindeverwaltung Friedrichstraße 29 und Wohlfahrtspflege Seilerstraße 8) und die Bezirksstellen Hessen und Hessen-Nassau zur Bezirksstelle Hessen/Hessen-Nassau vereinigt. Sie nimmt ihren Sitz in einer 1887 eingeweihten Synagoge und der vormaligen Israelitischen Religionsschule im Hermesweg 5-7. Die Bezirksstelle Hessen/Hessen-Nassau ist für das Land Hessen sowie die preußische Provinz Hessen-Nassau, also auch für Frankfurt, zuständig. Am 31. März 1943 sind dort noch 1.339 Personen erfasst. Als Leiter muss Louis Lerner fungieren. Zugleich dienen die Gebäude im Hermesweg bis Oktober 1943 als Sammellager vor der Deportation, welches wie die Bezirksstelle selbst und ihr Etat der Aufsicht des städtischen Inspektors und „Beauftragten der Gestapo bei der jüdischen Wohlfahrtspflege“ Ernst Holland untersteht. Die letzten Mitarbeiter der Bezirksstelle werden am 16. Juni 1943 in das Durchgangs- und Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt und die Behörde aufgelöst.

 

Seitdem befindet sich im Hermesweg die „Restvereinigung der jüdischen Mischehepartner Bezirksstelle Frankfurt am Main“ (später „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“), geleitet vom durch die Gestapo als „Vertrauensmann“ bestimmten Rechtsanwalt Max L. Cahn. Sie zahlt unter anderem die Unterstützung der Reichsvereinigung an die jüdischen Partner einer nach nationalsozialistischen Gesichtspunkten als „Mischehe“ geltenden Verbindung.

 

Die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Frankfurt am Main, beschlagnahmt durch Verfügung vom 10. Juni 1943 auf der Grundlage der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 das gesamte Vermögen der Bezirksstelle Hessen/Hessen-Nassau der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland. Die Verwaltung des Gesamtvermögens übernimmt das Finanzamt Frankfurt-Außenbezirk.

 

 

Literatur::

Hans G. Adler, Der verwaltete Mensch. Studien zur Deportation der Juden aus Deutschland, Tübingen 1974.

Avraham Barkai, Im Schatten der Verfolgung und Vernichtung. Leo Baeck in den Jahren des NS-Regimes, in: Georg Heuberger/Fritz Backhaus (Hg.), Leo Baeck. 1873-1956. Aus dem Stamme von Rabbinern, Frankfurt am Main 2001, S. 77-102.

Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden (Hg.), Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933-1945. Frankfurt am Main 1963.

Charlotte Opfermann, „Im Hermesweg“. Zur Tätigkeit in der Bezirksstelle der Reichsvereinigung in Frankfurt am Main von November 1942 bis Juni 1943 – ein Zeitzeugenbericht, in: Monica Kingreen (Hg.), „Nach der Kristallnacht“. Jüdisches Leben und antijüdische Politik in Frankfurt am Main 1938-1945, Frankfurt am main/New York 1999, S. 403-413 .

Reichsvertretung der deutschen Juden, in: Eberhard Jäckel/Peter Longerich/Julius H. Schoeps, Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden. Bd. 2, Berlin 1993, S. 1212-1215.

Jutta Zwilling, Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, in: Susanne Meinl/Jutta Zwilling, Legalisierter Raub. Die Ausplünderung der Juden im Nationalsozialismus durch die Reichsfinanzverwaltung in Hessen, Frankfurt/New York 2004, S. 463-469.

Nachdem 1938 die jüdische Gemeinde ihren Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts verloren hatte, wurden organisatorische Aufgaben auf die Bezirksstelle der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ übertragen, die der Gestapo unterstellt war und ihr bei Erfassung, Ausplünderung und Verschleppung der Juden dienen musste. Mit dem Ende jüdischen Lebens in Frankfurt nach den großen Deportationen endete 1942 auch die Funktion der Bezirksstelle.



Autor/in: Heike Drummer / Jutta Zwilling
erstellt am 01.01.2010
 

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