Die Ernährungssituation in Frankfurt vor Beginn des Zweiten Weltkrieges

Einladung des XVIII. Armeekorps vom 15. November 1916 zu einer Besprechung über die Ernährungslage. Die Einladung wurde nicht zu den normalen Geschäftsgängen sondern in den geheimen „Acta secreta“ genommen.

Die Tagesordnung der geheimen Besprechung vom 21. November 1916 dokumentiert die Notwendigkeit einer verbindlichen Regelung für die Verteilung vorhandener Lebensmittel. Die handschriftlichen Bearbeitungsvermerke lassen eine regelrechte „Verteilungsschlacht“ um Kartoffeln und Steckrüben erkennen. Der Vertreter der Stadt Frankfurt meldete den Bedarf von 300.000 Zentner Rüben an. Der Winter 1916/17 ist als „Steckrübenwinter“ in die Geschichte eingegangen.

Zwischen den beiden Weltkriegen stand es um die Ernähungslage der Frankfurter Bevölkerung schlecht. Nur in den wenigen Jahren zwischen 1924 und 1929 und 1936 und 1939 hatte sich die Lage normalisiert.

Das Vierteljahrhundert vor Beginn des Zweiten Weltkrieges war eine politisch und wirtschaftlich unruhige und insgesamt krisenhafte Zeit. Ein Weltkrieg, revolutionäre Wirren und die Weltwirtschaftskrise bedrohten große Teile der Bevölkerung existenziell und schufen ein Klima der Verunsicherung. Für die Frankfurter Zivilbevölkerung war das Leben unter den Bedingungen des Weltkriegs früh mit Einschränkungen und Entbehrungen verbunden. Die unzureichende Vorbereitung und Planung der Lebensmittelversorgung seitens der Behörden wurde im „Steckrübenwinter“ 1916/17 überdeutlich.

Das Ende der Kriegshandlungen bedeutete aber nicht das Ende der Versorgungsmisere: Das im Juni 1916 eingerichtete städtische Lebensmittelamt sah sich vor die schwierige Aufgabe gestellt, die während des Krieges eingeführte Rationierung und Zuteilung von Lebensmitteln trotz mangelnder Vorräte und beeinträchtigter Infrastruktur zu gewährleisten – und dies für eine durch Kriegsheimkehrer angewachsene Bevölkerung. Fehlende Transportmittel und die Einrichtung von Besatzungszonen schnitten Frankfurt von wichtigen Zulieferungsgebieten für Gemüse, Milch und Zucker ab; hinzu kamen jahreszeitlich bedingte Lagerungs- und Lieferschwierigkeiten.

Da in den ersten Wochen nach Kriegsende die offiziellen Rationen mehr und mehr beschnitten wurden, blühte vor allem auf dem Börneplatz der Schwarzhandel. An den Rationierungsbehörden vorbeigeschleuste „Schleichwaren“ wurden auch in zahlreichen „wilden“, d.h. nicht offiziell angemeldeten Lebensmittelgeschäften verkauft. Diese offensichtlichen Missstände, denen die Polizei wegen der Gefahr eines Volksaufstandes nur zurückhaltend entgegentrat, wie auch die Vermutung, dass es den finanziell besser gestellten Kreisen aufgrund größerer Kaufkraft möglich sei, auf mehr bzw. höherwertige Lebensmittel zuzugreifen, heizte die Stimmung in der Bevölkerung im Winter 1918/19 an. Die Senkung von Lebensmittelrationen, politische Wirren und die vorübergehende französische Besetzung Frankfurts, die kurzzeitig zu zusätzlichen Versorgungsengpässen führten, lösten 1919 und 1920 teils bewaffnete und von massiven Ausschreitungen begleitete Protestkundgebungen aus, die mehrere Menschenleben forderten. Die wöchentliche Brotration betrug zu diesem Zeitpunkt 1.800 Gramm, die Fleischration war zwar auf 300 Gramm festgesetzt worden, konnte aber nur mit Mengen zwischen 100 und 150 Gramm ausgegeben werden.

Bis zum Spätsommer 1922 beruhigte und stabilisierte sich die Situation. Die Normalisierung des Wirtschaftslebens und die Eingliederung der Kriegsheimkehrer in den Arbeitsmarkt führten zu einem Rückgang der Erwerbslosigkeit. Das Warenangebot verbesserte sich, und die allgemeine Kaufkraft nahm zu. In der Folgezeit machte sich allerdings die fortschreitende Geldentwertung, die durch die Ruhrbesetzung im Frühjahr 1923 noch beschleunigt wurde, nicht nur in Frankfurt bemerkbar. Es kam zu Betriebsschließungen und Massenentlassungen. Im Sommer und Herbst 1923 schnellte die Zahl derer, die nicht mehr in Lohn und Brot waren, dramatisch in die Höhe. Waren im Juni 1922 nur etwa 1.700 Erwerbslose von der städtischen Wohlfahrtspflege unterstützt worden, so stieg ihre Zahl bis zum Dezember 1923 auf rund 22.670, zu denen noch 13.000 Empfänger von Kurzarbeiterunterstützung kamen. Parallel dazu explodierten mit der Hyperinflation die Preise. Was am Tag der Lohnzahlung vielleicht noch zu bezahlen war, war wenige Tage später schon unerschwinglich. Auch die Reichssätze für Erwerbslosenunterstützung erwiesen sich nunmehr als nicht ausreichend, so dass die Stadt Unterstützung in Naturalien leisten musste. Versuche, die Arbeitslosigkeit über so genannte Notstandsarbeiten (gemeinnützige Arbeiten) abzufedern, konnten nur für einen geringen Teil der Arbeitslosen Abhilfe schaffen. Es kam fast täglich zu Menschenansammlungen vor dem Arbeitsamt; die Plünderung von Lebensmitteltransporten gehörte zum Alltag. Immer wieder waren bei Zusammenstößen von Polizei und Demonstranten Tote und Verletzte zu beklagen.

Mit Beginn des Jahres 1924 kehrte nach Einführung der Rentenmark eine gewisse Normalisierung ein, die nicht zuletzt in der Auflösung der letzten noch bestehenden kriegswirtschaftlichen Einrichtungen (Versorgungsämter) sichtbar wurde, wobei die ersten Monate allerdings immer noch von einer hohen Arbeitslosigkeit gekennzeichnet waren. Die um rund 30 Prozent unter Friedensniveau liegenden Löhne reichten nicht aus, um die um ein Viertel hochgeschnellten Preise für Lebensmittel zu bezahlen. Die Geldentwertung hatte darüber hinaus langfristige Folgen für alle diejenigen, die ihren Lebensunterhalt aus Staatsanleihen und Renten bezogen. Das Vermögen der großen Frankfurter Stiftungen, die einen nicht unbeträchtlichen Teil der Fürsorgeleistungen finanzierten, war auf etwa ein Zehntel des vormaligen Wertes zusammengeschrumpft. Zahlreiche Frankfurter Mittelständler wurden weitgehend mittellos und waren zukünftig auf die kommunale Wohltätigkeit angewiesen. 1927/28, also zu Zeiten der größten wirtschaftlichen Prosperität konnte eine vierköpfige Arbeiterfamilie monatlich im Durchschnitt konsumieren:

 

LebensmittelVerbrauchte Menge in kg bzw. l
Brot und Backwaren27,90
Nährmittel, Hülsenfrüchte, Reis, Mehl5,70
Gemüse und Gemüsekonserven9,80
Obst und Obstkonserven6,30
Sirup, Kunsthonig, Bienenhonig0,10
Zucker3,90
Schokolade, Kakao, Süßwaren0,40
Kartoffeln41,60
Pflanzliche Öle und Fette0,50
Kaffee- und Tee-Ersatz0,90
Magermilch, Buttermilch0,70
Vollmilch35,00
Butter1,30
Tierische Fette (außer Butter)3,60
Eier (Stück)34,00
Fleisch- und Fleischwaren11,10
Käse1,10
Fische1,80



 

 











Dem 1924 einsetzenden Aufschwung war aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Ereignisse nur ein kurzes Leben beschieden. Die Weltwirtschaftskrise von 1929 ließ die Arbeitslosigkeit ein bislang nicht gekanntes Ausmaß erreichen: Zu Beginn der 1930er Jahre lag die Zahl der Arbeitslosen in Frankfurt bei 70.000; beinahe die Hälfte davon war „ausgesteuert“, d.h. musste von der Wohlfahrtshilfe ihre und die Existenz der Angehörigen bestreiten. Der Lebensstandard dieser Menschen bewegte sich auf denkbar geringem Niveau, und eine Verbesserung der Lage war nicht abzusehen. Wut und Existenzängste mischten sich auf der Straße mit Zustimmungsbekundungen zu extremen politischen Programmen. Unter dem NS-Regime verbesserte sich in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre die Lage eines Großteils der „arischen“ Bevölkerung. Die Arbeitslosigkeit wurde zurückgedrängt, und den Verbrauchern stand ein reichhaltigeres Warenangebot zur Verfügung.

 

 

Literatur::

Hans Drüner, Im Schatten des Weltkriegs. Zehn Jahre Frankfurter Geschichte, Frankfurt am Main 1934

Zwischen den beiden Weltkriegen stand es um die Ernähungslage der Frankfurter Bevölkerung schlecht. Nur in den wenigen Jahren zwischen 1924 und 1929 und 1936 und 1939 hatte sich die Lage normalisiert.



Autor/in: Jutta Heibel
erstellt am 01.01.2008
 
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