Tilly Fleischer – Frankfurter Leichtathletik-Ikone und Olympiasiegerin von 1936

Tilly Fleischer (rechts) als 5-Kampfsiegerin in den dreißiger Jahren

Rückkehr aus Los Angeles: Tilly Fleischer gewann 1932 bei den Olympischen Spielen die Bronzemedaille im Speerwerfen. Familie und Freunde bereiten ihr im Frankfurter Hauptbahnhof einen freudigen Emfpang.

Die Frankfurter Ausnahmeathletin Tilly Fleischer errang bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin die erste Goldmedaille für Deutschland.

Die Goldmedaillengewinnerin im Speerwerfen von 1936, Tilly Fleischer, gilt bis heute als die erfolgreichste Leichtathletin in der Frankfurter Sportgeschichte. Dabei wäre das Talent der am 2. Oktober 1911 in der Frankfurter Schäfergasse geborenen Metzgertochter beinahe unentdeckt geblieben. Der legendäre Leichtathletiktrainer der Sportgemeinde Eintracht, Otto Boer, wollte 1927 die sportbegeisterte Tilly mit einigen anderen Mädchen wieder nach Hause schicken, weil sie seiner Meinung nach noch zu jung waren – einer der wenigen Irrtümer des Erfinders des „Frankfurter Wechsels“ (Bis 1925 hatte jeder Läufer das Staffelholz mit der einen Hand angenommen und der anderen weitergereicht. Beim „Frankfurter Wechsel“ blieb der Stab bei Übernahme und Weitergabe in ein und derselben Hand). Boer hatte jedoch nicht mit der starken Persönlichkeit von Tilly Fleischer gerechnet, die eine Genehmigung erwirkte, dass die Mädchengruppe am Training teilnehmen durfte und dass sich bei der Eintracht eine Frauenabteilung gründen konnte.

Bald stellten sich bei dem Multitalent die ersten Erfolge ein. Außer in ihrer Paradedisziplin, dem Speerwerfen, glänzte Fleischer im Kugelstoßen und im Diskuswerfen. Mit der 4x100-Meter-Staffel wurde sie zweimal Deutsche Meisterin, auch mit dem Handballteam der Eintracht kam sie auf nationaler Ebene zu Meisterehren und obendrein wusste Fleischer sehr gut mit dem Racket umzugehen. Als Zwanzigjährige nahm die Frankfurterin 1932 an den Olympischen Spielen von Los Angeles teil, wo sie die Bronzemedaille im Speerwerfen holte und im Diskuswerfen den vierten Platz belegte. In den darauf folgenden vier Jahren bis zur nächsten Olympiade behauptete Fleischer ihre Spitzenposition und errang insgesamt fünf deutsche Meistertitel und nahm an fünf Leichtathletik-Länderkämpfen teil.

Zu einer Persönlichkeit der Zeitgeschichte wurde Tilly Fleischer durch den Gewinn der ersten Goldmedaille für Deutschland in einem leichtathletischen Wettbewerb bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin. Nach dem ersten Durchgang der am 2. August 1936 im Olympiastadion auf dem Reichssportfeld ausgetragenen Speerwurf-Konkurrenz lag Fleischer mit einer Weite von deutlich unter vierzig Metern noch auf einem enttäuschenden Platz im Mittelfeld. Doch dann legte die Frankfurterin ihre ganze Kraft in den zweiten Versuch und schleuderte den Speer auf die neue olympische Rekordmarke von 44,62 Metern. An den weiteren Verlauf des Wettkampfs erinnerte sich die 1948 ins badische Lahr übergesiedelte Eintrachtlerin zeitlebens sehr genau: „Nach dem zweiten Durchgang lag ich schon an erster Stelle, das beruhigte mich“, so die Ausnahmeathletin, die 1936 zwar deutsche Meisterin, aber keineswegs Favoritin gewesen war. „Dann kam im fünften Versuch die Verbesserung auf 45,18 Meter, und im sechsten Versuch war ich die Letzte, und 100.000 Zuschauer jubelten derart, dass ich nicht mehr richtig werfen konnte. Es stand ja fest, dass ich Gold gewonnen hatte.“

Die nationalsozialistische Führung nutzte die XI. Olympischen Spiele von Berlin als Propagandaveranstaltung für das „Dritte Reich“. Reichskanzler Adolf Hitler sah in den Spielen eine gute Gelegenheit, Deutschland aus der außenpolitischen Isolation herauszuführen. Die sportlichen Erfolge der deutschen Teilnehmer bekamen dadurch auch eine politische Dimension. Der Speerwurf-Wettkampf der Frauen eröffnete mit der ersten Gold- und der ersten Silbermedaille durch Tilly Fleischer und die Dresdnerin Luise Krüger einen wahren Medaillenregen für die deutsche Mannschaft. Am Ende der Olympischen Spiele sollte das Gastgeberland mit 89 Medaillen den ersten Platz in der Nationenwertung belegen.

Der in Frankfurt erscheinende „Generalanzeiger“ schilderte in der Ausgabe vom 3. August 1936 in einem „Tilly Fleischers Triumph“ überschriebenen Bericht den Verlauf der Siegerehrung: „Während langsam die Fahnen Deutschlands und Polens an den drei Olympia-Masten hochstiegen, das feierliche ‚Protocollaire Olympique‘ von statten ging, Hunderttausend stehend und entblößten Hauptes die deutschen Nationalhymnen anstimmten – da wurde uns allen erst so recht klar, welch einen großen Dienst unsere tapfere Kämpferin Tilly Fleischer allen noch im Kampfe stehenden deutschen Athleten geleistet hat. Glückstrahlend sahen wir sie, vom Reichssportführer geleitet, in die Loge des Führers treten, der die Siegerinnen zu sich befohlen hatte, um sie zu beglückwünschen. Wird Tilly es je vergessen, daß ihr der Kanzler anerkennend die Hand auf die Schulter legte, daß Ministerpräsident Göring sie in herzlicher Freude in die Wangen kniff?“ Ein von Hitler bei der Siegerehrung überreichtes Eichenbäumchen setzte Fleischer im Oktober 1938 am Haupteingang des Frankfurter Stadions ein. Für die inzwischen morsche, vom Forstamt gefällte Original-Eiche pflanzte die 87-jährige Tilly Fleischer am 26. November 1998 an der gleichen Stelle eigenhändig einen jungen Eichenbaum.

Die Frankfurter Ausnahmeathletin Tilly Fleischer errang bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin die erste Goldmedaille für Deutschland.



Autor/in: Thomas Bauer
erstellt am 01.01.2005
 

Verwandte Personen

Fleischer, Tilly

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Olympische Spiele

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