Die „Säuberung“ der Medizinischen Fakultät der Universität

Albrecht Bethe, Fotografie um 1914

Hans Bluntschli, Fotografie um 1914

Oskar Gans, Fotografie um 1930

Anzeige des entlassenen Privatdozenten Franz Hermann im „Israelitischen Gemeindeblatt“

Werner Lipschitz, Fotografie um 1930

Anzeige des entlassenen Privatdozenten Hans Strauss im „Israelitischen Gemeindeblatt“

Aus dem Lehrkörper der Medizinischen Fakultät wurden 46 Dozenten (1930: 93 Stellen) entlassen.

Am 28. April 1933 teilte der Dekan der Medizinischen Fakultät dem Ordentlichen Professor für Anatomie, Hans Bluntschli, und zahlreichen anderen Mitgliedern der Fakultät mit: „Der geschäftsführende Vorsitzende des Kuratoriums hat mich als Dekan der Medizinischen Fakultät beauftragt, einzelnen von ihm bezeichneten Mitgliedern der Fakultät, darunter auch Ihnen, den Rat nahezulegen, in Anbetracht der gegenwärtigen Einstellung der Studentenschaft auf Abhaltung der von ihnen angekündigten Vorlesungen und auf den Anschlag am Schwarzen Brett verzichten zu wollen.“ Ob bewusst oder naiv unterstützte der Dekan die sich anbahnende Säuberung der Fakultät. Der Schweizer Staatsbürger Bluntschli bot Angriffsflächen, weil er aus seinen demokratischen Überzeugungen keinen Hehl machte. Ihm wurde bedeutet, die NSDAP habe Material gegen ihn gesammelt. Bluntschli verliess noch im Jahre 1933 Deutschland.

Im Klartext hieß die Empfehlung des Dekans, dass vor allem jüdische Dozenten, die von ihrem Recht auf Lehre Gebrauch machten, an möglichen Störungen ihrer Vorlesungen selbst Schuld seien. Nicht betroffen war Julius Strasburger, der Leiter der Poliklinik und des Instituts für Physikalische Therapie. Er erfuhr jedoch im Mai 1934, dass er einen jüdischen Großvater hätte, was in der Tradition der Familie völlig in Vergessenheit geraten war. Treibende Kraft war der Bad Homburger Bäderarzt Heinrich Lampert, der das Institut für Physikalische Therapie übernehmen wollte. Bei der recht langen Suche nach „Belastendem“ war er schließlich fündig geworden.

 

Der Pharmakologe Werner Lipschitz wurde von seinem Schüler und Assistenten Hans Girndt, der die Leitung des Instituts übernehmen wollte, denunziert, unter anderem mit der Behauptung, Lipschitz habe Hitler beleidigt. Da Lipschitz im Ersten Weltkrieg Frontsoldat gewesen war, war er durch den Frontkämpferparagrafen geschützt. Die Denunziationen, die der Kurator August Wisser als glaubwürdig einstufte, führten zu seiner Entlassung. Girndt wurde mit der Vertretung der Institutsleitung und der Lehrtätigkeit beauftragt.

Franz Volhard wurde 1938 zwangspensioniert. Die Anschuldigungen, er habe früher einmal ein Zirkular gegen den Antisemitismus unterschrieben, einer seiner Söhne habe eine Jüdin geheiratet und er sei für jüdische Kollegen eingetreten, wurden für den Zweck gezielt zusammengetragen.

Oskar Gans widmete sich in der Emigration, unter anderem durch die IG Farben unterstützt, der Lepraforschung. 1949 kehrte er auf seinen Lehrstuhl zurück. Als Dekan und Rektor engagierte er sich im Wiederaufbau des Klinikums. Albrecht Bethes Hauptarbeitsgebiet, die Überbrückung großer Nervendefekte, betraf eine der Folgen des Ersten Weltkriegs: die verheerende Zahl von Invaliden mit gravierenden Beschädigungen des Nervensystems. 1937 gehörte er zu jenen emeriti, die aus dem Vorlesungsverzeichnis gestrichen wurden, weil sie die Alternative, die Scheidung von der als „Jüdin“ verfolgten Ehefrau, ablehnten. Jüngere Ärzte suchten über die Gründung einer privaten Praxis ihren Lebensunterhalt zu sichern.

 

Weiterführende Hinweise::

 

Vertriebene Dozenten der Medizinischen Fakultät der Johann Wolfgang Goethe-Universität:

 

Karl Altmann, Ludwig Ascher, Julius Baer, Ludwig Benda, Joseph Berberich, Albrecht Bethe, Hans Bluntschli, Hugo Braun, Karl Eduard Cahn-Bronner, Georg Ludwig Dreyfus, Gustav Embden; Erich Feiler, Ernst Fischer, Oskar Gans, Edgar Goldschmid, Franz Groedel, Paul Grosser, Wilhelm Hanauer, Franz Herrmann, Karl Herxheimer, Ernst Herz, Josef Igersheimer, Simon Isaac, Richard Koch, Fritz Laquer, Walter Lehmann, Werner Lipschitz, Karl Ludloff, Heinrich von Mettenheim, Ernst Ludwig Metzger, Ernst Nathan, Max Neisser, Walther Riese, Gerhard Schmidt, Philipp Schwartz, Walter Veit Simon, Ernst Simonsohn, Paul Spiro, Julius Strasburger, Hans Strauss, Joseph Tannenberg, Marcel Traugott, Franz Volhard, Raphael Weichbrodt, Alfred Weil

 

Literatur

 

Epple, Moritz/Fried, Johannes/Gross, Raphael/Gudian, Janus (Hrsg.), "Politisierung der Wissenschaft": Jüdische Wissenschaftler und ihre Gegner an der Universität Frankfurt vor und nach 1933, Wallstein-Verlag, Göttingen 2016

Heuer, Renate (Hrsg.), Die Juden der Frankfurter Universität, Campus-Verlag, Frankfurt am Main/New York 1997

Kobes, Jörn (Hrsg.), Frankfurter Wissenschaftler zwischen 1933 und 1945, Wallstein-Verlag, Göttingen 2008

Aus dem Lehrkörper der Medizinischen Fakultät wurden 46 Dozenten (1930: 93 Stellen) entlassen.



Autor/in: Jürgen Steen
erstellt am 01.01.2003
 

Verwandte Personen

Altmann, Karl


Ascher, Ludwig


Baer, Julius


Benda, Ludwig


Berberich, Joseph


Bethe, Albrecht


Bluntschli, Hans


Braun, Hugo


Cahn-Bronner, Karl


Dreyfus, Georg


Embden, Gustav


Feiler, Erich


Fischer, Ernst


Gans, Oskar


Goldschmid, Edgar


Groedel, Franz


Grosser, Paul


Hanauer, Wilhelm


Herrmann, Franz


Herxheimer, Karl


Herz, Ernst


Igersheimer, Josef


Isaac, Simon


Koch, Richard


Laquer, Fritz


Lehmann, Walter


Lipschitz, Werner


Ludloff, Karl


Metzger, Ernst


Nathan, Ernst


Neisser, Max


Riese, Walther


Schmidt, Gerhard


Schwartz, Philipp


Simon, Walter


Simonsohn, Ernst


Spiro, Paul


Strasburger, Julius


Strauss, Hans


Tannenberg, Joseph


Traugott, Marcel


Volhard, Franz


von Mettenheim, Heinrich


Weichbrodt, Raphael


Weil, Alfred

Verwandte Begriffe

Antisemitismus


Assistent


Dekan


Emeriti


Frontkämpferparagraf


Jüdin


jüdisch


Kuratorium


NSDAP


Professor


Säuberung

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