Die Zerstörung des Rosenecks

Im Roseneck um 1938, Collage zweier zeitgenössischer Fotografien

Das am 18. März 1944 zerstörte und brennende Roseneck, zeitgenössische Fotografie

Das am 18. März 1944 zerstörte und brennende Roseneck, zeitgenössische Fotografie

Blick vom Domturm auf das zerstörte und ausgebrannte Roseneck nach dem 18. März 1944, zeitgenössische Fotografie

Eine Familie entgeht dem sicheren Tod, weil sie die Einladung zu einem Essen nicht annimmt.

 

Für den Nachmittag des 18. März 1944 lud der Wirt der „Altdeutschen Bierstube“ im Roseneck zu Rehbraten und Rotwein. Die ebenfalls eingeladene Familie Faust, die hinter dem Dom am Garküchenplatz wohnte, folgte der Einladung nicht, obwohl ein geradezu fürstliches Essen auf sie wartete. Als um 21.13 Uhr die Sirenen heulten, suchte sie den Luftschutzkeller ihres Hauses auf.

Dumpf krachende Explosionen kamen lauter werdend näher. Die Menschen spürten die Gefahr und flüchteten in einen kleinen Nebenkeller, der ihnen wegen des Gewölbes sicherer erschien. Dann erfolgte ein fürchterlicher Schlag. Volltreffer! Völlige Finsternis. Der Kellerboden bebte für einen Augenblick so stark, dass er die am Boden Liegenden hochwarf. Die Zahnprothese Herrn Fausts zerbrach und drohte, ihn mit dem geschluckten Staub und Mörtel zu ersticken. Frau Faust ergriff das zur Ausstattung eines Luftschutzkeller gehörende Beil und schickte sich an, den Notausgang durch einen Kohlenschacht, der zum Garküchenplatz führte, aufzubrechen. Bereits nach den ersten Axthieben prasselten Steinmassen auf sie nieder, die wahrscheinlich von der bereits eingestürzten Hinterfront stammten. Hier war der Weg versperrt. Nun machte sie sich daran, den Durchbruch zum Keller Luthereck 4 zu öffnen. In dem Moment durchschlugen die Nachbarn der Häuser Garküchenplatz 2, 4 und 6 in größter Todesnot einen anderen Durchbruch des Kellers 8 der Familie Faust. Man sah die Silhouetten der schreienden Menschen und hinter ihnen den Flammenschein des nachdrängenden Feuers.

 

Alle zusammen flüchteten sie sich in den Luftschutzkeller des Hauses Luthereck 4. Herr Faust verstopfte nach Überwindung des ersten Schocks in größter Eile den Rückweg zum eigenen Keller, damit Feuer und Rauch ausgesperrt blieben. Als die Explosionen etwas nachgelassen hatten, verließ Frau Faust durch einen Ausgang zur Kannengießergasse den Keller, um sich zu orientieren. Die Gasse mit ihren mittelalterlichen Fachwerkbauten und deren Geschossvorsprüngen brannte lichterloh. Ein ununterbrochenes Brausen und Krachen erfüllte die Luft. Durch die angrenzende Fahrgasse raste der Feuersturm. Es sah aus, als schösse ein flammender Luftstrom zwischen den Häusern dahin, vom Main her Luft ansaugend. Frau Faust stürzte in den Keller Luthereck 4 zurück, in dem sich inzwischen zwanzig bis dreißig Menschen eingefunden hatten, und schrie völlig außer sich, dass man hier nicht bleiben könne, sonst würden sie alle verbrennen! Da sich zunächst niemand aufraffte, schlug sie mit den Fäusten auf die Leute ein und gab dem konsternierten Luftschutzwart eine schallende Ohrfeige. Sie tobte und schrie weiter, bis es ihr gelang, die Menschen anzutreiben. Sie öffneten einen Durchgang zum Domplatz und alle wurden durch das Loch ins Freie gezogen. Frau Faust trug einen schweren Mantel in ihren Händen, der ihr plötzlich vom Sog des Feuersturms entrissen und durch die Luft gewirbelt wurde. Als er niederfiel, ergriff ihn sofort eine fremde Frau, die aus einem anderen Keller gekommen war, und Herr Faust hatte alle Mühe, ihn ihr wieder zu entwinden. Mitten auf dem Platz stand hilflos eine alte Frau, die wie erstarrt auf dem Domplatz stand und nichts weiter bei sich trug als eine Bratpfanne und eine Kaffeemühle. Dann fanden alle Schutz im Dompfarrhaus.

 

Nach dem Angriff versuchte Familie Faust mit ihrer letzten, auf einen Handwagen gepackten Habe zur Eschersheimer Landstraße durchzukommen. Der Domplatz war übersät mit Balken und riesigen Quadersteinen. Weder durch die Trümmer der Stiftstraße, der Brönnerstraße noch der Schäfergasse gelangten sie vorwärts. Erst durch die Schillerstraße vermochten sie sich einen Weg zu bahnen.

 

Im völlig zerstörten und ausgebrannten Roseneck wurden der Wirt der „Altdeutschen Bierstube“ und seine Gäste tot, verkohlt in einem kleinen Keller, gefunden. Blutspuren und Kratzer an der Wand gaben zu erkennen, dass sie verzweifelt versucht hatten, sich mit bloßen Händen einen Ausweg zu graben.

Eine Familie entgeht dem sicheren Tod, weil sie die Einladung zu einem Essen nicht annimmt.



Autor/in: Jürgen Steen
erstellt am 01.01.2003
 

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