1939 wurden die städtischen Pfandleihanstalten in die Ausraubung der Juden durch das NS-Regime eingebunden. Alle Juden waren gezwungen, die meisten ihrer Wertsachen gegen ein unter Wert liegendes Zwangsangebot bei den Leihanstalten abzugeben. In Frankfurt geschah dies in etwa 12.000 Fällen. Aus den abgelieferten Beständen bedienten sich dann auch Frankfurter Museen.
„Sie betrachten die von Ihnen angelieferten Sendungen als hochwertige Waren, während wir sie als Devisen- und Rohstoffbringer ansehen und behandeln müssen. Daß hierbei erhebliche Fasson- und andere Werte zerstört werden, ist den richtungweisenden Oberbehörden bekannt, muß aber im Interesse der Kriegswirtschaft in Kauf genommen werden.“ (Städtische Pfandleihanstalt Berlin, Zentralstelle, 14. September 1942)
Erst Verkaufseinschränkungen, dann Abgabepflicht für Edelmetalle und Preziosen
Bereits kurz nach dem November-Pogrom 1938 schränkt die Reichsregierung die Verfügungsgewalt antisemitisch verfolgter Deutscher und Staatenloser über ihre Preziosen erheblich ein. Langfristiges Ziel der Maßnahmen ist es, möglichst günstig Verfügungsgewalt über die Wertgegenstände in jüdischen Haushalten zu erlangen. Die „Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens“ vom 3. Dezember 1938 verbietet ihnen, Gegenstände aus Gold, Platin oder Silber, Edelsteine, Perlen und Schmuck- sowie Kunstgegenstände mit einem Einzelpreis von mehr als 1.000 Reichsmark zu erwerben, zu verpfänden oder freihändig zu veräußern. Ein legaler Verkauf ist fortan nur noch an die vom Reich eingerichteten Ankaufsstellen möglich.
Nur wenige Monate später müssen dann laut Verordnung des Beauftragten für den Vierjahresplan vom 21. Februar 1939 sogar alle Personen mit Ausnahme in Deutschland lebender Ausländer, die nach NS-Recht als Juden gelten, in ihrem Besitz befindliche Edelmetallsachen sowie Edelsteine und Perlen innerhalb von zwei Wochen bei den vom Reich eingerichteten öffentlichen Ankaufstellen abliefern. Die Frist wird noch einmal bis zum 31. März 1939 verlängert. Ab Ende 1940 müssen auch Juden mit früher tschechoslowakischer Staatsangehörigkeit ihre entsprechenden Wertsachen abgeben.
Pfandleihanstalten als Ankaufstellen
Im Zusammenhang mit der Erhebung der „Judenvermögensabgabe“ und dem dadurch notwendigen Verkauf von „Kostbarkeiten“ bestimmen die Reichsminister für Wirtschaft, des Innern sowie für Volksaufklärung und Propaganda schon am 16. Januar 1939 die von den Gemeinden betriebenen öffentlichen Pfandleihanstalten zu Ankaufstellen für Edelmetallgegenstände, Edelsteine und Perlen. Das Reichswirtschaftsministerium, das zugleich das Verfahren des Erwerbs festlegt, bestätigt die Pfandleihanstalten auch als Ankaufsstellen für die nach der Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens abzugebenden Gegenstände. Den Abgabepflichtigen ist der auf dem Weltmarkt übliche Großhandelspreis abzüglich zehn Prozent zu vergüten, allerdings allein für den Materialwert. Der Kunstwert bleibt unberücksichtigt.
Schon am 24. Februar 1939 legt der Reichswirtschaftsminister fest, dass eine Ablehnung des von den Pfandleihanstalten unterbreiteten Angebots für die Verfolgten nicht „mehr in Frage“ käme. Die Bezahlung hat innerhalb von zwei Monaten zu erfolgen und kann im Falle der Emigration beschleunigt werden. Sofern die Verwertung nicht innerhalb derselben Zeit zu bewerkstelligen ist, müssen die kommunalen Pfandleihanstalten die Wertgegenstände an die Städtische Pfandleihanstalt in Berlin abliefern. Sachen mit einem Wert von mehr als 300 RM, ab 21. März 1939 mit einem Wert von mehr als 150 RM, müssen ohnedies an die Zentralstelle geschickt werden. Die Festsetzung des Wertes regelt ein Erlass des Reichswirtschaftsministers. Sofern den Abgabepflichtigen wegen der Menge des Abgelieferten mehr als 2.000 RM zustehen, erhalten sie jedoch nur 500 RM direkt ausgezahlt. Der Restbetrag muss auf deren „beschränkt verfügbares Sicherungskonto“ abgeführt werden. Kann der Betrag nicht mehr ausgezahlt werden, weil der Verfolgte bereits emigriert oder deportiert worden ist, so überweisen die kommunalen Pfandleihanstalten die Vergütung an die Zentralstelle in Berlin, die diese an die Reichshauptkasse abführt.
Persönlicher Zahnersatz ist von der Abgabe befreit
Laut Geheimerlass des Reichswirtschaftsministeriums werden von der Ablieferungspflicht nur folgende Gegenstände ausgenommen: Der „persönliche Zahnersatz“, der eigene Trauring sowie derjenige des verstorbenen Ehegatten, eine silberne Armband- oder Taschenuhr, gebrauchtes Tafelsilber (zwei vierteilige Essbestecke pro Person) und maximal 200 Gramm andere Silbersachen, wobei das Einzelteil nicht schwerer als 40 Gramm sein darf. Während private Kultgegenstände abgegeben werden müssen, dürfen Kultusgemeinden ihr Edelmetallgerät – noch – behalten.
Zentralisierung der Verwertung
Die wenigen „Kostbarkeiten“, die den Verfolgten bis zur Deportation noch verbleiben, haben die Finanzämter beziehungsweise Oberfinanzpräsidenten bei der Verwertung des beweglichen Vermögens nach der Deportation an die Zentralstelle bei der Städtischen Pfandleihanstalt Berlin abzugeben. Der Erlös wird den jeweiligen Oberfinanzpräsidenten gut geschrieben.
Der Reichswirtschaftsminister legt im Oktober 1944 fest, dass Platingegenstände und „geringerwertige“ Schmuckstücke mit hohem Edelmetallanteil einzuschmelzen und über die Reichsstelle für Edelmetalle der Rüstungsindustrie zuzuführen sind. Ansonsten sollen „möglichst viele Gegenstände im Export gegen Bardevisen“ verwertet werden. Diamanten müssen gegebenenfalls für die Ausfuhr umgeschliffen werden. Funktionsfähige Uhren sollen der Fachgruppe Uhren und Uhrenbestandteile mit Sitz in Halle angeboten werden. Für Exportware muss beim Verkauf der mindestens erzielbare Exporterlös und für Inlandsware der aktuelle Tageswert festgesetzt werden. Die Pfandleihanstalt Berlin hat die Gegenstände zum Friedensinlandspreis zu übernehmen, zu Partien von etwa 10.000 RM zusammenzustellen und mit der Auflage zur Bevorzugung Bombengeschädigter an den Handel abzugeben. Die Schätzer dürfen jedoch an der Verwertung nicht beteiligt werden.
Die Pfandleihanstalten nehmen insgesamt mehr als 54 Millionen RM ein, und zwar 5,48 Millionen 1938, 34,53 Millionen 1942, 9,15 Millionen 1943, für das Jahr 1944 sind nochmals 5 Millionen im Haushalt aufgeführt.
Die Städtische Darlehensanstalt Frankfurt am Main
Die Städtische Darlehensanstalt in Frankfurt am Main in der Pfandhausgasse 3 eröffnet ihre Ankaufstelle am 30. Januar 1939. Sie bearbeitet alles in allem etwa 12.000 Ablieferungen. Für Gegenstände mit einem Wert bis zu 300 RM zahlt sie insgesamt 1.120.133,37 RM an die Ablieferer. Vom Ankaufspreis erhält sie 10 Prozent für ihre Aufwendungen. Gegenstände bis zu einem Wert von 150 RM veräußert die Darlehensanstalt direkt vor Ort weiter; den Gewinn führt sie an das Reich ab. Außerdem wird der von Juden als Pfand hinterlegte Besitz, der den Abgabebestimmungen entspricht, versteigert. Silbersachen mit einem Gewicht von insgesamt 8.000 Kilogramm hat die Pfandleihe bis Mitte Mai 1939 bereits an Schmuckwaren- und Uhrenhändler sowie Gold- und Silberschmiede verkauft. Wegen des Weihnachtsgeschäfts melden sie gegen Jahresende weiteren Bedarf an „Judenware“.
Ankauf „jüdischen Silbers“ für Frankfurter Museen
Auch Frankfurter Museen wollen unter den abgelieferten Dingen befindliche „kulturell bedeutsame kunstgewerbliche Erzeugnisse [vor] unerwünschter Zerstreuung oder gar der Verschrottung“ bewahren. Auf Intervention des erst kurz vorher zum Direktor des Historischen Museums berufenen Ernstotto Graf Solms zu Laubach richtet Oberbürgermeister Friedrich Krebs einen zunächst mit 25.000 RM, bald mit 50.000 RM ausgestatteten Sonderfonds zum „Ankauf jüdischen Silbers“ ein. Im Raum steht dabei sogar „die Möglichkeit einer Ergänzung des Frankfurter Ratssilbers“. Bis September 1939 erwirbt das Kulturamt aus den Zwangsabgaben der antisemitisch Verfolgten „Formsilber und Bestecksilber im Werte von insgesamt 32 826 RM 35 RPf“, das dem Museum für Kunsthandwerk übergeben wird.
Die während des Novemberpogroms im Museum Jüdischer Altertümer und in den Synagogen geplünderten Kultgegenstände werden nach einem länger währenden Streit zwischen Geheimer Staatspolizei und der Stadt Frankfurt an die Darlehensanstalt gegeben. Dort erwerben das Historische Museum durch Graf Solms zu Laubach und das Museum für Kunsthandwerk durch Walter Mannowsky „jüdische Kultgegenstände“ für 8.000 RM. Das sind nach den gültigen Materialpreisen fast 300 Kilogramm Silber. Das Kulturamt meldet am 1. Februar 1940, insgesamt mehr als 47.000 RM für den „Ankauf jüdischen Silbers“ ausgegeben zu haben. Das Historische Museum inventarisiert und verpackt die Gegenstände, angeblich um sie später zurückzugeben.
Frankfurts NS-Oberbürgermeister Friedrich Krebs sorgt nach Kriegsbeginn persönlich und auf eigene Faust dafür, dass den Verfolgten noch ausstehende 10.000 RM für die zwangsweise bei der Städtischen Darlehensanstalt abgelieferten Sachen aus Edelmetall, Perlen und Edelsteinen nicht ausgezahlt werden. Als Begründung führt er an, Juden seien während des Krieges als „Feinde“ zu betrachten.
Auftragsversteigerungen von Brillantschmuck und goldenen Uhren
Im Auftrag der Städtischen Pfandleihanstalt Berlin, Zentralstelle, versteigert die Frankfurter Darlehensanstalt in ihrem Versteigerungslokal im Holzgraben 28 Ende 1940 täglich zwischen 9 und 13 Uhr von Berlin erhaltenen Brillantschmuck. Dass es sich dabei um Stücke aus jüdischem Besitz handelt, „soll streng vertraulich behandelt werden“. Für ihre Dienste erhält die Darlehensanstalt vier Prozent des Erlöses. Im Mai 1941 beteiligt sich die Darlehensanstalt auf Anfrage der Zentralstelle an der Versteigerung der reichsweit rund 25.000 zwangsweise abgelieferten goldenen Uhren. Um den dafür notwendigen zusätzlichen Arbeitsaufwand bewältigen zu können, was mit den vorhandenen Bediensteten nicht möglich ist, beantragt die Darlehensanstalt immer wieder die Bewilligung überplanmäßiger Ausgaben. Damit werden etwa die Dienstreisen des Leiters der Darlehensanstalt zu Besprechungen nach Berlin und die Ausleihe von Edelmetallsachverständigen bei Degussa und anderen Betrieben finanziert.
Literatur
H.G. Adler, Der verwaltete Mensch. Studien zur Deportation der Juden aus Deutschland. Tübingen 1974.
Monica Kingreen, Wie sich Museen Kunst aus jüdischem Besitz aneigneten. Städte als skrupellose Profiteure der Vertreibungs- und Vernichtungspolitik des NS-Staates, in: Frankfurter Rundschau, 9. Mai 2000.
Dies., Raubzüge einer Stadtverwaltung. Frankfurt am Main und die Aneignung „jüdischen Besitzes“, in: Wolf Gruner/Armin Nolzen (Hg.), „Bürokratien“. Initiative und Effizienz, in: Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Bd. 17, Berlin 2001, S. 17-50.
Jürgen Steen, Zwischen bürgerlicher Tradition und weltanschaulicher Integration. Zur Geschichte des Historischen Museums Frankfurt am Main im 3. Reich, in: Mitarbeiter des Historischen Museums (Hg.), Die Zukunft beginnt in der Vergangenheit. Museumsgeschichte und Geschichtsmuseum. Frankfurt am Main 1982.
Maike Ullrich, Findbuch zum Bestand Städtische Darlehensanstalt 1870-1972, Frankfurt am Main 1998.
Jutta Zwilling, Pfandleihanstalten, in: Susanne Meinl/Jutta Zwilling, Legalisierter Raub. Die Ausplünderung der Juden im Nationalsozialismus durch die Reichsfinanzverwaltung in Hessen, Frankfurt/New York 2004, S. 492-496.
1939 wurden die städtischen Pfandleihanstalten in die Ausraubung der Juden durch das NS-Regime eingebunden. Alle Juden waren gezwungen, die meisten ihrer Wertsachen gegen ein unter Wert liegendes Zwangsangebot bei den Leihanstalten abzugeben. In Frankfurt geschah dies in etwa 12.000 Fällen. Aus den abgelieferten Beständen bedienten sich dann auch Frankfurter Museen.