Das Todesurteil im zweiten Volksgerichtshofprozess gegen Johanna Kirchner

Argumentation und Jargon der Begründung des Todesurteils sind beispielhaft für Selbstverständnis und Rolle der Justiz im Dritten Reich als Erfüllungsgehilfin nationalsozialistischen Terrors und Verfolgung.

 

Die alte Sozialdemokratin Frau Johanna Schmidt hat in der Emigration Jahre lang mit den Volksverrätern Max Braun und Emil Kirschmann unter Emigranten und in unserem Reich hochverräterisch gewühlt, hat im großen übelste marxistische Hochverratspropaganda betrieben, hat im großen kulturelle, wirtschaftliche, politische und militärische Spionagenachrichten landesverräterisch eingezogen und weitergegeben; und hat dazu als Nachrichtenquelle sogar ihre Tochter mißbraucht.

 

Mit Schimpf und Schande von unserem Reich schon vor Jahren aus unserer Mitte ausgestoßen, wird sie –- für immer ehrlos – mit dem Tode bestraft.

 

 

Gründe

 

 

Frau Johanna Schmidt, die schon seit 1907 Mitglied der SPD war und in den letzten Jahren vor unserer nationalsozialistischen Volkserneuerung als Sekretärin im Frankfurter SPD-Büro angestellt war, wanderte 1933 ins Saargebiet. Wie sie sagt nicht, um zu emigrieren, sondern weil sie glaubte, in Frankfurt nun zunächst längere Zeit arbeitslos zu werden. In Saarbrücken nahm sie Stellung bei einer Gesinnungsgenossin, Frau Juchacz, als Büffetaufsicht. Als die Saar sich geschlossen zum eigenen Blut und Volk bekannte und das Saargebiet wieder ins Reich zurückkehrte, wurde sie nicht von dem allgemeinen Strome der Begeisterung mitergriffen, sondern wanderte jetzt nach Forbach, ins damalige Frankreich, aus und nahm eine Stellung in einem Saarflüchtlingskomitee an, das die berüchtigten Volksverräter Max Braun und Emil Kirschmann leiteten. Diese selbst freilich flohen bald weiter, der erste nach Paris und der letzte nach Mühlhausen im Elsaß. Frau Schmidt aber als Sekretärin führte nun die Geschäfte unter der nur sehr losen Aufsicht von Braun, der nur selten von Paris hinkam, und unter der etwas festeren Aufsicht von Kirschmann, der zwei- bis dreimal wöchentlich von Mühlhausen herüberkam.

 

Welch Geistes Kind dies Komitee war, ergibt sich daraus, daß es vom internationalen Gewerkschaftsbüro und von der Roten Hilfe finanziert wurde! Und wie dies Büro seine Hilfsaufgabe auffaßte, kann man daraus erkennen, daß allein die Gehälter für Kirschmann und Frau Schmidt 20 bis 25 Prozent der Gesamtmittel verschlangen!

 

Im Rahmen der Hilfeleistungen stellte das Komitee, also Frau Schmidt, über Emigranten „Steckbriefe“ und „Empfehlungen“ aus, und bemühte sich auch um Aufenthaltserlaubnisse und zahlte Unterstützungen. Bei dieser Tätigkeit, die eine Art Emigranten-Rote Hilfe ist, blieb es aber nicht.

 

Vielmehr begann das Komitee, und in ihm Frau Schmidt als Sekretärin, in außerordentlichem Umfang hochverräterisch zersetzende Hetzpropaganda gegen unser nationalsozialistisches Deutsches Reich. Man gab eine Zeitschrift – „Saarnachrichten“ – heraus, in etwa 500 Stück jede Nummer, und die Matritzen zu ihr schrieb Frau Schmidt! Außerdem verbreitete das Flüchtlingshilfekomitee die „Sozialistische Aktion“ des Prager sozialdemokratischen Emigrantenklüngels, der „Sopade“, und andere Hetzzeitschriften in je 100 bis 200 Stück. Diese fügte es der eigenen Zeitschrift bei deren Verbreitung bei. Frau Schmidt sagt selbst, daß der Hauptinhalt dieser Zeitschrift Greuelnachrichten über Deutschland waren. Und beim Versandfertigmachen all dieses Zersetzungsgiftes war Frau Schmidt mittätig! Aber sie blieb mit ihrer hochverräterischen Tätigkeit nicht außerhalb der Grenzen des Reiches. Vielmehr arbeitete sie sogar an einem Plan, von der Schweiz her in ihrer Heimatstadt, in Frankfurt am Main, die SPD wieder aufzuziehen! Sie, die durch ihre Emigration doch jedes Recht, in unsere deutschen Angelegenheiten mitzureden und mitzuarbeiten, verloren hatte!!

 

Neben dieser systematischen Hetze stehen einzelne ehrlose Volksverräterhandlungen, wie etwa folgende: Ein in Spanien dingfest gemachter Volksverräter von Puttkammer sollte über Italien nach Deutschland ausgeliefert werden. Ihm gelang aber die Flucht von Italien in die Schweiz. Und an der Schweizer Grenze nahm Frau Schmidt, die zu diesem Zweck dorthin gereist war, ihn in Empfang, um ihn in einem Schweizer Sanatorium unterzubringen!

 

Alles bisher Geschilderte wird aber überboten durch die landesverräterische Tätigkeit der Angeklagten. Kirschmann wollte für seine Hetzzeitschriften kulturelles, wirtschaftliches, politisches und militärisches Nachrichtenmaterial haben. Deshalb hatte er Frau Schmidt und anderen Mitarbeitern in der Forbacher Flüchtlingshilfeorganisation nahe gelegt, solches Material zu sammeln. Frau Schmidt sollte dafür sorgen, daß dies Material bei ihr zusammenfloß, und sollte es ihm dann weiterleiten. Das tat sie auch. Und sie entwickelte dazu eine umfangreiche Tätigkeit, sprach mit Gewährsmännern, die für sie ständige Nachrichtenquellen waren, wie zum Beispiel einen gewissen Harig, von Hünneckens, Niebergall, Kirn und anderen; und sandte das so gewonnene Material Kirschmann. Darunter befand sich die Mitteilung, daß ein namentlich benannter früherer Kommunist Gestapovertrauensmann sei, eine Nachricht also, die im Interesse der Sicherheit unseres Reiches geheim bleiben muß. Darunter befanden sich ferner Nachrichten über Arbeitsdienstlager im Hunsrück und darüber, was auf dem „Eberkopf los sei“. Ab und zu bekam sie auch militärische Nachrichtensonderaufträge von Kirschmann. Etwa, zu melden, ob neue Truppen in Saarlautern eingetroffen seien, und welche Truppen in Saarbrücken seien. Auch darum bemühte sie sich. Und das alles sind nach unserer Auffassung Dinge, die man in den ersten Jahren nach der nationalsozialistischen Machtergreifung noch mehr als nachher bis zum Kriegsbeginn im Interesse unserer Landesverteidigung geheim halten mußte, zumal wir damals noch nicht so stark waren wie nach dem Aufbau unserer Wehr.

 

Bis zu welchem Grade der Verkommenheit Frau Schmidt gesunken war, erkennt man daraus, daß sie sogar ihre beiden Töchter unter dem Vorwand, gemeinsam die Ferien verbringen zu wollen, aus Deutschland nach Hohwals im damals französischen Elsaß lockte, um sie dort über politische, soziale, kulturelle, wirtschaftliche und militärische Verhältnisse auszufragen; oder wie Kirschmann in seinen Briefen an sie und sie in ihren Antwortbriefen sich auszudrücken pflegte, auszuquetschen. Sie hatte nichts dagegen, daß Kirschmann auch diese Nachrichten auswertete; nur bat sie ihn, dies nicht sofort öffentlich zu tun, und zwar aus Vorsicht. Kirschmann pflegte die Informationen, die er so bekam, journalistisch zurechtgemacht in seinem Informationsdienst zu verwerten. Dadurch wurden diese Informationen auch den französischen Dienststellen erreichbar. Und das wußte natürlich auch Frau Schmidt. Durch dies Verhalten ist also die Hochverräterin zur Landesverräterin geworden. Und damit ist bei ihr der Abstieg in die vollkommene Ehrlosigkeit vollendet; ein Abstieg, der mit der Emigration unaufhaltsam begann, weil der entwurzelte Mensch, der sich von Volk und Land getrennt hat, auf der abschüssigen Bahn des Verrates keinen Halt mehr findet.

 

Gegenüber diesem Hoch- und Landesverrat (§§ 83, 89 StGB) bedeutet es nichts, daß Frau Schmidt die Nachrichtentätigkeit und überhaupt ihre Tätigkeit im Dienste des Volksverräters Kirschmann gut ein Jahr vor Kriegsbeginn einstellte; wie sie behauptet freiwillig; und daß sie dann einen Beruf in einem Haushalt ergriff. Und für ihre Beurteilung ist es ganz bedeutungslos, daß sie von den Franzosen bei Kriegsausbruch in ein Konzentrationslager gebracht wurde. Sie sagt freilich, sie habe sich 1940 bemüht, nach Deutschland zurückzukommen, weil sie ihre Tat bereut habe, und weil sie gehofft habe, im Kriege nach Deutschland und wieder in die Gemeinschaft des Volkes zurückzukönnen. Wenn sie sich wirklich darum beworben hat, ernst ist es ihr darum nicht gewesen. Denn sie ist noch ein Jahr lang, ehe sie verhaftet und an die Demarkationslinie gebracht wurde, vollkommen frei in Aix les Bains gewesen. Wenn sie so ehrlich bereut hätte, und wenn ihre Sehnsucht nach Deutschland zurück so groß gewesen wäre, so wäre es ihr ein leichtes gewesen, in diesem Jahr den Weg über die Demarkationslinie ins besetzte Frankreich und damit nach Deutschland zu finden.

 

Und ein weiteres: Selbst eine ehrliche Reue hätte der Volksgerichtshof in diesem Falle nicht berücksichtigt. Denn ein echter Verrat am eigenen Volke läßt keine Reue zu. Und jedenfalls ist die Reue bei echtem Verrat zu spät. Denn Verrat ist einer der Fälle, in denen die Tat den Täter richtet.

 

Unser Reich hat Frau Schmidt schon Anfang 1937 mit Schimpf und Schande aus unserer Mitte gestoßen. Und mit der Ausbürgerung hat sie alle Ehre bereits verloren. So blieb für den Volksgerichtshof nur übrig, sie, die alles oben Geschilderte unter dem Druck des vorgefundenen Beweismaterials vor der Polizei und heute vor Gericht eingestanden hat, für ihren Verrat mit dem Tode zu bestrafen. Denn eine andere Strafe kann um der Selbstachtung des Reiches, des Sauberkeitsbedürfnisses unseres Volkes und um des Schutzes von Reich und Volk willen nicht in Frage kommen.

 

Weil Frau Schmidt verurteilt ist, muß sie auch die Kosten bezahlen.

 

 

gez.: Dr. Freisler

 

 

Bundesarchiv Koblenz R 60 I/191

Argumentation und Jargon der Begründung des Todesurteils sind beispielhaft für Selbstverständnis und Rolle der Justiz im Dritten Reich als Erfüllungsgehilfin nationalsozialistischen Terrors und Verfolgung.


erstellt am 01.01.2003
 

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