Die verschiedenen Phasen des Auschwitz-Prozesses

Blick in den Gerichtssaal im Haus Gallus in Frankfurt, wo der Auschwitz-Prozess ab April 1964 geführt wurde.

Besichtigung des Tatortes Auschwitz im Dezember 1964 durch Teilnehmer des Frankfurter Auschwitzprozesses

Der Auschwitz-Prozess zog sich in seinen verschiedenen Phasen 20 Monate hin: Vernehmung der Angeklagten; Beweisaufnahme mit Ortstermin am Tatort Auschwitz; Plädoyers, Schlussworte der Angeklagten, Verkündung und Begründung des Urteils.

 

Der Prozess zog sich über insgesamt 20 Monate hin, wesentlich länger als ursprünglich angenommen. Bis März 1964 tagte das Gericht im Frankfurter Römer. Im April begannen die Verhandlungen im Bürgerhaus Gallus in Frankfurt.

 

 

Vernehmungen der Angeklagten zur Person und zur Sache
Nach der Prozesseröffnung und der Verlesung des „Eröffnungsbeschlusses“ wurden die Angeklagten zur Person vernommen, am 4. Verhandlungstag begann die Vernehmung jedes einzelnen Angeklagten zu den ihn betreffenden Anklagepunkten aus dem „Eröffnungsbeschluss“. Diese Vernehmungen zur Sache dauerten bis zum 15. Verhandlungstag. Drei Angeklagte gaben einige Morde zu. Hans Stark, der als Schüler nach Auschwitz gekommen war, bekannte überzeugend: „Ich schäme mich.“ Alle anderen stritten die Anklagevorwürfe ab. Sie stritten auch solche Zugeständnisse ab, die sie in den Vorvernehmungen bereits zugegeben hatten. Auch im weiteren Verlauf des Prozesses hüllten sie sich zumeist in Schweigen.

 

Die Beweisaufnahme
Wesentlicher Teil der Beweisaufnahme waren die zu Beginn dieser Phase präsentierten umfangreichen Gutachten der Historiker. Die Beweisaufnahme mit der Anhörung der von der Staatsanwaltschaft, den Nebenklagevertretern und Verteidigern benannten Zeugen dauerte als zweite Phase des Prozesses 15 Monate, von Februar 1964 bis Mai 1965. Insgesamt wurden 360 Zeugen der Anklage, der Nebenklage und der Verteidigung vom Gericht gehört. Außerdem wurden dem Gericht zahlreiche Dokumente vorgelegt und im Gerichtssaal verlesen.

 

Die Belastungszeugen der Anklage – die Überlebenden von Auschwitz
Am 24. Februar 1964, dem 19. Verhandlungstag, begann die Vernehmung der Zeugen. (Die Entlastungszeugen von Verteidigung und Anklage, zumeist frühere SS-Angehörige, die zumeist nichts gehört, nichts gesehen oder sich an nichts erinnern konnten, sind hier im Weiteren nicht berücksichtigt.) 211 Überlebende von Auschwitz sagten im Prozess unter Eid aus.

 

Vor allem die Aussagen der ersten 35 Auschwitz-Überlebenden ab Ende Februar 1964 veränderten die Atmosphäre im Gerichtssaal grundlegend. Sie waren mehrere Jahre in Auschwitz gewesen und hatten intensive Kenntnis des SS-Apparates in den verschiedenen Lagerbereichen. Nach ihren Aussagen erschienen alle Angeklagten in einem anderen Licht.

 

Die Zeugen, die einst als Juden und/oder aus politischen Gründen Verfolgte nach Auschwitz verschleppt worden waren, kamen zumeist aus dem Ausland, viele aus Polen. Unter schweren psychischen Qualen hatten sie sich entschlossen, oft auf Drängen Hermann Langbeins, nach Deutschland, dem Land ihrer ehemaligen Peiniger, zu kommen und ihnen dort entgegenzutreten und gegen sie auszusagen. Manche Zeugen fürchteten bei einer Reise nach Frankfurt auch um ihre persönliche Sicherheit. So fragte Rudolf Vrba bei Hermann Langbein an, ob „meine Sicherheit in Frankfurt garantiert ist … da ich nicht weiß, wie weit die SS noch aktiv sein kann.“

 

Die Zeugen reagierten sehr unterschiedlich auf das Zusammentreffen mit ihren ehemaligen Peinigern. Viele bekamen während ihrer Aussagen Weinkrämpfe und konnten nicht mehr weitersprechen, andere sprachen sehr ruhig und trugen dem Gericht völlig sachlich ihre Erlebnisse in Auschwitz vor, ohne zu zeigen, wie aufgewühlt sie in ihrem Inneren waren. Wenige schleuderten ihren ehemaligen Unterdrückern ihre Wut entgegen. Manche sprachen die Angeklagten direkt an, forderten sie auf, doch die Wahrheit zu sagen und ihr Schweigen zu brechen. Der erste Zeuge aus der Gruppe der ehemaligen Häftlinge, Wolken, sagte zu einem der Angeklagten, den er identifiziert hatte, „Sie sehen, ich habe Sie wiedererkannt. Es tut mir leid um ihr persönliches Schicksal!“

 

Die polnische Zeugin Anna Palarczyk beschrieb nach ihrer Aussage ihre persönliche Reaktion: „Der Prozess hat doch eine große Rolle gespielt in meiner Psyche … nach dieser Aussage, der Begegnung mit Hermann Langbein und anderen Häftlingen fühlte ich mich entlastet, befreit … ich fühlte mich nicht mehr gezwungen, das alles in mir zu behalten, um einmal zeugen zu können. Eine Last ist von mir weg.“ Im Herbst 1964 erreichte der Prozess einen weiteren Höhepunkt als die Zeugen, die der Nebenklagevertreter Ormond benannt hatte, aussagten. Sie waren Mitglieder des so genannten Sonderkommandos, die hier erstmals ihr Erleben unmittelbar in den Krematorien und Gaskammern, wo sie zur Arbeit gezwungen waren, schilderten. Ein Mitglied des Gerichts – so berichtet Hermann Langbein – reagierte darauf so: „Wenn diese Aussage zu Beginn des Prozesses gemacht worden wäre, hätte ich sie nicht geglaubt.“

 

 

Der Ortstermin am Tatort Auschwitz
Während der Beweisaufnahme fand auch eine Besichtigung des Tatortes in Auschwitz statt. Dies hatte der Nebenklagevertreter Henry Ormond beantragt. Zur Zeit des Kalten Krieges, als Deutschland keine diplomatischen Beziehungen zu Polen unterhielt, war es fast unerhört, einem deutschen Gericht vorzuschlagen, sich in ein Land des Ostblocks zu begeben. Nach komplizierten Vorbereitungen und Einspruchsversuchen des Verteidigers Laternser, fuhren im Dezember ein Beauftragter des Frankfurter Gerichts, vier Staatsanwälte, drei Nebenklagevertreter und 13 Verteidiger sowie ein auf freiem Fuß befindlicher Angeklagter nach Auschwitz. Sie wollten sich ein eigenes Bild von der Mordstätte Auschwitz machen. Zweihundert Pressevertreter begleiteten sie.

 

Es wurde gemessen, Hör- und Sichtproben durchgeführt. Das Ergebnis der Ortsbesichtigung bestätigte die belastenden Zeugenaussagen. Alle Teilnehmer kamen nach der persönlichen Konfrontation mit den Örtlichkeiten im Stammlager Auschwitz tief beeindruckt nach Frankfurt zurück. Ein Lokaltermin, an dem alle Prozessbeteiligten hätten teilnehmen müssen, war dies aber nicht. Im Gericht wurde anschließend ein detailliertes Protokoll der „Inaugenscheinseinnahme“ in Auschwitz verlesen.

 

Der Abschluss des Prozesses
Nachdem die Beweisaufnahme abgeschlossen war, ging der Prozess mit den Plädoyers von Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Anklagevertretern in seine letzte Phase. Dabei beanspruchten die Plädoyers der Staatsanwälte und der Nebenklagevertreter acht, die Plädoyers der Verteidiger der Angeklagten 18 Verhandlungstage. Anschließend folgten die „Schlussworte“ der einzelnen Angeklagten. Danach zog sich das Gericht zur Beratung und zur Bewertung des Gehörten zurück. Die Urteilsverkündung und die Begründung des Urteils fanden am 182. und 183. Verhandlungstag im August 1965 statt. Die Verlesung des Urteils dauerte mehr als elf Stunden.

 

 

 

Leicht gekürzter Text aus: Monica Kingreen, Der Auschwitz-Prozess 1963–1965. Geschichte, Bedeutung und Wirkung, (Pädagogische Materialien Nr. 8, Fritz Bauer Institut), Frankfurt am Main, 2004, S. 22-31

 

Dokumente:: t_fbi_dokumente_auschwitz_prozess_01; t_fbi_dokumente_auschwitz_prozess_02

Der Auschwitz-Prozess zog sich in seinen verschiedenen Phasen 20 Monate hin: Vernehmung der Angeklagten; Beweisaufnahme mit Ortstermin am Tatort Auschwitz; Plädoyers, Schlussworte der Angeklagten, Verkündung und Begründung des Urteils.



Autor/in: Monica Kingreen
erstellt am 01.01.2006
 

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