Reichskommissar für die Behandlung feindlichen Vermögens

Ab 1940 stellte das NS-Regime das Vermögen feindlicher Staaten, deren Staatsangehöriger oder von Personen, die in solchen Staaten dauernd lebten – also auch das von Emigranten –, unter staatliche Kontrolle. Um eventuellen außenpolitischen Nachkriegsproblemen vorzubeugen, wurde das Vermögen meist nicht liquidiert, sondern nur unter Zwangsverwaltung gestellt.

„In Deutschland wird das jüdische Vermögen nur insoweit liquidiert, als es sich um deutsche, staatenlose, italienische und gewisse anderer Staatsangehörige handelt. Das Vermögen englischer und amerikanischer Juden wird dagegen zwar sichergestellt nach den Vorschriften der Feindvermögensverordnung, aber nicht abgewickelt; es steht also dem arischen Feindvermögen gleich.“ (Militärbefehlshaber Frankreich, 24. Dezember 1942)

 

Definition „feindliches Vermögen“

 

Knapp fünf Monate nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 unterstellt das NS-Regime in Deutschland befindliches Vermögen „feindlicher Staaten“, ihrer Staatsangehörigen sowie von Personen, „die im Gebiet eines feindlichen Staates ihren Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt“ haben – so genannter „Wohnsitzfeinde“ – seiner Kontrolle. Gesetzliche Grundlage bildet die „Verordnung über die Behandlung feindlichen Vermögens“ vom 15. Januar 1940 („Feindvermögensverordnung“). Den Eigentümern wird die Verfügungsgewalt über ihr Vermögen entzogen. Dies betrifft auch NS-verfolgte Emigranten, die nach ihrer Flucht eine von den Nationalsozialisten als „feindlich“ definierte Staatsangehörigkeit angenommen oder im „feindlichen“ Ausland ihren Wohnsitz und in Deutschland noch Vermögen haben. Die neue Regelung hat unter anderem zur Folge, dass das Umzugsgut von „Feinden“ nicht mehr ausgeführt werden darf und in der Regel bald versteigert wird. Da aus Frankfurt rund 20.000 Juden die Flucht in das Exil gelang und sie vielfach inzwischen die dortige Staatsangehörigkeit erworben hatten, berührt diese Verordnung die Vermögenssituation von vielen hiesigen Emigranten. Daneben spielt die Verordnung zum „feindlichen“ Vermögen gerade in der internationalen Handels- und Messestadt Frankfurt eine größere Rolle als andernorts. Allerdings sind die Wirkungen auf die mit Frankfurt in Beziehung stehenden Verfolgten noch nicht im Einzelnen wissenschaftlich erforscht.

Zum 1. Februar 1940 wird als zentrale Behörde zur einheitlichen Lenkung der Verwaltung vor allem der unter „feindlichem“ Einfluss stehenden Unternehmen der Reichskommissar für die Behandlung feindlichen Vermögens mit Sitz in Berlin geschaffen. Er untersteht nach britischem Vorbild aus dem Ersten Weltkrieg dem Reichsjustizministerium. Außer dem Reichskommissar sind auch die Reichsminister der Justiz und der Finanzen sowie der Reichswirtschaftsminister mit der Behandlung feindlichen Vermögens, beispielsweise von Warenlagern oder in Depots eingelegten Juwelen, befasst.

Die „Feinde“ oder ihre inländischen Schuldner haben selbst oder durch ihre Verwalter in Deutschland befindliches „feindliches“ Vermögen wie Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte, Wertpapiere, Zahlungsmittel, Unternehmensbeteiligungen, Forderungen gegen Schuldner, verbriefte Rechte und Ansprüche, Gewerbeberechtigungen, gewerbliche Schutzrechte oder Urheberrechte bei den Finanzämtern anzumelden, wenn der Wert 500 Reichsmark übersteigt. Die Finanzämter geben die Anmeldungen an den Oberfinanzpräsidenten Berlin, ab 1942 an den Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg ab. An den Reichskommissar gelangen die Anmeldebogen über das Reichsfinanzministerium.

Als „Feindstaaten“ im Sinne der Feindvermögensverordnung werden im Januar 1940 zunächst das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland mit den überseeischen Besitzungen, Kolonien sowie den Dominions Kanada, Australischer Bund, Neuseeland und Südafrikanische Union (später ergänzt um deren Mandatsgebiete), Frankreich einschließlich seiner Besitzungen, Kolonien, Protektorate und Mandatsgebiete, Ägypten, Sudan und Irak definiert. Im Juni 1940 kommen noch Monaco (im Mai 1944 wieder gestrichen) und die Sowjetunion und im April 1942 die USA und ihre Besitzungen als „Feindstaaten“ hinzu. Auch die Vermögen von Unternehmen und natürlichen Personen dieser Staaten werden unter Zwangsverwaltung gestellt.

 

Zielsetzungen der Zwangsverwaltung

 

Die NS-Regierung versucht so zu agieren, dass im Ausland befindliches deutsches Vermögen möglichst erhalten bleibt, also nicht „liquidiert“ wird. Besonders das Auswärtige Amt engagiert sich auf Grund der Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg in dieser Hinsicht. So verwertet der NS-Staat „feindliche“ Vermögen im Gegensatz zu den im Zusammenhang mit Ausbürgerungen oder wegen Volks- und Staatsfeindlichkeit entzogenen Vermögen in der Regel nicht, sondern stellt diese nur unter Zwangsverwaltung. Die Hauptaufgabe des Reichskommissars besteht in der Bestimmung von Verwaltern und der einheitlichen Lenkung der delegierten Verwaltungen „feindlicher“ Unternehmen aber auch Liegenschaften. Die für die Zwangsverwaltung von den Unternehmen zu zahlenden Gebühren sind selbst in den Augen des Reichskommissars „sehr hoch und eine gute Einnahmequelle für das Reich“. Die Frage der Verwalterbestellung ist zwischen Reichskommissariat, Vierjahresplanbehörde und Reichswirtschaftsministerium strittig. Während die Vierjahresplanbehörde für Verwalter aus Konkurrenz- oder möglichen späteren Erwerberunternehmen plädiert, „um vollendete Tatsachen zu schaffen“, hat der Reichskommissar bis 1941 Verwalter aus den Betrieben selbst ernannt, „weil damit die volle Leistung des Unternehmens im Rahmen der deutschen Volkswirtschaft aufrecht“ zu erhalten sei, oder Dritte beauftragt. Aber auch das Reichswirtschaftsministerium strebt eine Neuorganisation der „feindlichen“ Unternehmen noch während des Krieges an.

Die Bestellung der Verwalter stimmt der Reichskommissar in wichtigen Fällen mit dem Reichswirtschaftsministerium und in Fragen der Nahrungsmittelproduktion mit dem Ernährungsministerium ab. Ferner wird der Sicherheitsdienst zur Vermeidung von Spionage über die beabsichtigte Beauftragung eines Verwalters vorab informiert. Formal bestellt sodann das örtlich zuständige Oberlandesgericht auf Antrag den jeweiligen Verwalter, der seiner Aufsicht untersteht. Ansonsten kann der Reichskommissar weitgehend selbstständig agieren.

„Feindliche Vermögenswerte“, insbesondere Unternehmen und Liegenschaften, sollen grundsätzlich nicht liquidiert werden. Ausnahmen sind nur gestattet, beispielsweise „wenn sich Grundstücke finanziell nicht“ tragen und die Veräußerung zur Umgehung eines Versteigerungsverfahrens notwendig wird. Auch bauliche Veränderungen, die den Charakter eines Grundstücks beeinträchtigen, sind nur in besonderen Fällen zu genehmigen. Dem Reichskommissar werden auch auf wiederholte Anfragen Veräußerungen aus zwingenden wehrwirtschaftlichen Gründen nicht gestattet. Er behilft sich in diesen Fällen mit der Verpachtung des Unternehmens. Erklärtes Ziel ist aber eine „Verwaltung nicht etwa im Interesse der ausländischen Eigentümer, sondern für das Deutsche Reich, damit das Feindvermögen bei siegreicher Beendigung des Krieges für das Reich verwertet werden könne“. Die Frage der Arisierung und Verfallerklärung jüdischer Unternehmen ist jedoch aus Sicht des Reichskommissars praktisch bedeutungslos, da die Zwangsarisierung bereits überwiegend beendet ist.

Gerade zu Beginn der Tätigkeit des Reichskommissars kommt es zu Überschneidungen bei der Bestellung von Verwaltern, sofern ein Treuhänder auch auf Grund der „Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens“ vom 3. Dezember 1938 bestellt werden kann. Bei der Übernahme in die „Feindesvermögensverwaltung“ von Unternehmen und Grundstücken antisemitisch Verfolgter informiert der Reichskommissar deshalb die jeweilige höhere Verwaltungsbehörde von der Einsetzung eines „Feindverwalters“. Die Verwalter haben den Reichskommissar wiederum zu benachrichtigen, wenn die höhere Verwaltungsbehörde bereits einen „Judentreuhänder“ eingesetzt hat. Eine Doppelbesetzung solle möglichst vermieden werden. Zur Umgehung der Feindgesetzgebung bei Arisierungen werden die Devisenstellen angewiesen, „ihre Genehmigungen im Hinblick auf [… die] Feindverordnung erst nach Vorliegen der Entjudungsgenehmigung zu bearbeiten“.

Ein Beispiel für Überschneidungen der Zuständigkeit ist die Frankfurter Liegenschaft Jordanstraße 7. Die Geheime Staatspolizei erklärt sie am 27. Februar 1943 als dem Deutschen Reich verfallen. Auf Antrag des Finanzamtes Frankfurt-Außenbezirk wird daraufhin im Grundbuch die Reichsfinanzverwaltung als Eigentümer registriert. Als festgestellt wird, dass die Eigentümerin Lina Bornstein inzwischen in Palästina lebt, wird die Grundbucheintragung rückgängig gemacht und die Immobilie als feindliches Vermögen dem Reichskommissar für die Behandlung feindlichen Vermögens gemeldet. Der durch das Finanzamt eingesetzte Hausverwalter Sterlepper übergibt die Endrechnung dem vom Reichskommissar beauftragten Verwalter Notar Dr. Lindheimer.

Der Status des „Feindvermögens“, das in seiner Substanz bewahrt bleibt, stellt sich also in jedem Falle günstiger dar, als derjenige des Vermögens von Ausgebürgerten oder zu Staatsfeinden erklärten Personen. Der NS-Staat gerät hier in den Zwiespalt, sich einerseits des Vermögens aller Emigranten bemächtigen und andererseits einschränkende Rückwirkungen auf das „deutsche“ Vermögen im „feindlichen“ Ausland vermeiden zu wollen. Zwar bestimmt das Justizministerium zunächst, dass derjenige, der am 3. September 1939 oder später „Feind“ ist, grundsätzlich weiter als „Feind“ zu behandeln sei, auch wenn der Nachweis erbracht wird, dass die Voraussetzungen für seine Feindeigenschaft nicht mehr vorliegen. Trotzdem solle die Verwaltung dann weiterhin aufrecht erhalten werden. Dies trifft beispielsweise grundsätzlich auf Emigranten zu, die zeitweilig in Großbritannien Aufnahme gefunden haben und von dort in die anfangs noch nicht zum „Feindstaat“ im Sinne der Feindvermögensverordnung erklärten USA weiterreisen. Doch als speziell auf einzelne antisemitisch Verfolgte aus Deutschland zugeschnittene „Lösung“ macht sich der Reichskommissar folgende Rechtsauffassung zueigen: Sollte sich bei einer Person, die „von vornherein nicht die Absicht gehabt hat, sich dauernd in einem der Feindstaaten aufzuhalten und (sich) somit nachträglich herausstellen, daß die Feindeigenschaft niemals bestanden hat“, will er gegebenenfalls den Antrag auf Aufhebung der Verwaltung stellen. Handelt es sich um „deutsche Juden“, so prüft der Reichskommissar, „ob nicht gleichzeitig mit der Aufhebung der Verwaltung oder der Abwesenheitspflegschaft Arisierungsmaßnahmen einzuleiten wären“. In diesen Fällen informiert er die zuständige höhere Verwaltungsbehörde und auf Wunsch des Reichswirtschaftsministers auch die Devisenstelle. Im März 1941 setzt sich dann jedoch im Reichsjustizministerium „nunmehr endgültig“ die Ansicht durch, „daß bei Aufenthaltsfeinden die Feindeigenschaft durch Ortsveränderung zum Erlöschen kommen solle“.

Nach Inkrafttreten der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 (automatischer Verfall des Vermögens von Juden bei dauerhaftem Aufenthalt außerhalb der Reichsgrenze – etwa durch Deportation) gibt der Reichskommissar die entsprechenden Fälle samt der Akten seit dem Frühjahr 1942 an die örtlichen Finanzämter ab. Seitdem ist der Reichskommissar nur noch für ausgebürgerte Emigranten zuständig, die nach der Ausbürgerung und vor Inkrafttreten der Elften Verordnung eine „feindliche“ Staatsangehörigkeit erworben haben. Ihr Vermögen verfällt – sofern es sich um antisemitisch Verfolgte handelt – nicht nach der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz dem Reich. Falls die Finanzämter nach der Ausbürgerung in Deutschland befindliches Vermögen dieses Personenkreises feststellen, haben sie es über die Oberfinanzpräsidenten an den Reichskommissar für feindliches Vermögen zu melden. Bestehen Zweifel, ob ein antisemitisch Verfolgter unter die Elfte Verordnung fällt, weil die aktuelle Staatsangehörigkeit nicht bekannt ist, soll die Anmeldung wie diejenige eines „Feindes“ behandelt werden. Schon am 7. November 1941 einigen sich Auswärtiges Amt, Reichswirtschaftsministerium, Reichsjustizministerium und das Oberkommando der Wehrmacht darüber, „dass Juden feindlicher Staatsangehörigkeit wie Feinde entsprechend den Bestimmungen der Feindgesetzgebung zu behandeln sind.“

 

Umfang der Zwangsverwaltungen

 

Bereits im Jahre 1941 verwaltet das Reichskommissariat zwischen 500 und 600 Unternehmen, darunter rund 50 Großbetriebe oder Konzerne wie Standard Oil, Opel oder Ford. Vielfach handelt es sich dabei nur um die Verwaltung des Anlagekapitals, das heißt von Beteiligungen an Unternehmen. Diese Zahl wächst bis Anfang 1943 auf 656 Firmen an. Ende Januar 1945 sind in der Vermögenskartei des Reichskommissars 3.256 Verwaltungen registriert, davon entfallen 840 auf Unternehmen und 2.416 auf Grundstücke. Ferner sind 2.184 Unternehmen und 12.784 Grundstücke erfasst, die jedoch nicht seiner Verwaltung unterstehen, sowie 545 Minderheitsbeteiligungen. Insgesamt sind 22.219 Meldebogen bei den Finanzämtern eingegangen.

Das „feindliche“ Vermögen wird zentral durch den Oberfinanzpräsidenten Berlin, nach der Vereinigung der Oberfinanzpräsidenten Berlin und Brandenburg ab Mai 1942 durch die Außenstelle des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg statistisch erfasst. Dort sind bis 1. April 1944 253.000 Anmeldungen über „feindliche“ Vermögen im Inland eingegangen. Noch im Jahr 1943 wird eine zentrale Kartei über die in veräußerten „feindlichen“ Warenpartien, insbesondere Umzugsgüter, angelegt, die sich damals in Hamburg befindet. Bereits ab Oktober 1944 beginnt der Reichskommissar zu prüfen, welche vorbereitenden Maßnahmen für die Abwicklung der „Feindvermögensverwaltung“ nach Kriegsende zu treffen seien. Die dezentral geführten Unterlagen sollen zunächst in einer Sammelkartei erfasst werden, um rasch qualifizierte Auskünfte erteilen zu können.

 

Literatur

Stephan H. Lindner, Das Reichskommissariat für die Behandlung Feindlichen Vermögens im Zweiten Weltkrieg. Eine Studie zur Verwaltungs-, Rechts- und Wirtschaftsgeschichte des nationalsozialistischen Deutschlands, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 67 (Beiheft), Stuttgart 1991.

Jutta Zwilling, Reichskommissar für die Behandlung feindlichen Vermögens, in: Susanne Meinl/Jutta Zwilling, Legalisierter Raub. Die Ausplünderung der Juden im Nationalsozialismus durch die Reichsfinanzverwaltung in Hessen, Frankfurt/New York 2004, S. 519-528.

Ab 1940 stellte das NS-Regime das Vermögen feindlicher Staaten, deren Staatsangehöriger oder von Personen, die in solchen Staaten dauernd lebten – also auch das von Emigranten –, unter staatliche Kontrolle. Um eventuellen außenpolitischen Nachkriegsproblemen vorzubeugen, wurde das Vermögen meist nicht liquidiert, sondern nur unter Zwangsverwaltung gestellt.



Autor/in: Heike Drummer / Jutta Zwilling
erstellt am 01.01.2010
 
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