Judendeportationen von August 1942 bis März 1945

Die Deportationen ab August 1942 betrafen ältere und gebrechliche Menschen, Kriegsausgezeichnete des Ersten Weltkriegs, Mitarbeiter jüdischer Institutionen, Menschen aus „Mischehen“. Die meisten Deportationen gingen in das Lager Theresienstadt, wo bereits viele an den Entbehrungen starben, andere wurden von dort aus in Vernichtungslager transportiert. Die letzte große Deportation fand im Februar 1945 statt.

 

Die Deportationen ab August 1942 hatten meist Theresienstadt zum Ziel. Als Garnisonsstadt der österreichischen Monarchie im späten 18. Jahrhundert gegründet, wurde die Stadt vom NS-Regime 1941 nach Zwangsräumung der tschechischen Bevölkerung in ein Ghetto für zunächst tschechische Juden, ab Juni 1942 auch für deutsche Juden umgewandelt.. Von den Deportationen des Frühjahrs 1942 aus Frankfurt waren Menschen über 65, gebrechliche Menschen über 55, Kriegsverwundete und Kriegsausgezeichnete des Ersten Weltkriegs samt ihren Familien verschont worden. Diese Gruppe wurde nun in mehreren Transporten nach Theresienstadt deportiert.

 

In zweierlei Hinsicht wurde die Organisationsroutine vom NS-Regime geändert. Die für die Deportation nach Theresienstadt vorgesehenen Juden mussten zuvor zwangsweise einen „Heimeinkaufsvertrag“ abschließen, der die Übertragung ihres gesamten Vermögens an die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland vorsah und als fiktive Gegenleistung die lebenslange Nutzung eines Heimplatzes in Theresienstadt vorsah. Das von der Reichsvereinigung eingesammelte Vermögen wurde am Ende von der Gestapo beschlagnahmt. Die andere Änderung betraf die Organisation des Transports selbst. Sammellager für die alten und häufig gebrechlichen Menschen wurden nun verschiedene Altersheime, von wo aus sie mit LKWs zur Großmarkthalle und vom dortigen Gleisanschluss aus mit Personenzügen nach Theresienstadt abtransportiert wurden.

 

Die siebte große Deportation, die erste nach Theresienstadt, fand am 18. August 1942 statt und umfasste mit mehr als 1.000 Personen die große Mehrzahl der in den zehn jüdischen Altersheimen lebenden Menschen. Die Augenzeugin Tilly Cahn schrieb in ihr Tagebuch (zitiert nach Kingreen, Deportationen, S. 376): „ … eine herzzerreißende Tragödie, all die alten, zum großen Teil hinfälligen Menschen, dreifach angezogen, ein Koffer, ein Brotbeutel. Sonntag Nachmittag ab 4 Uhr wurden die alten Menschen auf Last- oder Leiterwagen gesetzt, succescive, und teils nach der Sammelstelle Hermesweg, teils Altersheim Rechneigraben gebracht, mit ihrem Gepäck … Dort schliefen sie zwei Nächte, wohl sehr eng, auf Matratzen, es fand die Abfertigung durch die Gestapo statt. Wir durften nicht mehr zu ihnen, obwohl ich es gestern versuchte, mit dem Schupo am Tor sprach. Aber Frau Popper hilft, und ihr konnten wir noch mal Grüße sagen. Jetzt Dienstag 18. August, zwischen 5–6 pm fährt der Zug nach Theresienstadt wohl ab. Es ist mir furchtbar und läßt mich nicht los. Aus der Siechenabteilung des Krankenhauses sind schwer Leidende mitgekommen.“ Von den Deportierten lebten 1944 nur noch 44 in Theresienstadt, 17 von ihnen haben 1945 die Befreiung erlebt.

 

Zwei weitere große Deportationen nach Theresienstadt fanden am 1. bzw. am 15. September 1942 mit zusammen fast 2.500 Menschen statt und betrafen auch Juden aus Wiesbaden und den umliegenden Landkreisen. Von diesen überlebten bis zur Befreiung nur 137. Ende September 1942 wurden 234 verbliebene Mitarbeiter der inzwischen aufgelösten jüdischen Institutionen nach Estland deportiert, wo nach Selektion die nicht arbeitsfähigen Menschen am Ostseestrand erschossen wurden. Aus dieser Deportation haben bis 1945 nur etwa zehn Menschen überlebt.

 

1943 und 1944 wurden in zahlreichen kleineren Aktionen verbliebene Juden aus Mischehen bzw. die letzten Angestellten der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland (nach ihrer Auflösung) nach Theresienstadt (wo viele von ihnen überleben konnten) oder Auschwitz zur Vernichtung verschleppt. Die letzte große Deportation wurde vom NS-Regime am 14. Februar 1945 für 302 Personen aus Frankfurt und Umgebung nach Theresienstadt organisiert. Alle konnten ihre Befreiung im Frühjahr erleben. Von den mehr als 10.600 aus und über Frankfurt deportierten Juden überlebten das Ende des NS-Regimes weniger als 600.

 

Literatur

 

Jüdisches Museum Frankfurt (Hg.), „Und keiner hat für uns Kaddisch gesagt …“. Deportationen aus Frankfurt am Main 1941 bis 1945, Frankfurt am Main 2005

Monica Kingreen, Die Großmarkthalle und die gewaltsame Verschleppung der jüdischen Bevölkerung Frankfurts und des Regierungsbezirks Wiesbaden ab 1941 bis 1945, in: Raphael Gross/Felix Semmelroth (Hrsg.), Erinnerungsstätte an der Frankfurter Großmarkthalle. Die Deportation der Juden 1941-1945, München u.a. 2016

Monica Kingreen, Die Deportationen der Juden aus Hessen 1940-1945: Selbstzeugnisse, Fotos, Dokumente, Aus dem Nachlass herausgegeben und bearbeitet von Volker Eichler, Wiesbaden 2023

Monica Kingreen, Gewaltsam verschleppt aus Frankfurt. Die Deportationen der Juden in den Jahren 1941–1945, in: dies., (Hg.), „Nach der Kristallnacht“. Jüdisches Leben und antijüdische Politik in Frankfurt am Main 1938–1945 (Schriftenreihe des Fritz Bauer Instituts, Bd. 17), Frankfurt am Main 1999, S. 357–402

Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933–1945, hg. von der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden, Frankfurt am Main 1963, S. 507–533

Die Deportationen ab August 1942 betrafen ältere und gebrechliche Menschen, Kriegsausgezeichnete des Ersten Weltkriegs, Mitarbeiter jüdischer Institutionen, Menschen aus „Mischehen“. Die meisten Deportationen gingen in das Lager Theresienstadt, wo bereits viele an den Entbehrungen starben, andere wurden von dort aus in Vernichtungslager transportiert. Die letzte große Deportation fand im Februar 1945 statt.



Autor/in: Ernst Karpf
erstellt am 01.01.2003
 

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